BAUERNZEITUNG: Herr von Essen, dominieren die EU-Saatgutverordnung und neue genomische Techniken, kurz NGT, derzeit Ihr Tagesgeschäft?
VON ESSEN: Nein, es ist schon mehr als das. Rund um den Green Deal und die Farm To Fork-Strategie betreffen 60 bis 70 Gesetzgebungsverfahren zumindest indirekt die Saatgutwirtschaft. Akut im Mittelpunkt steht die derzeitige Debatte zu Pflanzenschutzmitteln im EU-Parlament. Da stellt sich für uns die Frage, was in Zukunft überhaupt noch möglich ist? Vor allem in den „sensiblen“ Gebieten, wo häufig ebenso Saatgutproduktion und Pflanzenzüchtung passiert. Natürlich beschäftigen uns auch die neuen genomischen Techniken und hier Fragen der Patentierbarkeit. Ganz wichtig ist auch die Neufassung der Saatgutverkehrsgesetze.
Trotzdem scheint die spanische Ratspräsidentschaft besonders bei den NGT Druck zu machen. Kommt da heuer noch was auf Europas Bauern zu?
Die Spanier priorisieren das Thema und sind auch schon sehr weit gekommen. Ein Abschluss unter deren Präsidentschaft wäre allerdings ungewöhnlich. Aber wir hoffen schon, dass die Eckpfeiler und eine klare Mehrheitsposition im Rat noch bis Jahresende stehen. Im Parlament wird das wohl noch länger dauern.
In Österreich stößt der Kommissionsentwurf für das Inverkehrbringen von mittels NGT erzeugtem Pflanzenmaterial auf wenig Gegenliebe. Wie nehmen Sie die Stimmung in anderen Ländern der Union wahr?
Eine Mehrheit sagt, wir müssen etwas ändern, da die neue Technologie und die daraus resultierenden Produkte mit geltendem Recht nicht abzudecken sind. Auch die Meinung der Kommission je nach Produkt zu differenzieren, ob die jeweilige Sorte als gentechnisch verändert oder konventionell zu behandeln ist, wird mehrheitlich geteilt. Wir haben aber einige Punkte, wo es quer durch die politischen Gruppen unterschiedliche Meinungen gibt. Bestes Beispiel ist die Anwendung im Biolandbau. Hier gibt es auch innerhalb der Biobranche sehr unterschiedliche Sichtweisen. Die Mehrheit ist strikt dagegen. Eine nicht unbedeutende Gruppe sieht das jedoch anders.
“Wenn die GVO-Auflagen auch für NGT gelten werden, dann ist die Technologie tot.”
Lässt sich das nach Ländern differenzieren?
Ja, am konservativsten sind Österreich, Deutschland und zum Teil Frankreich. In den skandinavischen Ländern sieht das schon ganz anders aus. Dort möchte der Großteil der Biobranche diese Technologie nutzen, weil man sonst wenig Zukunft für die nationale Bioproduktion sieht.
Medienberichten zufolge wird im Rat eine generelle Klassifizierung der mittels CRISPR gezüchteten Pflanzen als gentechnisch verändert (GVO) erwogen. Entgegen den Empfehlungen der Wissenschaft. Wie stehen Sie dazu?
Wir müssten präzise wissen, welche Teile der bisherigen GVO-Gesetzgebung zur Anwendung kämen. Wenn tatsächlich dieselben Auflagen für NGT gelten würden, dann ist die Technologie schlicht tot. Niemand in Europa wird sie dann einsetzen. Schwierig wird das aber bei Importen. Denn große Teile der Welt haben sich hier schon anders deklariert. Nord- und Südamerika klassifizieren weitestgehend als konventionell. Fraglich bleibt, wie das künftig ablaufen soll, wenn manche Länder sagen, dass ist konventionelle Zucht und wir sagen das ist Gentechnik.
Gesetzt den Fall, die EU entscheidet sich gegen eine Zulassung des Züchtungsverfahrens: Was bedeutet das für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Saatgutwirtschaft?
Wir werden dann weniger Innovationen für Europa bereitstellen können als für andere Teile der Welt. Wir würden auch weniger technischen Fortschritt realisieren können und die Produktion in Drittstaaten würde attraktiver und günstiger. Wenn Gen-Editing flächendeckend Eingang in die Züchtung findet – und davon sind wir überzeugt – dann werden sich Unternehmen fragen müssen, wohin sie ihr Forschungsbudget stecken, in Wachstumsmärkte oder eben nicht? Aber in Europa werden nicht die Lichter ausgehen. Es bleibt auch ohne CRISPR ein interessanter, hochpreisiger Markt. Wenn auch nicht mehr mit neuen Sorten als Speerspitze.
Konzerne wie Bayer, Corteva und Syngenta könnten also ihre Forschung aus der EU abziehen?
Davon wird ein Teil abwandern, ja.
Was würde das für die Anpassung der Sorten an den Klimawandel bedeuten?
Wir werden langsamer sein als der Rest der Welt. Und bestimmte Fortschritte werden uns sehr viel mehr Zeit kosten. Wenn Gen-Editing eine bestimmte Resistenz in zwei Jahren hervorbringt und konventionelle Züchtung dafür zehn bis 15 Jahre benötigt, dann wird Europa eben erst gut acht Jahre später davon profitieren. Die meisten Saatguterzeuger, auch Klein- und Familienunternehmen, arbeiten in mehreren Ländern, auch außerhalb der EU. Für sie würde es natürlich schwieriger. Denn dann kann Saatgut faktisch nicht mehr für Feldversuche in die EU verbracht werden.
Wir würden uns also vom Weltmarkt abschotten?
Eindeutig, obwohl das in dieser Branche eigentlich gar nicht geht. Das Züchtungsgeschäft ist global, es gibt kaum nationale oder nur europäische Sorten. Alle versuchen genetisches Potenzial weltweit zu nutzen. Was den Transport von Saatgut durch Regulative über Grenzen schwierig macht, stellt ein Problem dar. Die Tatsache, dass wir uns nicht einig sind, ob es ein gentechnisch veränderter Organismus ist oder nicht, würde uns letztlich eher alleine dastehen lassen.
In Österreich warnt etwa der Verein Arche Noah, dass CRISPR den Konsumenten die Wahlfreiheit nimmt und Bauern ihres frei verfügbaren Saatguts beraubt. Über das Verfahren an sich wird wenig diskutiert…
Auch in anderen Ländern sind die vermeintliche Wahlfreiheit in Kombination mit der „Reinheit“ des Biolandbaus und die Frage des geistigen Eigentums samt möglicher Einschränkung der verfügbaren Sorten oft Thema. Mehr als die Technologie als solche.
Gibt es in Brüssel schon einen Konsens, dass von CRISPR/Cas9 keine Gefahr ausgeht?
Ja, weitestgehend. Die Technologie als gefährlich zu bezeichnen trauen sich nicht einmal mehr Kritiker der klassischen GVO-Technik.
Wie steht es nun um den Schutz des Biolandbaus und die Wahlfreiheit für Konsumenten?
Wenn die Biobranche Vertrauen in ihre eigenen Zertifizierungsregeln hätte, dann müsste sie nichts weiter tun als festzuhalten, dass keine Verwendung von NGT-Sorten zulässig ist. Dann wüsste der Konsument ganz genau, wenn er ein biozertifiziertes Produkt kauft, dass auch kein NGT drin ist. Aber das reicht den Verbänden nicht. Sie fordern gesetzliche Regelungen. Wir halten das für unverhältnismäßig. Eine Eintragung im Sortenkatalog und entsprechende Vermerke der Züchtungstechnik bei jeder Sorte würde genügen und jeder Landwirt könnte selbst entscheiden. Das wäre Wahlfreiheit ohne unnötig Kosten für alle Beteiligten.
“Das ist ja so, als würde man fragen: Wem nützt eine neue Mercedes E-Klasse? Wenn es nur der Saatgutbranche nützen würde, würde es niemand kaufen.”
Stichwort Kosten. Kritiker fragen oft, wem das neue Verfahren nützt und geben sich mit der „Saatgutlobby“ prompt selbst die Antwort. Sind Sie ein Lobbyist, Herr von Essen?
Ja, ich bin Lobbyist. Ich versuche die Interessen der Saatgutbranche gegenüber den Entscheidungsträgern der Europäischen Union zu vertreten. Damit die Politik auch von unserer Branche eine Rückmeldung erhält, welche Regelungen wir brauchen und welche Konsequenzen manche Regelungen auf unsere Sparte haben.
Und wem nützen nun NGT?
Das ist ja so, als würde man fragen: Wem nützt eine neue Mercedes E-Klasse? Wenn es nur der Saatgutbranche nützen würde, würde es niemand kaufen. Wir wollen etwas produzieren, das der Landwirtschaft, den Verarbeitern oder den Konsumenten einen Mehrwert bringt. Das kann eine Ertragssteigerung sein, eine Krankheitsresistenz, eine bessere Verarbeitungsqualität oder aber auch ein geringerer Allergengehalt oder besserer Geschmack.
Wie steht es um das Bewusstsein der Landwirte, dass hier Potenzial besteht?
Wir müssen den Pestizidaufwand reduzieren, Wasser in der Bewirtschaftung einsparen und uns auf den Klimawandel einstellen. Hier kann das neue Verfahren eine mögliche Stellschraube sein. Je jünger die Landwirte, desto offener sind sie für die neue Züchtungstechnik.
Viele sehen durch NGT und mögliche Patente darauf kleinere Züchtungsunternehmen gefährdet. Euroseeds vertritt mit 30 nationalen und 70 individuellen Verbandsmitgliedern beide Seiten. Geraten die Kleinen unter die Räder?
Diese Diskussion ist mittlerweile auch unter den Züchtern aufgeflammt. Ganz ehrlich, das wissen wir nicht. Wovon auszugehen ist, dass es in einer ersten Phase sicher mehr Patente geben wird. Für den Landwirt spielt das zunächst keine Rolle. Denn das Recht auf Nachbau besteht weiter. Innerhalb der Branche gibt es aber die Befürchtung, dass der Zugang zu genetischen Ressourcen eingeschränkt wird. Diese Sorge besteht in der gesamten Union und wir nehmen sie ernst. Sollte CRISPR-Cas eingeführt werden, wird ein kleines Unternehmen künftig wohl auf lizensierte Sorten zurückgreifen müssen. Wir versuchen, sie zu unterstützen. Nicht zuletzt will auch die Kommission selbst beobachten ob es negative Auswirkungen gibt.
Aber lässt sich Brüssel mit der Frist bis 2026 nicht zu viel Zeit?
Selbst wenn wir 2024 eine Einigung zu NGT kriegen, dann muss immer noch jede neue Sorte das zwei- bis dreijährige Zertifizierungsverfahren durchlaufen. Bis also etwas am Markt ankommt, haben wir 2027/2028. Die Frage wird sich ohnehin aber erst stellen, wenn eine Entscheidung zu NGT vorliegt.
“Die Patent-Diskussion wird unter dem Motto ‘Monsanto hat die Kontrolle über die Lebensmittel der Welt’ forciert. Das ist völliger Unsinn.”
Wäre eine Umsetzung ohne Patente – im Zuge des Sortenschutzes – ein gangbarer Weg, der auch gesellschaftlich akzeptiert würde?
Ich glaube einem Großteil der Gesellschaft ist dieses Thema schlicht egal. Welche Eigentumsrechte in ihrer Semmel stecken interessiert wohl die meisten nicht. Die Patent-Diskussion wird unter dem Motto „Monsanto hat die Kontrolle über die Lebensmittel der Welt“ forciert. Das ist völliger Unsinn. Monsanto war ein Unternehmen kleiner als die meisten Supermarktketten. Diesen Einfluss hat es nie gegeben. Es wäre zwar hilfreich gänzlich auf Patente zu verzichten, denn der klassische Züchter könnte auf Sortenschutz setzen. Aber es gibt mit dem neuen Züchtungsverfahren auch Start-Ups, die nicht selbst züchten, sondern im Auftrag mit der Genschere arbeiten. Diese wären dann allerdings gänzlich ungeschützt. Da stößt der Sortenschutz an seine Grenzen. Bio-Patente gibt es nicht ohne Grund.
Zur Person
Garlich von Essen, Diplom-Landwirt und Wirtschafts- und Politikwissenschafter, ist seit 2004 Generalsekretär von Euroseeds. Zuvor arbeitet er in der Generaldirektion Landwirtschaft der Europäischen Kommission sowie im EU-Parlament.
- Bildquellen -
- v. Essen: RWA/Balber