Kommentar von Martin Kugler,
Agrar- und Wissenschaftsjournalist
Österreich hat sich 1978 in einer Volksabstimmung mit guten Gründen dafür entschieden, das Atomkraftwerk Zwentendorf nicht aufzusperren. Seither ist Atomkraft hierzulande ein absolutes Tabu-Thema – sodass wir
staunend und unverständig vor der Tatsache stehen, dass man anderswo anders über die Sache denkt: Weltweit kommen neun Prozent der Elektrizität aus rund 420 Atomreaktoren (in 30 Staaten); allein im Vorjahr wurden fünf neue eröffnet, heuer bisher vier, und weitere 62 Reaktoren in Bau. Der Neubauboom gründet sich vor allem darin, dass Atomenergie vergleichsweise geringe CO2-Emissionen verursacht – dass gleichzeitig die Entsorgung des Atommülls weiterhin ungeklärt ist, kümmert kaum jemanden.
Damit aber nicht genug. Denn nun ist eine neue Atom-Welle im Anrollen: Die großen Internetkonzerne brauchen dringend Strom für ihre riesigen Rechenzentren – Microsoft zum Beispiel will einen bereits geschlossenen Reaktor in Three Mile Island (dort gab es 1979 einen schweren Atomunfall) wieder aktivieren, Google und Amazon investieren in modulare Kleinstreaktoren. Der Grund hierfür ist der immense Energiehunger der Künstlichen Intelligenz – eine Anfrage bei ChatGPT verbraucht rund zehnmal mehr Energie als eine Google-Suche.
In Österreich träumen wir davon, mit erneuerbarer Energie in eine saubere und enkelgerechte Zukunft zu steuern. Das ist gut so. Aber – so schwer es auch fällt, das auszusprechen: Wir müssen wohl akzeptieren, dass andere Teile der Welt anders ticken. Willkommen in der neuen Realität!