Was erwarten Sie zum Start der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) im kommenden Jahr? Befürchten Sie mehr als die üblichen Anlaufschwierigkeiten?
Lins: Es wird natürlich am Anfang etwas ruckeln. Schließlich müssen die Landwirte viele neue Regeln umsetzen. Das wird diesmal nicht anders sein. Besonders wichtig ist mir wegen der weltweit kritischen Lage bei der Ernährungssicherheit die einjährige Aussetzung der Fruchtwechsel und der Stilllegungspflicht. Hier müssen wir 2023 nochmals die Lage beurteilen und entscheiden, ob eine Weiterführung notwendig sein wird. Die Eco-Schemes werden zu mehr Extensivierung führen, vielleicht aber nicht in allen EU-Mitgliedstaaten.
Kritiker meinen, dass manche Regierungen weniger Wert auf Umweltleistungen legen könnten und so Wettbewerbsungleichheiten zwischen den EU-27 noch befördert werden.
Diese Kritiker haben bedingt recht. Allerdings glaube ich schon, dass es dem EU- Parlament in den GAP-Verhandlungen gelungen ist, die Leitplanken so zu setzen, dass die Spielräume nicht allzu groß werden konnten. Insgesamt bin ich mit den Kompromissen zufrieden. Die Mitgliedstaaten müssen auch in der Zweiten Säule prozentual deutlich mehr Geld für den Klima-, Umwelt- und Tierschutz verwenden.
Befürchtet wird auch, dass sich Brüssel bei der Durchsetzung der Eco-Schemes ähnlich zurückhaltend gibt wie bei der Bekämpfung der Korruption mit EU-Agrargeldern…
Wir haben einige Sicherungen hineinverhandelt, um dies zu verhindern und die Kommission zahnlos agieren wird. Natürlich muss sich das neue Kontrollsystem erst einmal beweisen.
Bereits vor dem Inkrafttreten der Reform wurden die GLÖZ 7 und GLÖZ 8, also die Vorgaben zur Fruchtfolge und zur Stilllegung, für ein Jahr ausgesetzt. Sehen Sie darin tatsächlich einen relevanten Beitrag zur Ernährungssicherheit?
Viele Berechnungen dazu sind schlicht falsch, um das klar zu sagen. In Deutschland haben wir knapp 300.000 Hektar mehr Fläche zur Verfügung. Man kann davon ausgehen, dass davon rund 200.000 Hektar für den Weizenanbau genutzt werden. Damit können wir schon allein in Deutschland von einem Zusatzertrag von rund 1,5 Mio. Tonnen Weizen reden.
Wie sieht es mit den Zusatzmengen durch die Aussetzung der Fruchtfolge und dem erlaubten Anbau von Weizen auf Weizen aus?
Heuer hatten wir deutschlandweit Weizenerträge von durchschnittlich 7,6 Tonnen je Hektar erzielt. Allerdings werden die Erträge beim aufeinanderfolgenden Anbau eher sinken. Trotzdem halte ich auch diese Maßnahme grundsätzlich für richtig. Sie wird aber weniger erbringen als erhofft.
Die EVP und auch Sie selbst haben die Vorschläge der EU-Kommission zur Pflanzenschutzmittelreduktion scharf kritisiert. Die Grünen-Fraktion wirft dagegen Ihnen vor, die Landwirte mit absichtlich überzogener Kritik beunruhigen zu wollen?
Da möchte ich auf die Kritik des von Cem Özdemir geführten Bundeslandwirtschafts- ministeriums hinweisen. Dort ist man sich offensichtlich viel stärker bewusst, was etwa das von Brüssel vorgeschlagene Totalverbot in sensiblen Gebieten bedeuten würde. Ich unterstelle dem Grünen-Agrarsprecher, Herrn Häusling, dass er einige Sachverhalte absichtlich verharmlost. Man kann gerne über sachliche Argumente streiten. Seine Vorwürfe halte ich aber für abwegig.
Von der Berichterstatterin Sarah Wiener von den Grünen kam deutliche Kritik an der unklaren Definition des Begriffs „Sensible Gebiete”. Rechnen Sie damit, dass dieser Aspekt in den Trilog-Gesprächen mit Rat und Parlament gestrichen werden könnte?
Das kann man nur hoffen. Ich denke, am Ende lässt sich hier einiges entschärfen.
Wie bewerten Sie die Tatsache, dass der Umweltausschuss des EU-Parlaments und nicht der Landwirtschaftsausschuss federführend für den Verordnungsvorschlag zuständig sein soll?
Die einen haben die Kompetenz, die anderen das Fachwissen. Diese Einteilung, die so zu Beginn der Legislaturperiode vor meinem Amtsantritt als Ausschussvorsitzender festgelegt worden ist, ist meines Erachtens zu hinterfragen. Wir haben jetzt beantragt, mittels geteilter Kompetenz mit den Umweltpolitikern an der Verordnung zu arbeiten. Hierzu müssen die Fraktionsvorsitzenden demnächst eine Entscheidung treffen. Idealerweise wünsche ich mir natürlich, dass die Kommission zu dem Ergebnis kommt, ihr Vorschlag sei nicht haltbar, und diesen komplett zurückzieht. Er ist so verquer, dass man hunderte Änderungsanträge machen müsste, um diese Verordnung überhaupt praktikabel zu gestalten.
„Die einen haben die Kompetenz,
die anderen das Fachwissen.“
Was konkret stört Sie denn noch?
Etwa die Kalkulation der Wirkstoffbewertung. Unter anderem soll C02 miteinbezogen werden; das ist schlicht hanebüchen. Sogar Kollege Häusling hat verstanden, dass da selbst der Biolandbau betroffen wäre. Zudem würden viel gefährlichere Mittel durch den quantitativen Ansatz unter Umständen unterbewertet. Der Einsatz von Neonicotinoiden ist eben etwas völlig anderes als die gleiche Menge an Backpulver.
Haben die Beamten in der Kommission keine Ahnung von der Materie?
Das würde ich verneinen. Die Beamten wissen in der Regel sehr gut Bescheid. Ich glaube aber schon, dass der geballte Sachverstand, der etwa in der Generaldirektion Landwirtschaft sitzt, immer weniger zum Einsatz kommt, gerade bei der Pflanzenschutzanwendungsverordnung. Zudem habe ich den Eindruck, dass die Generaldirektion für Gesundheit, die eigentlich bei diesem Thema die Federführung innehat, nicht so stark einbezogen worden ist, was aber möglich gewesen wäre. Es sind gerade bei dieser Verordnung viele Aspekte auf Ebene der Kommissare und deren Kabinetten gefallen. Auch handwerklich ist die Verordnung, unabhängig was man inhaltlich von ihr hält, dermaßen schlecht gemacht, dass allem Anschein nach hier offenbar Laien am Werk waren.
Weitere Kritikpunkte?
Auf jeden Fall. Was am schwersten nachgebessert werden kann, ist der Zugang zum Pflanzenschutzmitteleinsatz. Jeder Landwirt müsste nach den Plänen der Kommission in 16 Schritten dokumentieren und begründen, warum er keine Alternative gehabt hat, nicht nur in einem sensiblen Gebiet, sondern überall und egal ob konventionell oder Bio. Diesen Ansatz lehne ich vehement ab. Die Landwirte haben doch bereits Sachkundenachweise erbracht; dann gibt es die gute landwirtschaftliche Praxis. Aber von vornherein zu sagen, der Pflanzenschutzmitteleinsatz ist das allerletzte Mittel, diesem Ansatz kann ich so nicht folgen. Wahrscheinlich stellt es sich EU-Kommissionsvize Frans Timmerman, so vor, dass die Bauern erst Wirkstoffe anwenden dürfen, wenn die Pflanze schon todkrank ist.
Die federführende Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides, Mitglied der EVP, hat den Gesetzesvorschlag mit Nachdruck vor den EU-Agrarministern verteidigt. Sie meinte, der Schutz der Biodiversität sei entscheidend für eine hinreichende Lebensmittelproduktion. Ist ein kompletter Rückzug des Vorhabens nicht doch eher unwahrscheinlich?
Ich bin nicht der Berater der Kommission, aber ich sehe einen Vorschlag, der eine echte Gefahr für die Landwirtschaft in der EU darstellt. Meiner Auffassung nach gibt es eine mehr als 50 %-ige Chance, dass es noch zu deutlichen Änderungen kommt, wenn nicht sogar zu einem totalen Rückzug. Das sehen mit Sicherheit rund 80 % der Mitglieder des Landwirtschaftsausschusses ähnlich, und dieser umfasst bekanntlich deutlich mehr Fraktionen als nur die EVP. Ich würde es für politisch klug halten, wenn die Kommission eingestehen würde, dass sie einen Fehler gemacht hat und ihren Vorschlag zurücknimmt.
Gerade im Europaparlament in der Vergangenheit waren viele Diskussionen – anders als in vielen nationalen Parlamenten – oftmals deutlich stärker an der Sache orientiert. Man kann aber zunehmend den Eindruck gewinnen, dass die Debatten im EU-Parlament persönlich an Schärfe zunehmen. Noch schlimmer scheint es zwischen Landwirten und Umweltschützern zu sein. Wie sehen Sie das als Vorsitzender des EU-Landwirtschaftsausschusses?
Am Beispiel der Pflanzenschutzmittelreduktionsverordnung werfe ich der Kommission vor, dass sie Europa mit Absicht spaltet, und zwar in den ländlichen und den städtischen Raum. Es ist ganz offensichtlich, dass hier ein linksliberales, städtisches Milieu in seinen Ansichten bedient werden soll. Teilen der Kommission ist der ländliche Raum offenbar völlig egal. Selbst viele Naturschützer befürchten jetzt, dass bei der Umsetzung der Brüsseler Reduktionspläne viele Lebensräume verschwinden werden, wenn sich die Landwirtschaft aus der Bewirtschaftung zurückziehen muss. Ich komme eben nicht zu dem Ergebnis, dass dieser Vorschlag zu mehr Biodiversität führen wird. Ich befürchte eher das Gegenteil.
Aktuell geht die Biodiversität weiter massiv zurück. Auch die Landwirtschaft trägt hierfür zumindest einen Teil der Verantwortung. Was schlagen Sie vor, um diesem Problem wirksam zu begegnen?
Es wäre ein Riesenschritt, wenn wir es schaffen würden, die Weidehaltung bei Rindern wieder zu stärken, vor allem in Gegenden, wo die Insektenbiomasse zurückgeht, weil es weniger Tierhaltung gibt. So hätte ich mir in Deutschland in den Eco-Schemes eine Weidetierprämie gewünscht. Dafür gab es aber leider keine Mehrheit.
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- Norbert Lins Foto EU: EU-Parlament