„Politik ist kein Schönheitswettbewerb“

Die Landwirtschaftsministerin über die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auch auf die Bauern hierzulande, warum sie ein Verbot der Vollspaltenböden im Alleingang weiterhin skeptisch sieht, und warum sie mit Kritik an ihrer Person gut umgehen kann.

Elisabeth Köstinger im Gespräch mit der BauernZeitung: „Bei manchen Kampagnen hat man das Gefühl, dass jeder Bauer in Österreich ein Tierquäler sei. Das ist nicht der Fall.“ FOTO: Bauernzeitung

BauernZeitung: Der Ukraine-Krieg hat die ohnehin volatilen Agrar- und Rohstoffmärkte auf den Kopf gestellt. Die Kosten für Dünger, Energie, Treibstoffe oder Futtermittel gehen durch die Decke. Wie kann man den Bauern in dieser Situation helfen?
Köstinger: Der Krieg ist eine humanitäre Katastrophe und eine extreme wirtschaftliche Herausforderung für Europa, auch für die Landwirtschaft. Die Bundesregierung hat zwei Anti-Teuerungspakete erarbeitet, die Haushalte und Wirtschaft entlasten sollen. Für die Bauern wird es weitere Maßnahmen brauchen. Wir diskutieren mit dem Finanzminister bereits über ein drittes Paket, speziell für kleinere und mittlere Unternehmen. Währenddessen geben der Handel und die Verarbeiter die Preissteigerungen bei Lebensmitteln leider kaum an die Landwirte weiter.

Welche Entlastungsmaßnahmen schweben Ihnen vor?
Ein umfassendes Paket, das stark auf den Betriebsmitteleinsatz abzielt. Ackerbaubetriebe sind sehr stark mit hohen Energiekosten konfrontiert, Betriebe im Grünland mit teuren Futterkosten. Wir haben schon in der Corona-Krise gezeigt, dass wir allen Sparten helfen.

Die Sanktionen auch der EU gegen Russland haben ein nie dagewesenes Ausmaß erreicht. Der Kreml hat den Handel mit Dünger oder auch Getreide einseitig gestoppt. Nach wie vor erlaubt sind Lebensmittelexporte nach Russland. Wie sehen Sie die Forderung nach weiteren Embargos?
Die Geschlossenheit der EU bei der Verurteilung des Krieges ist ein sehr wichtiges Zeichen. Aber im Energiesektor sind wir sehr abhängig von russischen Importen, was wir aktuell sehr schmerzlich zu spüren bekommen. Hier ist mit Augenmaß vorzugehen, um die eigenen Schäden gering zu halten. Bei Düngemitteln sind wir in Österreich gut aufgestellt. Die Lagerbestände sind sehr hoch. Allerdings zeichnet sich kein rasches Ende des Krieges ab.

Auch Ungarn hat einen Exportstopp für Getreide verhängt und dafür viel Kritik geerntet. Wäre so etwas auch bei uns denkbar?
Ich halte gar nichts davon, sich innerhalb der EU gegenseitig zu behindern.

Österreich ist bei fossilen Energieträgern, auch bei Mineraldünger stark vom Ausland abhängig, teils von zunehmend autokratisch regierten Ländern. Muss der Staat unsere Versorgungssicherheit, auch die Lagerhaltung, rasch völlig neu denken?
Absolut. Schon bevor sich so weitreichende Krisen wie die Pandemie oder nun der Krieg abgezeichnet haben, haben wir im Agrarbereich begonnen, ein Modell zur Lagerhaltung zu entwickeln und wie diese funktionieren kann, da eine solche doch ein sehr starker Eingriff in den Markt ist und zu Teuerungen führen könnte. Und ich habe hier auch immer die EU kritisiert, etwa wenn es darum geht, Flächen mehr und mehr außer Nutzung zu stellen oder den Klima- und Umweltschutz über alles zu stellen, um dann genau diese Produkte, die Europa nicht mehr produzieren kann, zu importieren. Green Deal und die Farm to Fork-Strategie waren auch als Anschlag auf unsere Produktion zu werten. Da haben wir einige eigene Initiativen gestartet. So würden wir bei der Schweinehaltung mit der Abschaffung des Vollspaltenbodens bewirken, dass strenge Auflagen nur bei uns gelten und wir unsere Produktion verunmöglichen, während um uns herum alle weiter unter EU-Standards produzieren. Wir wollen uns weiterentwickeln, aber niemals vom Wettbewerb abschneiden.

Borealis wollte seine Düngersparte verkaufen. Der Deal ist jetzt vom Tisch. Sollen die Stickstoffwerke generell in österreichischer Hand bleiben?
Dazu ist zu sagen: Wenn Borealis den Verkauf nicht selbst gestoppt hätte, dann hätte das Investitionsschutzgesetz gegriffen. Unser System funktioniert also. Auch bei den Betriebsmitteln halte ich es für enorm wichtig, die Eigenproduktion so hoch wie möglich zu halten.

Themenwechsel: Die EU-Kommission hat auf Österreichs GAP-Strategieplan reagiert. Wie zufrieden sind Sie mit der Rückmeldung?
Ich bin grundsätzlich sehr zufrieden. Wir waren unter den Ersten, die eingereicht haben, trotz der durchaus herausfordernden Verhandlungen mit den Grünen. Die Anmerkungen aus Brüssel haben sich schon abgezeichnet. Es gibt Lob, dass wir einen speziellen Fokus auf die wirtschaftliche Situation der Bauernfamilien legen wollen. Zudem kommen die meisten Anmerkungen nicht aus der Generaldirektion Agri, sondern aus der GD Umwelt. Im Vergleich mit anderen Ländern handelt es sich um sehr generelle Hinweise aus Brüssel, noch mehr auf Klima- und Umweltschutz zu achten.

Wo orten Sie noch Diskussionsbedarf mit Brüssel?
Bei der Umverteilung. Wir werden an den Ausgleichszahlungen im Berggebiet in der Zweiten Säule sicher nicht rütteln. Auf Kosten der Ausgleichszahlung bei den Direktzahlungen mehr umzuverteilen, wird es mit mir nicht geben. Unser System ist in der EU einzigartig, zielgerichtet und ein Erfolgsmodell. Die 10%-ige Umverteilung, die wir machen müssen, wollen wir den Betrieben über die ÖPUL-Maßnahmen ausgleichen. Schon fix sind die hohen Prämienzuschläge. Das werte ich als Erfolg.

Die Herkunftskennzeichnung wird immer mehr zur Hängepartie in der Koalition. Rechnen Sie überhaupt noch heuer mit der Umsetzung? Und bleiben die Speisekarten der Gastronomie außen vor?
Wir haben im Regierungsprogramm eine klare Vereinbarung, wie die Kennzeichnung aussehen muss. Ich habe in dieser Frage mittlerweile den dritten grünen Gesundheitsminister als Gegenüber, werde nicht lockerlassen und erwarte mir eine Umsetzung vom Koalitionspartner.

Wie ist generell die Stimmung in der Regierung mit den Grünen? Sie halten ja verbal meist selten hinter dem Berg, wenn Ihnen etwas gegen den Strich geht.
Persönliche Befindlichkeiten sind nicht relevant. Dafür ist die Situation zu ernst. Was mich oft ärgert, ist, dass Halbwissen als Fakten präsentiert werden. Landwirtschaft ist und erfordert mehr Know-how als das, was in so manchen klimatisierten Innenstadtbüros erdacht wird. Ich werde mich immer dagegen wehren, dass unter dem Deckmantel von Klimaschutz, den wir alle wollen, die Landwirtschaft als Sündenbock hingestellt wird.

In Deutschland gehen die großen Handelsketten in Sachen Tierwohl immer schnellere, ambitioniertere Schritte. Kommt Österreichs AMA-Gütesiegel demnächst unter die Räder?
Sicher nicht. Aber wir sind gefordert, das AMA-Gütesiegel weiterzuentwickeln. Rund um manche Trends diktiert der mächtige Lebensmittelhandel den Bauern hohe Standards bei weiterhin niedrigen Preisen. Darauf weise ich seit Jahren hin, nur fühle ich mich oft allein auf weiter Flur. Unsere politischen Mitbewerber sind bei diesem Thema sehr leise. Da könnte ja auch jemand einmal aufstehen und auf den Tisch klopfen.

Besonders stark unter Druck steht die Schweinebranche, oder nicht?
Im Bereich der Investförderung haben wir viele Weichen richtig gestellt, auch mit dem Pakt für mehr Tierwohl, der seit Anfang 2021 in Kraft ist. Und wichtig war auch der Corona-Verlustersatz für die Schweinebranche. Zwar sind für Schweinebauern volatile Märkte nichts Neues, doch das pandemiebedingte Tief am Markt hat besonders lange gedauert. Besonders die Stimmung gedrückt haben radikale und faktenbefreite Tierschutzkampagnen. Dank des Tierwohl-Pakts wurden viele Ställe auf mehr Tierwohl ausgerichtet. Auch die neue GAP wird den Mehraufwand für Stroh- einstreu und Beschäftigungsmaterial zum Teil abgelten. Was uns aber fehlt, sind Konsumenten, die das Tierwohlfleisch auch kaufen.

Die Deutschen setzen voll auf eine Kennzeichnung der Haltung.
Österreich wird seit Jahren neben Schweden beim World-Animal-Index auf Platz eins gereiht. Das zeigt, dass unsere Bauern sehr viel Wert auf das Tierwohl legen. Ich halte also wenig von einer Haltungskennzeichnung, weil der Konsument bei Herkunft Österreich davon ausgehen kann, dass es im europäischen Vergleich höchste Standards gibt. Es ist viel wichtiger, draufzuschreiben, woher der Rohstoff kommt. Mit der Kennzeichnung der Herkunft können wir auch die Diskussion über kurze Transportwege und regionale Kreisläufe lösen.

Trotzdem etabliert der Handel eigene Systeme zur Kennzeichnung der Haltung.
Ich verstehe dieses Vorgehen in anderen Ländern, in denen der Tierschutz bisher wenig Aufmerksamkeit erfahren hat. Wir dagegen müssen über unsere hohen Standards reden. Bei manchen Kampagnen hat man das Gefühl, dass jeder Bauern in Österreich ein Tierquäler sei. Das ist nicht der Fall. Ein durchschnittlicher Betrieb in Österreich hält 450 Schweine, in Deutschland sind es 824. Ich möchte unsere Strukturen und Produktion ins rechte Licht rücken und erhalten.

Seit Kurzem gibt es das Fairness-Büro für Landwirte, die sich ungerecht vom Handel behandelt fühlen. Wie heiß laufen seither die Telefone?
Viele greifen gerade anfangs eher zum Hörer, um ihren allgemeinen Unmut kundzutun.

Wird man das Fairnessbüro auch für Konflikte zwischen Bauern und Genossenschaften brauchen?
Das ist jetzt schon möglich. Auch wenn es zu unlauteren Methoden mit kleinen und mittelständischen Abnehmern kommt, können sich Bauern ans Büro wenden. Wir können uns aber gerade angesichts der aktuellen Situation glücklich schätzen, dass wir das Genossenschaftswesen haben.

In den sozialen Netzwerken gehören Sie zu jenen Politikerinnen, die besonders polarisieren und sehr heftig kritisiert werden. Wie sehr stört Sie das – oder lernt man im Laufe der Zeit, damit umzugehen?
Politik ist kein Schönheitswettbewerb. Meine Aufgabe als Landwirtschaftsministerin ist es, gerade für die Bäuerinnen und Bauern einzutreten. Ich bin gerne bereit, in jede Diskussion zu ziehen und sehe das auch als meine große Stärke. Das mache ich aus Überzeugung und mit viel Leidenschaft.

Interview: Bernhard Weber, Martina Rieberer

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AUTORRed. SN
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