US-Farmer setzen auf die Schlauchlüftung

In Kälberställen in den USA kommt zunehmend die Schlauchlüftung zum Einsatz. Das System wurde federführend von Ken Nordlund an der Universität für Veterinärmedizin in Wisconsin entwickelt. BauernZeitungs-Gastautor Benedikt Rodens sprach mit

In Kälberställen in den USA ist eine Schlauchlüftung mittlerweile Standard. Bei dem Stall im Bild verläuft der Lüftungsschlauch im Giebelbereich des Dachstuhls. ©Rodens
In Kälberställen in den USA ist eine Schlauchlüftung mittlerweile Standard. Bei dem Stall im Bild verläuft der Lüftungsschlauch im Giebelbereich des Dachstuhls. ©Rodens
Frische Luft im Kälberstall, aber ohne dass es zieht – diese grundlegende Anforderung in der Kälberhaltung bringen US-amerikanische Rinderhalter ins Optimum, indem sie die übliche Schwerkraftlüftung mit einer Schlauchlüftung unterstützen. Dazu ziehen sie im Deckenbereich der Kälberställe Kunststoffschläuche ein, in die die Zuluft über Ventilatoren eingeblasen wird. Die Luftschläuche selbt und deren Auslassöffnungen sind in Durchmesser und Anordnung an jeden Stall individuell angepasst. Bemerkenswert ist, dass die zusätzliche Zwangslüftung auch in Offenfrontställen zum Einsatz kommt und dass die Ventilatoren ganzjährig rund um die Uhr in Betrieb bleiben.Einer der maßgeblichen Entwickler des in den USA als “Positive Pressure Tube Ventilation” (Pptv) bekannten Systems ist Ken Nordlund, emeritierter Professor an der Universität für Veterinärmedizin in Wisconsin. Wir haben ihn zu den Besonderheiten des Lüftungssystems befragt.

Ken Nordlund war bis vor Kurzem Professor an der Universität für Veterinärmedizin in Wisconsin-Madison, USA. Bevor er im Jahr 1989 an die Universität kam, führte über zwei Jahrzehnte eine Tierarztpraxis zur Betreuung von Milchviehherden. Bedeutende Ergebnisse seiner Forschungsarbeit waren u. a. der
Ken Nordlund war bis vor Kurzem Professor an der Universität für Veterinärmedizin in Wisconsin-Madison, USA. Bevor er im Jahr 1989 an die Universität kam, führte über zwei Jahrzehnte eine Tierarztpraxis zur Betreuung von Milchviehherden. Bedeutende Ergebnisse seiner Forschungsarbeit waren u. a. der “Transition Cow Index” (TCI) als Frühwarnsignal im Management frischlaktierender Kühe sowie Maßnahmen zur gesundheitlichen Optimierung von Rinderstallungen. ©Rodens
Warum nehmen die Farmer die Mehrkosten für ein Zwangslüftungssystem in Kauf?
Ken Nordlund: Die Sache begann damit, dass es immer mehr Farmer einfach satt hatten, die Kälber in den Iglus bei Wind und Wetter zu versorgen. Etwa seit dem Jahr 2000 gingen immer mehr Betriebe von der Hüttenhaltung zurück auf die Stallhaltung. Das ging natürlich nicht lange gut; besonders bei geschlossenen Curtains im Herbst, Winter und Frühjahr waren Atemwegserkrankungen an der Tagesordnung.

Und wie fanden Sie eine Lösung?
Nordlund: Das war ein langer Prozess. Eine Arbeit aus dem Jahre 2006 brachte zutage, dass die Luft im Kälberstall nicht überall von gleicher Qualität war. Obwohl die Luft im Stall an sich eher niedrigere Keimgehalte hatte, schossen sie im Bereich der Tiere in der Kälberbox durch die Decke. Die Herausforderung bestand also darin, unbelastete Frischluft nicht nur in den Stall, sondern auch in jede einzelne Kälberbox zu bringen. In den darauffolgenden Jahren wurde viel experimentiert. Bei reiner Außenlüftung ist gerade an windstillen Tageszeiten trotz geöffneter Curtains keinerlei Luftbewegung im Stall zu verzeichnen; zudem fließt aufgewärmte Außenluft an kalten, sonnigen Tagen im kälteren Stall direkt nach oben ab und kommt nicht beim Kalb an. Das alles passiert öfters, als man denkt. Die Lösung fanden wir in einem Luftschlauch und einem an der Stallaußenwand angebrachten Ventilator, der Frischluft von außen in den Schlauch bringt. Ein eigens dafür entwickeltes Berechnungsprogramm ermöglicht es nun, die exakt bestimmte Luftmenge in den Stall zu bringen. Daten wie Stallvolumen, Schlauchdurchmesser und Schlauchlänge werden in das Programm eingegeben. Nun muss man noch festlegen, an welcher Stelle Lochreihen benötigt werden und welche Distanz die Luft aus dem Schlauch bis hin zum Kalb zurücklegen muss. Mit den Ergebnissen geht man nun zu einem Schlauchhersteller, der nach Planvorlage individuell den Schlauch mitsamt Lochreihen anfertigt.

Wie viel Frischluft braucht denn ein Stall?
Nordlund: Damit auch im Winter bei geschlossenen Curtains genügend Frischluft zu den Kälbern kommt, braucht es mindestens vier Luftwechselintervalle je Stunde. Doch es kommt nicht nur auf die Frischluftmenge an; in unserem Berechnungsprogramm wird auch berücksichtigt, dass am Kalb, also in etwa 1,20 m Höhe, nicht mehr als 0,3 m/s Luftgeschwindigkeit zu spüren sind. Am Kalb darf keine Zugluft ankommen.

Werden im Winter die Schläuche aufgrund der Kälte ausgeschaltet?
Nordlund: Nein, die Ventilatoren müssen 365 Tage im Jahr laufen. Wird es im Winter sehr kalt, empfehlen wir, den Kälbern eine Decke anzulegen. Das macht viel mehr Sinn, als den Ventilator abzuschalten.

Und im Frühjahr und Sommer, reicht in diesen Jahreszeiten ein viermaliger Luftwechsel dann auch?
Nordlund: Nein, ganz und gar nicht. Sobald es die Witterung erlaubt, müssen die seitlichen Curtains teilweise oder ganz geöffnet werden, somit erreicht man deutlich höhere Luftwechselraten. Je nach Standort des Stalls kann es jedoch in Einzelfällen auch sinnvoll sein, über einen Zweitschlauch nachzudenken. Steht ein Stall z. B. zwischen zwei Gebäuden oder in einer Mulde, dann kann unter Umständen trotz geöffneter Curtains nicht genug Frischluft in den Stall eindringen. Hier macht ein Zusatzschlauch mit zusätzlichen 16 bis 20 Luftaustauschintervallen Sinn, der bei wärmeren Temperaturen hinzugeschaltet werden kann. Doch zunächst sollte man sich bei der Planung auf einen Schlauch beschränken. Dieser reicht in Kombination mit den Curtains in den allermeisten Fällen aus.

Löst die Schlauchlüftung nun alle Probleme im Kälberstall?
Nordlund: Natürlich nicht, wenngleich wir mit den Luftschläuchen auch alte, niedrige Ställe auf ein funktionierendes Niveau bringen konnten. Bei den Planungen zu einem Neubau gebe ich schon zu überlegen, den möglichst günstigsten Standort für den Kälberstall zu suchen. Er sollte möglichst frei und nicht zwischen zwei Gebäuden stehen, damit eine größtmögliche, natürliche Lüftung erfolgen kann. Daneben sind Boxengröße, Boxengestaltung und Boxenmanagement von größter Bedeutung. Gerade die Boxengestaltung ist bei uns unter dem Begriff “The Ideal Wisconsin Calf Pen Concept” bekannt (siehe nachstehend “The Wisconsin Calf-Pen-Concept”).

Sind Ihre Empfehlungen in der Praxis berücksichtigt worden?
Nordlund: Leider nicht. Viele Ställe wurden schon gebaut, als wir noch nicht alle uns heute bekannten Erkenntnisse hatten. Zudem gibt es mittlerweile mehrere Hersteller, die eigene Boxensysteme vermarkten.

Haben Sie einen Tipp für uns in Europa?
Nordlund: Ein Lüftungsschlauch kann das Stallklima eines jeden Stalles verbessern. Gerade bei der Stall- und Boxengestaltung müssen Sie nicht mehr die gleichen Anfangsfehler machen wie wir. Unsere Vorgaben beruhen auf langjährigen Erfahrungen, wir können diese ruhigen Gewissens auch nach Deutschland und Österreich weiterleiten.

Und was machen wir mit all unseren Kälberhütten? Sollen wir diese wegwerfen?
Nordlund: Keinesfalls, gerade in abkalbearmen Zeiten kann man ein paar Kälber in der Hütte aufziehen und den Stall für einige Tage leerstehen lassen. Die Unterbrechung der Keimkette im Kälberstall hat sich immer bewährt. Zudem hat man in abkalbestarken Zeiten mit den Hütten einen Puffer.

Wie geht die Entwicklung bei Ihnen in den USA weiter?
Nordlund: Wir vermuten, dass in den letzten Jahren in den USA bereits weit über 5000 Kälberställe neu gebaut wurden; die Zahl wird weiter steigen. Daher werden wir weiter daran arbeiten, dass beim Stallbau und bei der Boxengestaltung möglichst wenige grundsätzliche Fehler gemacht werden. Daneben entwickeln wir die Empfehlungen für die Schlauchgestaltung weiter. Unter ungünstigen Bedingungen kann ein Zweitschlauch mit höheren Lufttauschraten in der wärmeren Jahreszeit durchaus sinnvoll sein. Mittlerweile bauen wir Schläuche auch vermehrt in Jungviehställe und Vorwartehöfe ein, vereinzelt auch in Kuhställe. Gerade bei der Installation in Wartebereichen haben wir sehr gute Praxiserfahrungen. Wir möchten Frischluft für Tiere, wo immer sie benötigt wird und zum Tierwohl beiträgt. Unser Ziel ist es, das Wohlbefinden der Tiere zu steigern und den Medikamenteneinsatz, vor allem in der Kälberhaltung, auf ein Minimum zu reduzieren.

Benedikt Rodens, Rückweiler (D)

The Wisconsin calf pen-Concept

Boxenrückwand mit Betonsockel und Lüftungsgitter. Der zusätzliche Kontroll- bzw. Wartungsgang wird auch zum Einstreuen genutzt, so bleiben Futter- und Wassertröge sauber. ©Rodens
Boxenrückwand mit Betonsockel und Lüftungsgitter. Der zusätzliche Kontroll- bzw. Wartungsgang wird auch zum Einstreuen genutzt, so bleiben Futter- und Wassertröge sauber. ©Rodens
Stallgestaltung
Die besten Erfahrungen haben wir bisher mit ein- und zweireihigen Boxenställen gemacht. Bei Großbetrieben hat es sich bewährt, mehrere Einzelställe zu errichten, die im Rein-Raus Verfahren gemanagt werden. Das bringt gegenüber großen Ställen mit mehreren Stallreihen hygienische und gesundheitliche Vorteile. Zudem scheinen frei stehende Ställe besser zu funktionieren als Ställe, die zwischen bereits vorhandenen Stallanlagen gebaut werden. Mit der Standortauswahl legt man also schon einen Grundstein zum Erfolg.

Boxengröße
Je größer die Box, desto geringer die Keimbelastung. Das haben unsere Untersuchungen ergeben. Natürlich kann man eine Kälberbox schon allein aus Kostengründen nicht unendlich groß bauen. Wir empfehlen, eine Boxengröße von drei Quadratmetern anzustreben. Dazu ist anzumerken, dass die Kälber bei uns oft von der Geburt bis zur Entwöhnung in den Kälberboxen bleiben.

Boxengestaltung
Die Boxentür muss so offen wie möglich gestaltet sein, damit die Frischluft aus den Schläuchen in die Box eindringen kann. Das Betreuungspersonal soll die Box in aufrechter Haltung betreten können; störende Querträger sind bei der Auswahl der Box zu vermeiden. Ein Betonsockel von etwa 50 cm Höhe am Hinterende der Box soll das ungehinderte Einströmen kalter Luft unterbinden. Auf diesen Sockel aufgesetzt wird dann ein etwa 70 cm hohes luftdurchlässiges Gitter. Durch dieses Gitter kann die durch die Tür eindringende Luft nach hinten aus der Box ausströmen. Die Seitenwände der Boxen sind geschlossen ausgeführt, um eine direkte Keimübertragung zu verhindern. Allerdings sollten sie Seitenwände leicht zu demontieren sein, denn bei gesunden Kälbern können die Zwischenwände schon nach wenigen Tagen entfernt werden. So können sich die Kälber schon möglichst früh in einer Kleingruppe aneinander gewöhnen. Wenn möglich, sollte der Boden zumindest zum Teil mit einer flüssigkeitsdurchlässigen Kiesschicht gestaltet werden. So kann anfallender Urin sofort abziehen. Unterhalb der Kiesschicht wird ein Dränagerohr verlegt, das anfallende Flüssigkeiten zur Güllelagerung befördert. Zu bedenken ist, dass besonders bei Kälbern mit ad lib-Fütterung enorme Urinmengen anfallen. Durch die Kiesschicht bleibt die Box trockener, die Ammoniakbelastung im Stall geht zurück, und die Kälber werden seltener krank.

Boxenmanagement
Ob man es glaubt oder nicht – tiefe, trockene Einstreu ist so wichtig wie der Lüftungsschlauch selbst. Gerade im Winter muss so viel Einstreu eingebracht werden, damit das Kalb sich regelrecht ins Stroh einkuscheln kann. Das verhindert Auskühlungen und fördert die Gesundheit. Betriebe, die nach diesen Vorgaben Ställe gebaut haben, verzeichnen kaum Atemwegserkrankungen und berichten in diesem Bereich von mehr als 50 Prozent an Medikamenteneinsparungen. Als Veterinär stimmt mich das sehr zufrieden, denn bereits eine einmalige Behandlung einer Atemwegserkrankung beeinträchtigt die Milchleistung der zukünftigen Färse deutlich.

Die Ställe haben eine Dachisolierung und einen schmalen Lüftungsfirst. ©Rodens
Die Ställe haben eine Dachisolierung und einen schmalen Lüftungsfirst. ©Rodens

Die Luft muss in Form von Frischluft von außen in den Schlauch geführt werden. ©Rodens
Die Luft muss in Form von Frischluft von außen in den Schlauch geführt werden. ©Rodens

Ideale Kälberbox - freie Frontpartie, zweigeteilte Hinterwand mit Betonsockel und Aufsatzgitter, herausnehmbare Zwischenwände. ©Rodens
Ideale Kälberbox – freie Frontpartie, zweigeteilte Hinterwand mit Betonsockel und Aufsatzgitter, herausnehmbare Zwischenwände. ©Rodens

- Werbung -
Vorheriger ArtikelHolzmarkt: Nachfrage nach Industrieholz ist verhalten
Nächster ArtikelDer Bauer als Symphoniker