NÖ Bauernbunddirektor Paul Nemecek im Interview mit der BauernZeitung über die Profiteure von ansteigenden Lebensmittelpreisen und die Gefahr einer linken Regierungsmehrheit nach den kommenden Nationalratswahlen.
BauernZeitung: Ein turbulentes Politjahr 2023 geht in die Sommerpause. Die Landtagswahl brachte hohe Verluste für die Volkspartei Niederösterreich. Der Bauernbund hat sich im Anschluss rasch mit der Analyse beschäftigt. Was ist ihr Resümee?
NEMECEK: Es war und ist nicht unsere Art aufzugeben, besonders nicht, wenn es schwierig wird. Darum haben wir im Bauernbund eine selbstkritische Analyse durchgeführt und die notwendigen Schlüsse gezogen.
Für uns ist klar: Wir müssen die Dinge wieder klar beim Namen nennen und unsere Forderungen stärker zum Ausdruck bringen.
Das neue Forderungspapier mit 5×5 Punkten war das logische Ergebnis der Mitgliederbefragung und den vielen Versammlungen mit unseren Orts- und Gemeindebauernratsobleuten.
Was ist für Sie persönlich das wichtigste Thema aus dem Forderungspapier?
Es ist alles wichtig, weil alle Forderungen den Bauernstand und die Versorgungssicherheit stärken.
Aber für mich als junger Familienvater, ganz klar: Eigentum und Leistung.
Wenn man in diesem Bereich neue Steuern einführt, wird der Anreiz zu Leistung noch geringer und der Neid noch größer. Das schadet unserer Gesellschaft und unserer Heimat.
Wer glaubt, dass man mit solchen Steuern von Millionären nur einen Cent bekommt, wird sehen, wie schnell solche Personen ihr Vermögen ins Ausland schaffen. Hauptbetroffen wäre das Rückgrat unserer Gesellschaft, der Mittelstand, nämlich Häuslbauer, kleine Unternehmer und unsere Bauern.
Freibeträge und Ausnahmen sollen aber genau diesen Mittelstand vor den neuen Steuerideen auf Eigentum (Erbschaft, Schenkung und Vermögen) schützen, fordert etwa die SPÖ:
Ja, die SPÖ redet von Millionären und meint die Leistungsträger in unserem Land. Ich erinnere an die Forderung der roten Gewerkschaft, diese Steuern schon ab 150.000 Euro einzuführen. Ebenso bezweifle ich, dass Politiker, die den Unterschied zwischen Verkehrs- und Einheitswert nicht kennen, hier an treffsicheren Lösungen interessiert sind. Für alle, die mir in diesem Punkt nicht glauben, rate ich, einen Blick zu unseren deutschen Nachbarn zu werfen.
Sie meinen die neuen Erbschafts- und Schenkungssteuern der deutschen Bundesregierung?
Genau. In Deutschland regiert seit 2021 eine linke Mehrheit aus Sozialisten, Grünen und Liberalen, also der Wunschkoalition auch unserer österreichischen linken Parteien. Sie zeigen uns in Deutschland vor, in welche Richtung sie tatsächlich gehen wollen.
Mit den neuen deutschen Erbschafts- und Schenkungssteuern müssen beispielsweise bei einem Einfamilienhaus mit einem Verkehrswert von 600.000 Euro rund 90.000 Euro an Steuern bezahlt werden. Mit so einem Haus ist man bei Gott noch kein Millionär.
Auch bei anderen Themen sind offenbar alle Schranken gefallen und sie machen aus ihrer linken Ideologie keinen Hehl: Heizen mit Holz soll nicht mehr „grün“, also nachhaltig sein oder ein Fleischverbot in den Ministeriumskantinen und ein Werbeverbot für Milchprodukte sind weitere Beispiele für geplante Vorhaben der deutschen Bundesregierung.
Themenwechsel: Teuerung. Die Präsidentin der Arbeiterkammer Renate Anderl meinte in der ORF-„Pressestunde“, dass sie nicht verstehe, warum zum Beispiel Milch um 50 Prozent teurer geworden sei und: „Jetzt soll mir mal einer sagen, ob wir weniger Kühe oder weniger Gras für die Kühe haben.” Wer ist an der aktuellen Teuerungswelle „schuld“?
Das liegt klar auf der Hand. Die Teuerung der Energie, also Strom, Öl und Gas schlägt in jedem Bereich voll durch. Hier sind wir in Österreich, aufgrund unserer großen Abhängigkeit vom russischen Gas auch stärker betroffen als andere EU-Länder. Deshalb ist bei uns auch die Inflation höher.
Wenn hier eine Sozialpartnerin (Anm. AK-Präsidentin Renate Anderl, die BauernZeitung hat davon berichtet) billigen Klassenkampf proben will, dann ist das in einer Krise genau das Falsche. Die Sozialpartner aus Landwirtschafts-, Wirtschafts- und Arbeiterkammer und Gewerkschaft haben unser Land nach dem Zweiten Weltkrieg wesentlich mitgeprägt. Schade, dass dieser Weg der Vernunft verlassen wurde.
Warum bei den Handelskonzernen die Lebensmittelpreise im Regal steigen, während bei unseren Bauern etwa die Milch- und Getreidepreise fallen, wollen wir uns gemeinsam mit der Bundeswettbewerbsbehörde ansehen. Sie wird die Preisgestaltung im Handel sowohl für die Lieferanten, als auch für die Konsumenten genau unter die Lupe nehmen.
Wir lassen sicher nicht zu, dass man unseren Bäuerinnen und Bauern den schwarzen Peter zuschiebt.
Im Herbst soll die Herkunftskennzeichnung in Großküchen starten. Ihnen geht dieser Schritt aber nicht weit genug. Sie fordern ein niederösterreichisches Vorbild, wie soll das aussehen?
Hier sind schon viele wichtige Maßnahmen getroffen worden. Im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung in Spitälern, Schulen oder auch in den Kasernen wird nun bei Fleisch, Milch und Eiern gekennzeichnet, woher die Produkte stammen. Man muss hier aber noch nachbessern, denn eine Kennzeichnung wie „EU“ und „Nicht-EU“ geht unserer Ansicht nach am Ziel vorbei. Wir fordern daher in den Kantinen des Landes deutlich mehr Transparenz, also etwa die Kennzeichnung der Länder ein. Auch punkto Kontrolle der Angaben wollen wir in Niederösterreich einen Gang zulegen.
In unseren östlichen Nachbarstaaten sorgt das „Getreideabkommen“ mit der Ukraine für intensive Diskussionen. Auch im Forderungspapier ist das Thema, worum geht es?
Klar ist für uns, man muss den Menschen in der Ukraine helfen, wo und wie es uns im Rahmen unserer Neutralität möglich ist.
Dieses Abkommen hatte den Zweck, die ukrainischen Getreideexporte dorthin zu bringen, wo sie am dringendsten benötigt werden – nach Afrika. Durch den von Russland gesperrten Seeweg ist das leider nicht möglich. Der viel teurere Export über den Landweg durch die EU ist die Folge und belastet zusätzlich, gerade jetzt vor der Ernte, unsere Lagerkapazitäten. Unsere Aufgabe als Politik ist es auch, dass unsere Konsumenten nicht mit Lebensmitteln versorgt werden, welche unterhalb unserer hohen Standards produziert werden.
Gerade durch diese Situation fordern wir, neben Maßnahmen auf europäischer Ebene, die sofortige Umsetzung des AMA-Gütesiegels für Getreide und Ackerkulturen.
Sie üben, oftmals gemeinsam mit den EU-Abgeordneten Alexander Bernhuber, in Aussendungen und politischen Diskussionen deftige Kritik an der EU. Was läuft ihrer Meinung nach falsch in Brüssel?
Die Europäische Union war in den letzten Jahren am falschen Weg. Diese Kritik muss sich Brüssel auch gefallen lassen. Unsere Versorgungssicherheit und die Produktion wurden vernachlässigt.
Nach der Coronapandemie und besonders durch den Krieg in der Ukraine merken wir aber ein Umdenken.
Das gibt uns Hoffnung. Eine Kehrtwende ins Gute hat unlängst erst die Europäische Volkspartei mit dem neuen Bauernpakt losgetreten. Der klare Fokus liegt auf der Versorgungssicherheit unter dem Motto „Lasst unsere Bauern arbeiten“. Dieser Bauernpakt ist maßgeblich unter der Mitwirkung unseres Bauernbund-EU-Abgeordneten Alexander Bernhuber entstanden. Er ist in wenigen Jahren vom Jungparlamentarier zu einem wichtigen agrarpolitischen Spieler in Brüssel geworden.
Als Chefverhandler beim Pflanzenschutz oder jetzt auch bei der Herkunftskennzeichnung beeinflusst er wichtige Themen für unsere Landwirtschaft.
So ist es in den letzten Monaten gelungen, das Ruder herumzureißen, etwa den Green-Deal abzusagen und den Abschuss von Wölfen zu ermöglichen.
Jetzt befinden wir uns am Scheideweg in Brüssel und die nächsten Wahlen werden entscheiden – gewinnt die Versorgungssicherheit oder ökoromantische Fantasien die Oberhand? Die Wähler haben es im Juni 2024 bei den EU-Wahlen in der Hand.
Ein Blick in die Zukunft. Wie wird sich die Versorgungssicherheit entwickeln?
Dank unserer leistungsstarken Landwirtschaft können wir uns noch selbst versorgen. Aber ich betone hier deutlich das noch. Die Versorgungssicherheit ist nicht selbstverständlich.
Hier haben wir drei Lösungsschritte entwickelt und in unserem Forderungspapier niedergeschrieben. Erstens eine Fokussierung auf eine Vor-Ort-Produktion und weniger Import, eine klare Absage an das Mercosur-Abkommen. Zweitens einen verpflichtenden Versorgungssicherheits-Check bei allen neuen Gesetzen, der die Auswirkungen auf die Lebensmittelproduktion deutlich aufzeigen soll – oder kurz gesagt – ohne Alternativen, keine Verbote. Und drittens und abschließend braucht es Anreize für Forschung und Entwicklung in diesem Bereich. Wir machen das Jahr 2024 zum Forschungsjahr der Versorgungssicherheit. Hier entwickeln wir gerade Sonderstipendien für wissenschaftliche Arbeiten im Bereich der Versorgungssicherheit und führen Gespräche für eine intensive Zusammenarbeit mit Universitäten und Fachhochschulen.
Während viele die Sommermonate nutzen, um Urlaub zu machen, befinden sich die Bäuerinnen und Bauern im „Erntestress“. Auch im Bauernbund laufen derzeit die Hofgespräche auf Hochtouren, das heißt also keine Rede von einem „Sommerloch“?
Unsere Bauernbund-Hofgespräche in den Ortsgruppen sind die ideale Gelegenheit, um mit unseren Mitgliedern die aktuellen Herausforderungen zu diskutieren. Das gemeinsame Gespräch und der persönliche Kontakt ist die große Stärke des Bauernbundes. Von einem politischen Sommerloch kann also keine Rede sein, die Arbeit geht durch, ebenso wie bei unseren Mitgliedern. Daher darf ich zum Abschluss noch eine ertragreiche und vor allem unfallfreie Ernte wünschen.
- Bildquellen -
- Direktor Nemecek im Gespräch: NÖ BB/Philipp Monihart