In Deutschland haben SPD, Die Grünen und FDP ihre Verhandlungen abgeschlossen und für “grünes Licht” für die erste “Ampel”-Dreier-Koalition in der Geschichte des Landes gegeben. Beim Kapitel Landwirtschaft sehen Bauernvertreter indes in einigen Punkten tiefrote Warnsignale für ihre künftige Arbeit und die gesamte Branche.

Die agrarischen Pläne Deutschlands unter dem Motto “Mehr Fortschritt wagen” im künftigen Regierungsprogramm, offenbar maßgeblich formuliert von Grün und Rot, bergen neue Weichenstellungen mit teils massiven Auswirkungen auf Stall und Feld. Der Druck vor allem für konventionell wirtschaftende Betriebe betreffend Umwelt-, Klima- und Tierschutz wie auch auf Soziales steigt.
Und das sieht das 177 Seite starke Koalitionsabkommen vor:
Bereits 2022 einführen will man eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung, auch für Transport und Schlachtung, begleitet von einer Informationskampagne für Konsumenten, um die hiesigen Landwirte beim Umbau auf mehr Tiergerechtheit in ihren Ställe zu unterstützen. Investförderungen will man künftig mit Tierhaltungskriterien verknüpfen. Geplant ist auch ein Ende der Anbindehaltung in spätestens zehn Jahren.
Auf den Feldern vorgesehen ist die Beschränkung von Pflanzenschutz auf das notwendigste und ein Anwendeverbot von Glyphosat mit Ende 2023. Aufhorchen lassen Bauernvertreter auch Vorhaben wie die Evaluierung eines Konzepts, wie die Direktzahlungen ab 2027 durch Honorierung von Klima-und Umweltleistungen ersetzt werden können. 30 Prozent Ökolandbau-Anteil bis 2030, immer mehr Schutzgebiete oder die Stärkung Vertragsnaturschutz finden sich ebenfalls in dem Papier.

Strenge Auflagen für den Tierschutz

Nochmals zurück zu den strengere Auflagen für den Tierschutz: Solche will an auch für Prüf- und Zulassungsverfahren für Stallsysteme und Betäubungsanlagen. Dazu kameragestützte Überwachungssysteme in den tierschutzrelevanten Bereichen in Schlachthöfen. Auch plant man in Berlin, Teile des Tierschutzrechts in das Strafrecht überzuführen. Und Schlachttransporte sollen national nur noch auf zugelassenen Routen mit Versorgungssystemen erlaubt werden. Weiter senken will die künftige Ampel-Regierung den Antibiotikaeinsatz.
Eher schwammig formuliert wurde der Punkt “Zusammenleben Weidetieren, Mensch und Wolf”, trotz der steigenden Wolfspopulation setzt man auf einen “institutionalisierten Dialog” und “europarechtskonform abgestimmt auf ein regional differenziertes Bestandsmanagement”.

Glyphosatverbot ohne Folgenabschätzung

Das gerade seit Beginn der Corona-Krise wichtige Thema Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln ist indes offenbar kein Ziel der neuen Regierung. Zumindest wird diese mit keinem Wort erwähnt. Einige der genannten Ziele und Maßnahmen könnte diese aber mittel- bis langfristig in Gefahr bringen, etwa das geplante Glyphosatverbot, weil nicht im Europäischen Gleichklang und ohne Folgenabschätzung. Bald mögliche Haft- statt Verwaltungsstrafen bei Tierschutzvergehen, die strafrechtlich geahndet werden, oder “Big Brother” in Schlachthöfen, sorgen bei Tierhaltern für mehr als nur ein mulmiges Gefühl. Damit sei es auch zur verpflichtende Videoüberwachung in den Ställen nicht mehr weit, wird befürchtet.

Landwirtschaft und Umwelt bleiben zwei Ressorts

Traktor mit Rundballen vor zwei roten Amplen auf einer Strasse

Fix ist, dass das Landwirtschaftsministerium ein eigenständiges Ressort bleibt, nicht mit dem Umweltagenden zusammengelegt von einem Regierungsmitglied der Grünen geleitet werden wird. Die Grünen wollen ihr Regierungsteam demnächst bekanntgeben.
Das agrarische Nachrichtenportal agrarheute.com berichtet bereits davon, der Koalitionsvertrag der Ampel sei unter den Landwirten “überwiegend kritisch” aufgenommen worden. Im Internet hätten viele Bauern bereits ihrem Ärger Luft gemacht. Speziell von der SPD und den Grünen habe man aber ohnehin kaum anderes erwartet, so der allgemeine Tenor. Der FDP gestehen viele zu, radikaleres verhindert zu haben.
Der Präsident des Deutschen Bauernverband, Joachim Rukwied, zeigte sich in einer ersten Stellungnahme zurückhaltend und begrüßt die geplante verpflichtende Haltungskennzeichnung. Generell enthalte der Koalitionsvertrag “weitere gewaltige Herausforderungen für die Landwirtschaft.” Für den Agrarsprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Artur Auernhammer, ist der Koalitionsvertrag der links-liberalen Regierung, die Anfang Dezember angelobt werden soll, “agrarpolitisch eine herbe Enttäuschung”. Ähnlich wie er argumentiert der Vorsitzende der Familienbetriebe Land und Forst, Max von Elverfeldt: Die Ergebnisse der Zukunftskommission Landwirtschaft würden im Vertrag nicht einmal erwähnt.
Zustimmung kommt dagegen von Vertretern der Biobranche – Bauern wie Energieerzeuger – und wenig erstaunlich von Tierschutzorganisationen.

 

Das Koalitionspapier im Wortlaut

Das Kapitel Landwirtschaft, im 177seitigen Koalitionspapier auf den Seiten 43 bis 47, hier nachfolgend im Wortlaut:

Landwirtschaft und Ernährung

Eine nachhaltige Landwirtschaft dient zugleich den Interessen der Betriebe, des Tierwohls und der Natur und ist Grundlage einer gesunden Ernährung.

Tierschutz

Wir führen ab 2022 eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung ein, die auch Transport und Schlachtung umfasst. Unser Ziel sind entsprechende verbindliche EU-weit einheitliche Standards. Zudem führen wir eine umfassende Herkunftskennzeichnung ein. Wir begleiten die Einführung mit einer Informations- und Aufklärungskampagne. Wir wollen die Landwirte dabei unterstützen, die Nutztierhaltung in Deutschland artgerecht umzubauen. Dafür streben wir an, ein durch Marktteilnehmer getragenes finanzielles System zu entwickeln, mit dessen Einnahmen zweckgebunden die laufenden Kosten landwirtschaftlicher Betriebe ausgeglichen und Investitionen gefördert werden ohne den Handel bürokratisch zu belasten. Die Investitionsförderung wird künftig nach den Haltungskriterien ausgerichtet und in der Regel nur nach den oberen Stufen gewährt. Das Bau- und Genehmigungsrecht ist entsprechend anzupassen. Die Entwicklung der Tierbestände soll sich an der Fläche orientieren und wird in Einklang mit den Zielen des Klima-, Gewässer- und Emissionsschutzes (Ammoniak/Methan) gebracht. Wir wollen die Emissionen aus Ammoniak und Methan unter Berücksichtigung des Tierwohls deutlich mindern. Die Landwirte sollen auf dem Weg zur Klimaneutralität im Rahmen des Umbaus der Nutztierhaltung unterstützt werden.

Wir streben an, Planungs- und Investitionssicherheit herzustellen. Wir führen ein Prüf- und Zulassungsverfahren für Stallsysteme und für serienmäßig hergestellte Betäubungsanlagen ein. Wir verbessern die Rechtsvorschriften zum Schutz vor Bränden und technischen Störungen in Ställen, unter Berücksichtigung von angemessenen Übergangsfristen. Wir schließen bestehende Lücken in der Nutztierhaltungsverordnung und verbessern das Tierschutzgesetz (Qualzucht konkretisieren, nicht­kurative Eingriffe deutlich reduzieren, Anbindehaltung spätestens in zehn Jahren beenden).
Wir erarbeiten eine Tiergesundheitsstrategie und etablieren eine umfassende Datenbank (inkl. Verarbeitungsbetriebe tierischer Nebenprodukte). Wir werden den wirkstoff- und anwendungsbezogenen Antibiotikaeinsatz in landwirtschaftlichen Betrieben erfassen und senken.

Lebendtiertransporte in Drittstaaten werden künftig nur erlaubt, wenn sie auf Routen mit nachgewiesen tierschutzgerechten Versorgungseinrichtungen stattfinden. Wir setzen uns auch auf EU­Ebene für bessere Regelungen für Tiertransporte und einen Ausbau des Datenbanksystems TRACES ein. Wir fördern dezentrale und mobile Schlachtstrukturen. Sie schaffen die Rechtsgrundlage zur Einführung eines standardisierten kameragestützten Überwachungssystems in besonders tierschutzrelevanten Bereichen in Schlachthöfen ab einer relevanten Größe. Wir schließen Rechts- und Vollzugslücken im Bereich des Tierschutzes, um der Verantwortung aus der ausschließlich dem Staat zustehenden Eingriffskompetenz gerecht zu werden. Wir überführen Teile des Tierschutzrechts in das Strafrecht und erhöhen das maximale Strafmaß. Wir legen eine Reduktionsstrategie zu Tierversuchen vor. Wir verstärken die Forschung zu Alternativen, ihre Umsetzung in die Praxis und etablieren ein ressortübergreifendes Kompetenznetzwerk.
Wir führen für den Onlinehandel mit Heimtieren eine verpflichtende Identitätsüberprüfung ein. Die Kennzeichnung und Registrierung von Hunden werden obligatorisch. Wir aktualisieren die Leitlinien für Tierbörsen und erarbeiten eine Positivliste für Wildtiere, die nach einer Übergangsfrist noch in Zirkussen gehalten werden können.
Die Bildungsarbeit zoologischer Gärten werden wir unterstützen. Tierheime werden wir durch eine Verbrauchsstiftung unterstützen. Wir setzen uns für ein EU-weites Verbot der Haltung und Zucht von Pelztieren ein. Der Bund nimmt in länderübergreifenden Krisen- und Seuchenfällen wie der Afrikanischen Schweinepest eine koordinierende und unterstützende Funktion wahr und beseitigt rechtliche Mängel. Wir schaffen das Amt einer oder eines Tierschutzbeauftragten.

Europäische Agrarpolitik

Wir sorgen unverzüglich dafür, dass die Begleitverordnungen zum nationalen Strategieplan der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) mit dem Ziel des Umwelt-und Klimaschutzes sowie der Einkommenssicherung angepasst werden.
Die aktuelle Architektur wird spätestens zur Mitte der Legislaturperiode überprüft und im Sinne der Zielerreichung angepasst. Für die verlässliche Weiterentwicklung ab 2027 legt die Bundesregierung mit dieser Evaluierung ein Konzept vor, wie die Direktzahlungen durch die Honorierung von Klima-und Umweltleistungen angemessen ersetzt werden können. Dies dient auch der Einkommenswirksamkeit.

Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und Küstenschutz {GAK)

Orientiert an der Reform der GRW werden wir die Gemeinschaftsaufgabe neu an unseren Zielen ausrichten und setzen uns für eine überjährige und flexible Finanzierung ein. Neue Aufgaben wie Naturschutz und Klimaanpassung müssen durch zusätzliche Finanzmittel gesichert werden. Kooperationen zwischen Naturschutz und Landwirtschaft sollen für die landwirtschaftliche Förderung eine rechtliche Grundlage erhalten.

Ernährung

Wir werden, insbesondere mit Blick auf Kinder, mit den Akteuren bis 2023 eine Ernährungsstrategie beschließen, um eine gesunde Umgebung für Ernährung und Bewegung zu schaffen.
Wir werden die Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung aktualisieren, in der Gemeinschaftsverpflegung als Standard etablieren, Vernetzungsstellen weiterbetreiben und Modellregionenwettbewerb durchführen. Unser Ziel ist, den Anteil regionaler und ökologischer Erzeugnisse entsprechend unserer Ausbauziele zu erhöhen. Wir werden gemeinsam mit allen Beteiligten die Lebensmittelverschwendung verbindlich branchenspezifisch reduzieren, haftungsrechtliche Fragen klären und steuerrechtliche Erleichterung für Spenden ermöglichen. Wir stärken pflanzliche Alternativen und setzen uns für die Zulassung von Innovationen wie alternative Proteinquellen und Fleischersatzprodukten in der EU ein. An Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett-und Salzgehalt darf es in Zukunft bei Sendungen und Formaten für unter 14-Jährige nicht mehr geben. Wir werden ein EU-weites Nutriscore wissenschaftlich und allgemeinverständlich weiterentwickeln. Wir unterstützen die Entwicklung von Kriterien für einen ökologischen Fußabdruck. Wir werden den gesundheitlichen Verbraucherschutz stärken und zu gesundheitsgefährdenden Stoffen wie endokrine Disruptoren, Mehrfachbelastungen, Kontaktmaterialen forschen. Lebensmittelwarnung.de wird praktikabler weiterentwickelt. Wir schaffen wissenschaftlich fundierte und auf Zielgruppenabgestimmte Reduktionsziele für Zucker, Fett und Salz.

Landbau

Das Artensterben, der Verlust der Biodiversität ist eine weitere ökologische Krise. Wir wollen den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf das notwendige Maß beschränken. Mit folgenden Maßnahmen wollen wir den Einsatz ambitioniert reduzieren:
Wir werden die gesamte Landwirtschaft in ihrer Vielfalt an den Zielen Umwelt- und Ressourcenschutz ausrichten (ökologischer Landbau). Wir wollen eine Landwirtschaft im Einklang von Natur und Umwelt weiterentwickeln. Wir wollen 30 Prozent Ökolandbau bis zum Jahr 2030 erreichen. Hierfür wollen wir die Bundesmittel für das Bundesprogramm Ökolandbau erhöhen und entsprechend dem Ausbauziel Agrarforschungsgelder für Forschungsbelange des Ökolandbaus zur Verfügung stellen. Wir erweitern die Zukunftsstrategie ökologischer Landbau um die gesamte Bio­Wertschöpfungskette.
Der integrierte Pflanzenschutz wird ergänzt, wir stärken seine Forschung und Förderung und entwickeln den Nationalen Aktionsplan weiter.
Pflanzen sollen so geschützt werden, dass Nebenwirkungen für Umwelt, Gesundheit und Biodiversität vermieden werden. Die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln muss transparent und rechtssicher nach wissenschaftlichen Kriterien erfolgen, bestehende Lücken auf europäischer Ebene werden geschlossen. Gleichzeitig muss eine schnellere Entscheidung stattfinden.
Zudem sorgen wir für eine Verbesserung der Verfügbarkeit von Pflanzenschutzmitteln, insbesondere für Anwendungen von geringfügigem Umfang bei vielfältig angebauten Sonderkulturen, für den Vorratsschutz und für geeignete Resistenzstrategien.
Wir setzen auch auf digitale Anwendungen und moderne Applikationstechnik zur zielgenauen Ausbringung und Vermeidung von Abdrift.
Wir stärken Alternativen zu chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln (Biologicals, low risks, Pflanzenstärkungsmittel, physikalisch, biologisch, Anbaumethoden, Robotik, Drohnen, Digitalisierung, Prognosemodelle etc.) und verbessern die zugehörigen Verfahren.
Analog zu bestehenden Reglungen zu Pestiziden in Naturschutzgebieten, bei den Landwirtinnen und Landwirten einen Erschwernisausgleich bekommen, wollen wir Regeln für die Trinkwasserschutzgebiete finden.
Wir nehmen Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt.
Ein digitales Herkunfts- und Identifikationssystem Nährstoff- und Pflanzenschutz, mit dem Ziel, die Reduktionsstrategie voranzubringen, soll eingeführt werden.
Die Züchtung von klimarobusten Pflanzensorten wollen wir unterstützen. Dazu verbessern wir die Rahmenbedingungen auch für Populationssorten, fördern Modellprojekte wie Crowd-Breeding, Digitalisierung, stellen Transparenz über Züchtungsmethoden her und stärken die Risiko-und Nachweisforschung.

Digitalisierung in der Landwirtschaft

Wir werden die von der Landwirtschaft und Ernährung benötigten öffentlichen Daten einfacher und in geeigneter Qualität und Aktualität den berechtigten Nutzern frei zur Verfügung stellen und dazu eine echte Plattform mit zentralem Zugang zu sämtlichen staatlichen Daten und Diensten einrichten, insbesondere auch für entsprechende Verwaltungsdienstleistungen. Staatliche Daten aller Verwaltungsebenen sollen künftig in einheitlichen Formaten zur Verfügung gestellt werden. Der Agrardatenraum in Gaia-X als Basis einer europäischen Dateninfrastruktur mit klarem Nutzungsrecht für Landwirte an den betriebsspezifischen Daten, an deren Entstehung sie mitgewirkt haben, wird mit standardisierten Schnittstellen weiterentwickelt. Open-Source-Formate werden ausdrücklich unterstützt.

Bodenpolitik

Die Debatte der EU-Kommission über die “Carbon Removal Certification Guidelines” begleiten wir aktiv. Wir brauchen eine Aktualisierung des Bodenschutzgesetztes, ein Bodenmonitoringzentrum und wir müssen die EU bei einer Bodenrichtlinie unterstützen. Wir verstärken Forschung und Förderung zu klimarobustem Pflanzenbau. Sie startet hierfür ein Bundesprogramm “Zukunftsfähiger Ackerbau”. Die Eiweißpflanzenstrategie entwickeln wir weiter.
Die BVVG-Flächen werden für Ausgleichs-und Ersatzmaßnahmen sowie Klima-und Artenschutz genutzt. Dabei werden landwirtschaftlich genutzte Flächen vorrangig an nachhaltig bzw. ökologisch wirtschaftende Betriebe verpachtet und nicht veräußert.

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AUTORBernhard Weber
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