Kommentar von Prof. Hubert Wachter,
Publizist.
Es ist beispiellos und schier atemberaubend, dass es nur knapp 100 Stunden (!) bedurfte, die innenpolitischen Weichen Österreichs völlig umzukrempeln. Das, was sich unmittelbar nach der Jahreswende zwischen 2. und 4. Jänner dazu abspielte, ist eine tatsächliche Zeitenwende in der Zweiten Republik. Für viele ein politischer Tabubruch – weil Österreich erstmals in seiner immer bewegten Geschichte mit Herbert Kickl einen FPÖ-Bundeskanzler bekommen dürfte. Etwas nüchterner betrachtet handelt es sich eher um eine wuchtige Zäsur – weil Rechtspopulisten ohnehin seit geraumer Zeit in fünf von neun Bundesländern mitregieren, zuletzt sogar die Steiermark eroberten und nunmehr dank inferiorer „Zuckerl”-Verhandler den Kanzler quasi auf dem Präsentierteller bekommen.
Europapolitisch betrachtet kann man jetzt nur schwer von einem Tabubruch in Österreich reden. Immerhin sind bereits in sieben EU-Staaten Rechtspopulisten regierungstechnisch mit von der Partie (etwa in Holland, Ungarn, der Slowakei oder Italien). Österreichs Entwicklung ist also nicht mehr einzigartig. Die „Brandmauer gegen Rechts“ ist in Europa im Zerfallen, Ratlosigkeit macht sich breit, Ausgrenzungen funktionieren nicht mehr.
Hierzulande irritiert indes die tollkühne 180-Grad-Wendung der ÖVP vom schärfsten Kickl-Gegner zum nunmehrigen Junior-Koalitionspartner von ihm. Insbesondere Franz Fischler, einst und bis heute als EU-Agrarkommissar weltweit höchst geachtet, trägt sich mit Austrittsgedanken aus der ÖVP und meint: „Das ist alles ziemlich riskant!”