Hagelversicherung: Der Klimawandel fordert auch die Pflanzenzüchtung heraus

Hohe Temperaturen und Trockenheit sind die größten Herausforderungen im Getreidebau. Die Züchtung reagiert darauf mit früheren Sorten.

Der Ackerbau braucht Sorten, die mit dem Klimawandel zurechtkommen! Unter diesem Imperativ hat die Österreichische Hagelversicherung am 20. Jänner 2021 zu einem Webinar eingeladen. Dr. Kurt Weinberger, Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Hagelversicherung, betonte in seinen einleitenden Worten, wie wichtig es sei, in Forschung und insbesondere Pflanzenzucht zu investieren. Weinberger: „Wir werden in Zukunft stabilere Erträge mit weniger Ressourceneinsatz brauchen.“ Generell gelte es, die begrenzte Ressource Boden zu erhalten und bestmöglich und vor allem nachhaltig zu nutzen. Die Anzahl von knap 400 Teilnehmern an dem Webinar ist ein Beleg für die Wichtigkeit des Themas. Die Referenten des Webinars waren:
• Dr. Michael Gohn, Geschäftsführer der Probstdorfer Saatzucht GesmbH & Co KG
• Univ.Prof. Dipl.-Ing. Dr. Hermann Bürstmayr, Leiter des Institutes für Pflanzenzüchtung der Boku Wien
• Dipl.-Ing. Klemens Mechtler, Leiter der Abteilung für Nachhaltigen Ackerbau, Ages Wien
• Dipl.-Ing. Johann Birschitzky, Geschäftsführer Saatzucht Donau
• Dipl.-Ing. Dr. Johann Blaimauer, Bereichsleiter für Saatgut und Holz, RWA und
• Dr. Andreas Heissenberger, MA, Leiter der Abteilung Landnutzung & Biologische Sicherheit im Umweltbundesamt Wien.

Diskussion über Saatgutgesetzgebung

Laut Michael Gohn ringt die EU derzeit um eine Neufassung der Saatgutgesetzgebung. Damit bleibt vorläufig offen, wie man neu entwickelte Züchtungsmethoden (Genome Editing) in die Regulierung einbinden kann. Derzeit gilt das Urteil des Europäischen Gerichtshofes aus 2018, der die neuen Verfahren als „Gentechnik“eingestuft hat. Damit is die Anwendung in Europa stark eingeschränkt. Die Diskussion ist weiter im Gange.
Grundsätzlich ist die Zulassung von Saatgut in fast allen Ländern der Welt reguliert. In der EU sind gegenwärtig 12 Richtlinien für die verschiedenen Kulturarten in Kraft. Der europäische Saatgutmarkt beträgt jährlich ca. 10 Mrd. Euro. Hauptkulturen sind Getreide (39 %), Mais (26 %), Kartoffeln (14 %) und Gemüse (11 %). Stärkste Getreidezuchtunternehmen in der EU sind die französischen Genossenschaften RAGT und Limagrain, bei Mais führen Corteva (Pioneer) und Bayer (Monsanto).

Pflanzenzüchtung im Wettlauf mit dem Klimawandel

Boku-Professor Hermann Bürstmayr sieht es als sehr dringlich an, jede wirksame Maßnahme umzusetzen, um das das Klimaziel (maximal 1,5 °C Erwärmung) zu erreichen. Spezifische Herausforderungen für die Pflanzenzüchtung sind die Zunahme von Hitze- und Trockenperioden in den kritischen Wachstumsphasen, Wetterkapriolen und Witterungsschwankungen sowie Änderungen bei Schädlingen und Pflanzenkrankheiten. Die Züchtung kann durch Selektion regional angepasste Sorten entwickeln. Sie kann allerdings keine Wunder vollbringen und die Auswirkungen des Klimawandels nicht kompensieren. Auch trotz neuer und angepasster Sorten könnten die Erträge insgesamt sinken.

Quelle: Oberforster / Ages
Ein Weizenbestand mit Trockenschaden. Im Frühjahr 2020 waren solche Schläge häufig zu sehen.

Risikobewertung bei der Sortenzulassung

Laut Klemens Mechtler werden Sortenkandidaten in Österreich vor ihrer Zulassung in mehrortigen und mehrjährigen Versuchen im direkten Vergleich mit aktuellen Sorten in ihren Anbau-, Krankheits- und Qualitätseigenschaften nach anerkannten Methoden beurteilt. Nahezu alle Sorteneigenschaften sind von der Witterung beeinflusst. Angesichts des Klimawandels sind Sorteneigenschaften wie Raschheit im Jugendwachstum, Frühreife, Widerstandskraft gegenüber Lagerung, Krankheiten und wärmeliebenden Schaderregern, Toleranz gegenüber Wassermangel und Hitzestress und das Abreifeverhalten, bei im Herbst reifenden Kulturarten, im Hinblick auf die Nutzung längerer Vegetationszeiten bedeutsam.

Der Anbau verlagert sich zu den Winterungen

Johann Birschitzky von der Saatzucht Donau sieht den Umstieg von Sommer- auf Wintergetreide als Anpassungsstrategie an den Klimawandel. Innerhalb der Kulturen sind die frühreifen Sorten zu bevorzugen. Wintergerste wird zunehmen, weil sie das mit Abstand früheste Ährenschieben aufweist. Stresstoleranz von Getreide lässt sich vor allen in heißen, trockenen Regionen wie Türkei, Rumänien, Ungarn etc. sicher testen. Genomische Selektion ist eine wertvolle Hilfe, um besonders stresstolerante Zuchtstämme zu identifizieren. Sojabohne ist deutlich besser hitzeangepasst und hat in Österreich und Europa eine große Zukunft (Reduktion Dünger und Pflanzenschutz, Trend zu pflanzlicher Ernährung, Ersatz von GVO-Importfuttermittel).

Auch auf „kleine“ Kulturen achten

Auch Johann Blaimauer zählt die Zunahme der Winterformen zu den pflanzenbaulich erfolgreicheren Strategien in der Klimaerwärmung. Blaimauer nannte in diesem Zusammenhang Fruchtarten wie Winterackerbohne und Wintererbse, Winterhafer und Winterdurum oder auch Winterzuckerrübe. Aufgrund neuer Ernährungstrends geraten zunehmend auch Körnerfrüchte wie etwa Omega-3 angereichertes Soja oder Gemüse in das Blickfeld der Züchtung. Zur Förderung der Biodiversität sollte man in der heimischen Landwirtschaft auch verstärkt Augenmerk auf die Weiterentwicklung von Nischenkulturen legen, wie z. B. Amaranth, Kichererbse, Linse und vielen weiteren Kulturen

Genome Editing hat Potenziale aber auch Risiken

Andreas Heissenberger vom Umweltbundesamt erläuterte die Vor- und Nachteile der neuen Zuchtverfahren des Genome Editings. Verfahren wie z. B. die CRISPR-Cas Technik können relativ einfach bei vielen Pflanzenarten angewandt werden. Damit ist eine rasche Entwicklung unterschiedlichster Produkte möglich. Derzeit gibt es in der EU noch keine Zulassung solcher Nutzpflanzen und auch weltweit werden erst einige wenige vermarktet. Genome Editing ermöglicht es, Pflanzen krankheitsresistent oder stresstolerant (z.B. gegen Trockenheit oder Salz) zu machen. Allerdings ist diese erhöhte Fitness der Pflanzen auch mit möglichen Umweltrisiken, wie z.B. einem erhöhten Auswilderungspotenzial verbunden. Eine fundierte Risikoabschätzung ist daher auch bei diesen Pflanzen notwendig.

Das Webinar zum Nachhören und die Präsentation zum Download sind auf der Internetseite der Hagelversicheurng zu finden
www.hagel.at

- Bildquellen -

  • Trockenschaden WW: Oberforster / Ages
  • Parzellen Getreide: Engel/Ages
- Werbung -
QuelleH.M.
Vorheriger ArtikelTirol schneidet bei Energiebilanz gut ab
Nächster ArtikelBroadway – nichts wirkt breiter