Mehrfach in seiner 77-jährigen Geschichte stand das Werk vor der Herausforderung der Standortsicherung. Schon der Wegfall des südböhmischen Einzugsgebiets nach dem Zweiten Weltkrieg und die Konkurrenz zwischen Speise- und Industriekartoffeln in den Jahren des Wiederaufbaus waren Bedrohungsszenarien. Im Jahr 1988 folgte die Eingliederung in den Agrana-Konzern. Und in Vorbereitung auf den EU-Beitritt im Jahr 1995 ergaben sich wiederum neue Fragezeichen. Schon früh hatte man im Werk Gmünd neben der Herstellung von Kartoffelstärke auf weitere Produktionszweige gesetzt, um wirtschaftlich breiter aufgestellt zu sein. Beispielsweise war eine Ethanolanlage aufgebaut worden, und um die Auslastung der Trocknungstürme zu verbessern, wurde auch Kuhmilch zu Pulver verwertet. Genau diese beiden Sparten waren mit dem EU-Beitritt aber nicht mehr konkurrenzfähig und mussten geschlossen werden.
Gmünd würde auch TTIP meistern
Dagegenhalten müsse Europa hier vor allem mit Zollkontingenten. Was Österreich betreffe, so Marihart, habe sich Agrana mit seiner Stärkeproduktion bereits aus dem margenschwachen Massensegment der nativen Stärke verabschiedet und setze auf Veredelung und Spezialitäten. Marihart, der selbst seine berufliche Laufbahn im Jahr 1976 als Laborleiter im Werk Gmünd begonnen hat: “Agrana setzt auf eine Spezialitätenstrategie und sucht seine Chancen in Nischenmärkten.” Dazu gehören Positionierungen wie
• frei von Gentechnik,
• Spezialprodukte und auch
• Bioprodukte.
Damit sei es beispielsweise möglich geworden, gentechnikfreie Wachsmaisstärke, die keine Amylose enthält, sogar in die USA zu exportieren. Auch für die Kartoffelstärke gibt es spezielle Anwendungen, in denen sie nicht austauschbar ist. Das sind beispielsweise Nahrungsmittel wie Gummibärli oder kunststofffreie Klebestifte. Schwerpunkt in Gmünd bleibe selbstverständlich weiterhin der Nahrungsmittelbereich mit der Herstellung von Kartoffeldauerprodukten, wie Püree und Kartoffelteigmischungen.
Marihart: “Gmünd ist unter den fünf Agrana-Stärkefabriken jene mit der größten Veredelungstiefe. In Summe werden hier mehr als 300 verschiedene Stärkeprodukte hergestellt.”
Größere Sorgen im Werk Gmünd bereitet nach der extremen Trockenheit des Vorjahres wieder einmal die Rohstoffaufbringung. Anstelle der erwarteten 245.000 Tonnen Stärkekartoffeln konnten nur etwa 165.000 Tonnen angeliefert werden. Mit einer gesonderten Trockenheitsprämie und mit neuen Kontraktbedingungen für das laufende Jahr 2016 will Agrana die Aussaat von Stärkeindustriekartoffeln attraktiv für die Landwirte halten. Auch nach Südböhmen werden seit etwa fünf Jahren wieder Anbauverträge vergeben, um “das, was in Österreich fehlt” zu ergänzen. Etwa ein Viertel der Gmünder Verarbeitungsmenge wird derzeit aus dem Nachbarland zugeliefert.
Vom Gesamtausstoß des Werks entfällt jedoch nur etwa die Hälfte auf Kartoffelprodukte. Wie groß die Bedeutung von Spezialprodukten für Gmünd ist, zeigt etwa das Segment Säuglingsmilch. Seit etwa 20 Jahren ist man im Werk Gmünd in Partnerschaft mit namhaften Marken auf diesem Feld tätig und hat sich mit “learning by doing” das erforderliche Spezialwissen und eine Jahresproduktion von etwa 4000 Tonnen aufgebaut. Werksleiter Norbert Harringer: “Das oberste Gebot lautet: Hygiene, Hygiene, Hygiene.”
Mit dem Kindermilchskandal des Jahres 2008 in China und der seither explodierenden Nachfrage aus dem asiatischen Raum – in Deutschland wurden zeitweise von organisierten Trupps die Supermärkte leergekauft – schlug im Werk Gmünd die Stunde für Erweiterungsinvestitionen. Es wurde eine Anlage mit zwei Trockenmischlinien installiert, die erst jüngst in Betrieb genommen wurde.
Säuglingsmilch von der Ziege
Für den Standort Gmünd und für Agranachef Marihart sind das gute Nachrichten. Denn im Konzern ist das Segment Stärke mit seiner “erfreulichen Geschäftsentwicklung” zum “Ergebnisbringer” geworden, der den anhaltend starken Preisdruck im Segment Zucker abzufedern vermag.
Stärkefabrik Gmünd: 110.000 Tonnen Jahresausstoß
Hans Maad