„Eine gerechte Reform“

Dass es zum ersten Mal eine verpflichtende Umverteilung für die Mitgliedstaaten gibt, ist für den Vorsitzenden des Landwirtschaftsausschusses im Europaparlament, Norbert Lins, „das wichtigste neue Element“ der GAP-Reform, auf die sich die 27 EU-Mitgliedstaaten Ende Juni geeinigt haben.

Norbert Lins: „Jeder Bauer kann nun erstmals entscheiden, ob Öko-Regelungen in seinen Betrieb passen oder ob es möglicherweise sinnvoller sein könnte, auf diesen Teil der Beihilfen zu verzichten.“ Foto: EVP; Retusche BZ/Merl

Als besonderen Erfolg bezeichnet der EU-Agrarpolitiker auch die Details zu den Öko­-Regelungen. Das werde etwa daran deutlich, dass das Parlament mit einem durchschnittlichen Mindestanteil von 24 % hier deutlich mehr herausgeholt habe, als auf den ersten Blick ersichtlich sei. Im Gespräch mit dem Pressedienst Agra Europe unterstreicht der CDU-Politiker, dass die Mitgliedstaaten nun auch in ihren Strategieplänen der Kommission darlegen müssten, wie sie eine gerechtere Mittelverteilung erreichen wollen.

Unmittelbar nach der Einigung mit Kommission und dem Rat der Agrarminister Ende Juni haben Sie das GAP-Reformergebnis als „das ambitionierteste seit der 1992 unter EU-Agrarkommissar Ray McSharry“ bezeichnet. Viele Kritiker sehen das anders. Bleiben Sie bei Ihrer Aussage?
Lins: Ja. Zum einen gibt es einige neue Elemente, wie etwa die „Eco­Schemes“. Hier werden wir zum ersten Mal in der Geschichte der GAP die Direktzahlungen der Ersten Säule aufteilen. Neben der Basishektarprämie, die der Landwirt weiterhin erhält, bekommt er die Möglichkeit, über diese Öko-Regelungen zusätzliche Umweltmaßnahmen durchzuführen und dafür entlohnt zu werden. Jeder Bauer kann also erstmals entscheiden, ob Öko-Regelungen in seinen Betrieb passen oder ob es möglicherweise sinnvoller sein könnte, auf diesen Teil der Beihilfen zu verzichten. Ferner haben wir die Vorgaben für die Konditionalität in der Ersten Säule insgesamt deutlich angehoben. Zuversichtlich bin ich auch, was die neu geschaffene soziale Dimension betrifft, die ja bisher nicht Bestandteil der GAP war. Das wichtigste neue Element ist meiner Auffassung nach aber, dass es zum ersten Mal in der GAP-Geschichte eine verpflichtende Umverteilung für die Mitgliedstaaten gibt. Es ist also auch eine gerechte GAP.

Grüne und Sozialdemokraten sehen diese Umverteilung als unzureichend und kritisieren, dass es den Mitgliedstaaten trotz der verpflichtenden Umverteilungsrate von 10 Prozent weiter überlassen bleibt, bis zu welcher Betriebsgröße die ersten Hektar besonders unterstützt werden.
Das sehe ich anders. Bisher war die Umverteilung rein freiwillig. Das führte dazu, dass die Mitgliedstaaten dieses Instrument auch nur teilweise genutzt haben. Die Mehrheit der Agrarminister wollte sich zunächst auch nur auf eine Umverteilung von fünf Prozent einlassen. Jetzt haben wir immerhin zehn Prozent erreicht. Deutschland geht mit einer Umverteilungsrate von zwölf Prozent sogar noch darüber hinaus und entspricht damit den ursprünglichen Forderungen des Europaparlaments. Darüber hinaus müssen die Mitgliedstaaten auch in den Strategieplänen der Kommission darlegen, wie sie eine gerechtere Mittelverteilung erreichen wollen. Sollte dies nicht zielgerichtet genug erfolgen, kann die Kommission auch hier noch intervenieren.

Laut Teilnehmern des GAP-Trilogs habe EU-Kommission-Vizepräsident Frans Timmermans festgehalten, dass zehn Prozent im Prinzip nicht ausreichen würden, um die Mittelverteilung tatsächlich gerechter zu gestalten und kleinere Betriebe stärker zu fördern…
Es stimmt, dass sich die Kommission in ihrem Vorschlag von 2018 eine Umverteilungsrate von 15 Prozent gewünscht hatte. Diese Zahl konnte aber weder im Parlament noch im Rat eine Mehrheit erzielen. Am Ende kann man sich also mit den zehn Prozent als Kompromiss ruhig zufrieden geben. Das ist ein ganz wichtiger Schritt, weil wir bisher eben keine Verpflichtung hatten.

Das EU­-Parlament hat sich dafiir eingesetzt, dass für die Erste Säule für Agrarholdings eine jährliche Obergrenze von 500.000 Euro und für die Zweite Säule von 1 Million Euro gelten soll, um Beihilfen an außerlandwirtschaftliche Investoren zu reduzieren. Damit ist man aber gescheitert. Warum hat sich der Rat, also die Agrarminister, Ihrer Ansicht nach so sehr dagegen gesträubt?
Ich habe durchaus Sympathie für diesen Antrag aus dem Haushaltskontrollausschuss, der eine stärkere Förderung der Familienbetriebe ermöglicht hätte. Allerdings konnte mir bisher noch keiner die Umsetzung dieses Vorhabens vollumfänglich erklären. Um Geldzahlungen an außerlandwirtschaftliche Investoren zu reduzieren, gibt es bereits einen umfangreichen Instrumentenkasten.

Als da wäre?
Unter anderem die Degression und die Kappung oder, wie erwähnt, die Umverteilung. Mit Letzterer können die Mitgliedstaaten kleineren Betrieben je nach ihren Bedürfnissen zusätzlich unter die Arme greifen, und zwar mit Geldern, die Großbetriebe an Zahlungen je Hektar weniger erhalten haben. Meiner Auffassung nach ist es auch schwierig, nach natürlichen Personen und Gesellschaften zu trennen. Das passiert bei der Zahlung aus anderen EU-Töpfen auch nicht. Es wird bei der Auszahlung in der EU­-Regionalpolitik oder bei Forschungsrahmenprogrammen auch nicht danach geschaut, ob die Empfänger natürliche Personen oder Gesellschaften sind.

Macht es nicht inhaltlich trotzdem einen Unterschied, ob etwa ein Forschungsrahmenprogramm mehrere Millionen Euro erhält und damit mehrere Doktorandenstellen finanziert oder landwirtschaftsferne Unternehmen aus dem Umfeld des tschechischen oder ungarischen Ministerpräsidenten die Gelder erhal­ten?
Hier ist ein alle EU-Ausgaben übergreifender Politik- und Kontrollansatz erforderlich, um in den rechtsstaatlich problematischen Mitgliedstaaten eine falsche Verwendung oder sogar konkrete Korruption zu unterbinden. Im Übrigen ist hiervon nicht nur die Agrarpolitik betroffen. Auch mit Blick auf den Corona-Wiederaufbaufonds müssen wir darauf pochen, dass die Gelder ordentlich verwendet werden. Hier kann sich der Haushaltskontrollausschuss noch verdient machen.

Eine weitere Stellschraube wäre auch die vom EU-Parlament geforderte Negativliste gewesen, die nicht förderungsfähige Betriebsformen aufführen sollte. Auch damit konnte sich das Parlament nicht durchsetzen.
Das ist aufgrund der Ratsablehnung nicht gelungen. Allerdings gilt ab 2023 erneut eine verpflichtende Definition für den aktiven Landwirt, wie wir sie vor der Omnibus-Verordnung von 2018 hatten. Zwar bleiben den Mitgliedstaaten einige Spielräume bei der Anwendung der Regeln. Nichtsdestoweniger sind wir jetzt einen wesentlichen Schritt weiter.

Sie haben den aus Ihrer Sicht stattfindenden Systemwechsel un­ter anderem mit dem neuen Instrument der Eco-Schemes begründet. Wie bewerten Sie die Details der Regelung?
Bei den Öko-Regelungen konnte das EU-Parlament definitiv einen Erfolg einfahren. Wir haben für die fünf Reformjahre von 2023 bis 2027 einen Anteil an 30 Prozent in der Ersten Säule gefordert. Der Rat wollte jedoch nur 20 Prozent zugestehen. Am Ende haben wir uns auf durchschnittlich mindestens 24 Prozent geeinigt. Das Parlament hat in dieser Frage deutlich mehr herausgeholt, als es auf den ersten Blick erscheint. Der Rat hatte ja für die ersten zwei Jahre auf eine Lernphase gepocht. Die hätte bedeutet, dass man in den ersten beiden Reformjahren keine Eco-Schemes hätte anbieten müssen und den verpflichtenden Anteil über die gesamte Reformdauer auf 12 Prozent reduziert. Der arithmetische Mittelwert hätte also bei 21 Prozent gelegen. Erzielt haben wir aber wie gesagt 24 Prozent. Daher haben wir gut verhandelt, da dies ja auch bedeutet, dass deutlich mehr Geldmittel in nachhaltige Landwirtschaft fließen.

Kritiker meinen, dass die Regelungen nicht zur Vereinfachung der GAP beitragen. Wie bewerten Sie die umfangreichen Detailregelungen, wie viele Prozent wann genau in welchen Jahren durch die Landwirte erzielt werden müssen?
Es ist natürlich dem Kompromiss geschuldet, dass die Regeln nicht besonders einfach erscheinen. Die Verkomplizierung über die sogenannte zweijährige Lernphase und die je nach Jahr unterschiedlichen Prozentsätze sind einzig und allein den Forderungen des Rates geschuldet. Vor allem die EU-Regierungen sind nun gefordert, die entsprechenden Prozentzahlen zu erreichen. Der Landwirt ist von den Detailregeln weniger betroffen. Er entscheidet lediglich, ob Eco-Schemes für ihn Sinn machen oder nicht.

Einer der Knackpunkte am Ende der Verhandlungen war, inwieweit mögliche Green Deal-Gesetze in die dann laufende Reform Eingang finden müssen, darunter Kommissionsvorhaben zur Reduzierung von Pflanzenschutz oder Düngung. Rechnen Sie da noch mit großen Anpassungen?
Auf die Green Deal-Ausrichtung haben wir als Abgeordnete mit Unterstützung der Kommission gepocht. Inwieweit Green Deal-Ziele in die Reform Eingang finden, hängt natürlich auch von dem Tempo ab, mit dem die Gesetzgebungsprozesse laufen werden. Jetzt ist vor allem die Kommission gefragt, zur Farm-to-Fork­-Strategie und zur Biodiversitätsstrategie Gesetzesvorschläge vorzulegen. Das Wesentliche wird meiner Ansicht nach aber über die strategischen Pläne, welche die Kommission jedem Mitgliedstaat genehmigen muss, laufen.

Noch kurz zum Kompromiss über die „interne Konvergenz“, also die verpflichtenden Angleichung der Hektarzahlungen innerhalb der Mitgliedstaaten – der sogenannten internen Konvergenz. Bis zum Ende der Förderperiode soll es lediglich zu einer Angleichung von 85 Prozent der Zahlungen gekommen sein. Sie hatten im Namen des Parlaments 100 Prozent, wie in Deutschland, gefordert…
Das ist ein kleiner Wermutstropfen. Es gab aber eine Gruppe bestimmter Mitgliedstaaten, mit denen eine hundertprozentige Angleichung nicht zu machen war, darunter Spanien und Italien. Teilweise kann ich die Länder sogar ein wenig verstehen, dass sie versuchen, Unterschiede zwischen unterschiedlichen Betriebsformen zu nivellieren. Wo es viele Sonderkulturen gibt, bekommt man in der Regel mehr je Hektar als ein Betrieb mit klassischem Marktfruchtbau. Letzterer hat in der Regel aber auch mehr Fläche als Betriebe mit Sonderkulturen.

Nachdem Ende Mai der Super-Trilog krachend gescheitert war, haben die Bauernverbände COPA und ländlichen Genossenschaften COGECA in EU-Agrarkommis­sar Wojciechowski den Hauptverantwortlichen ausgemacht. Teilen Sie diese Kritik an ihm?
Fest steht, dass die Rolle der Kommission sicherlich ausbaufähig war. Sowohl der Rat als auch das Parlament hätten sich nach dem Abbruch der Gespräche Ende Mai mehr Vermittlung von der Kommission gewünscht. Deren Hauptaufgabe in den Verhandlungen wäre es gewesen, Kompromissvorschläge zu erarbeiten. Auf Arbeitsebene hat das auch gut funktioniert, auf politischer Ebene leider nicht wirklich.

Rechnen Sie als Agrarausschussvorsitzender im Oktober oder November, wenn die Ratifizierung im Europaparlament ansteht, mit einer komfortablen Mehrheit?
Also ich bin vorsichtig optimistisch, dass es am Ende reichen wird. Jetzt liegt es an den Kollegen, die an den Verhandlungen beteiligt waren, ihre jeweiligen Fraktionen zu überzeugen. Ich höre aber aus den großen Fraktionen, wie der Europäischen Volkspartei, der Allianz der Sozialdemokra­ten und der Liberalen Fraktion, überwiegend breite Zustimmung.

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AUTORRed. SN
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