Zwei Besonderheiten unterscheiden die Fernwärme Bockfließ von anderen Bioenergiegemeinschaften: Geheizt wird mit Stroh anstatt der weitverbreiteten Hackschnitzel, und die Mitglieder der Genossenschaft sind alle Wärmeabnehmer. Die Bäuerinnen und Bauern, die verlässlich Biomasse bereitstellen, sind Vertragspartner.
Seit mittlerweile 25 Jahren wird in Bockfließ, Bezirk Mistelbach, Niederösterreich, mit erneuerbarer Energie umweltfreundlich und bequem geheizt. Und das, obwohl die kleine Gemeinde direkt an das NÖ Erdölfördergebiet angrenzt und eine Erdgasleitung durch das Gemeindegebiet führt. Möglich wurde dies durch die Gründung einer Genossenschaft, die ein Fernheizwerk und das notwendige Leitungsnetz errichtet hat und betreibt. Durch die Ackerbäuerinnen und -bauern aus Bockfließ und den unmittelbaren Nachbargemeinden, die verlässlich die notwendige Biomasse – das Stroh – bereitstellen.
„Vorteile der Ferwärme haben überzeugt“
„Begonnen hat alles im Jahr 1991“, erzählt der Obmann der Fernwärmegenossenschaft, Herbert Wannemacher, als ein öffentlicher Energieversorger – bereits zum zweiten Mal – ein Projekt vorstellte, die Gemeinde Bockfließ an das Gasnetz anzuschließen. Eine Gruppe von Idealisten wollte eine Alternative dazu aufzeigen: Sie leistete Informations- und Überzeugungsarbeit in der Bevölkerung, ließ eine Machbarkeits- und Wirtschaftlichkeitsstudie erstellen und schloss sich – nach Genehmigung des Projekts im Gemeinderat – zur Genossenschaft zusammen. In den kommenden Monaten galt es für die Pioniere, Klinken zu putzen und die Bockfließerinnen und Bockfließer von den Vorteilen der umweltfreundlichen Wärmeversogung zu überzeugen. Im Mai 1993 erfolgte der Spatenstich, und am 4. Oktober des Jahres konnte mit rund 170 Abnehmern in die erste Heizsaison gestartet werden. „Für viele unserer Kundinnen und Kunden war der Heizkomfort eines Fernwärmeanschlusses ausschlag-gebend, um auf unser Angebot einzugehen“, ist Herbert Wannemacher überzeugt. Die Übergabestation braucht wenig Platz und entspricht einem Heizkessel mit modernster Steuerung. „In der Region war es üblich, dass die Bauern das Stroh am Acker verbrannt haben, da aufgrund der geringen Niederschläge die Verrottung zu lange dauert. Dazu gibt es wenig Wald in der Umgebung“, erklärt der Obmann, wie es dazu kam, dass die Anlage zu etwa 70 Prozent mit Stroh geheizt wird. Der Rest wird mit Waldhackgut, vor allem zur Spitzenabdeckung, kompensiert. Neben der Ausfallsicherung werden damit auch mehr Volllaststunden für den Strohkessel erreicht, die dessen Lebensdauer erheblich verlängern.
Viel hat sich in den vergangenen 25 Jahren getan: Im Rahmen von Ausbauprojekten wurden zwei neu entstandene Siedlungen angeschlossen. Dazu wurde das Netz immer wieder erweitert beziehungsweise verdichtet. Mittlerweile ist die Genossenschaft auf 385 Mitglieder angewachsen, die über eine Leitung in der Länge von zwölf Kilometern mit Wärme versorgt. Das bedeutet, bereits 80 Prozent aller Bockließer Haushalte verfügen über einen Fernwärmeanschluss.
Team der Fernwärme managt Strohlogistik
Die Heizsaison dauert von 15. September bis 15. Mai. Auf einen Sommerbetrieb zur Warmwasserversorgung wird verzichtet, da dieser aufgrund der Leitungslänge kaum wirtschaftlich zu betreiben wäre. Nur wenn es einmal kühler wird im Sommer – wenn an drei Tagen hintereinander die durchschnittliche Temperatur unter 13,5 Grad Celsius liegt – wird im Heizwerk angeheizt.
Das benötigte Stroh wird maximal bis zu zehn Kilometer transportiert. Die Fernwärmegenossenschaft hat mit den Bauern der Region – Bockfließ, Auersthal, Großengernsdorf und Deutsch-Wagram – Strohlieferverträge abgeschlossen. „Durch die gute Zusammenarbeit und der Flexibilität unserer Vertragsbäuerinnen und -bauern steht stets ausreichend Heizmaterial zur Verfügung“, bedankt sich Obmann Wannemacher bei seinen Strohlieferanten. Beim Dreschen wird auf das Häckseln des Strohs verzichtet und die Fläche der Genossenschaft gemeldet. Die weitere Einbringung – Pressen, Transport, Einlagerung – managt das Team der Fernwärme.
Auf einer Fläche von rund 500 Hektar werden pro Jahr etwas mehr als 2000 Tonnen Stroh zu rund 6000 Großballen – das entspricht einem Jahres-bedarf – verarbeitet, die in den Lagerhallen neben dem Heizwerk am Rande der Ortschaft, Platz finden. Rund 2000 Schüttraummeter Hackschnitzel werden über den NÖ Waldverband und die Raiffeisen Ware Austria (RWA) zugekauft.
„Drei Kilogramm Stroh haben den Heizwert von einem Liter Heizöl extraleicht. Pro Saison ersetzen wir daher fast 800.000 Liter Heizöl durch CO2-neutrale Biomasse“, rechnet der Aufsichtsratsvorsitzende der Fernwärmegenossenschaft, Gerald Böckl vor. Das ergibt eine jährliche Einsparung von 2.560.000 Kilogramm CO2. „Der leistungsstarke Elektrofilter erbringt eine 99-prozentige Entstaubung der Abgase. Das verringert die Feinstaubbelastung im Vergleich zu üblichen Heizsystemen für Einzelhaushalte deutlich“, weist Böckl auf einen weiteren Zusatznutzen der Fernwärmeversorgung für die Region hin.
Vier Prozent der eingesetzten Biomasse bleiben als Asche über, das sind rund 80 Tonnen pro Jahr. Diese werden im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft als Dünger wieder auf den Ackerflächen der Vertragsbauern ausgebracht.
Bockfließ feiert 2018 sein 850-jähriges Bestehen. In diesem Rahmen wird – mit zahlreichen anderen Vereinen – auch das 25-Jahr-Jubiläum der Fernwärmegenossenschaft gefeiert. In der Strohlagerhalle wird dazu am 5. und 6. Mai ein zweitägiges Fest über die Bühne gehen.
Geschichte Fernwärmegenossenschaft Bockfließ
1991: Gründung der „Projektgruppe Fernwärme“
1992: Studien werden erstellt, Bevölkerung wird informiert
9. September 1992: Beschluss des Fernwärmeprojekts durch den Gemeinderat
2. Oktober 1992: Gründung der Genossenschaft, Beginn der Planungsphase
Mai 1993: Beginn der Bauphase
4. Oktober 1993: Heizbeginn
1999/2000: Strohkessel wird ersetzt
März 2009: Großbrand vernichtet kleine Lagerhalle
2011/2012: Erweiterung mit Hackschnitzelkessel
2013: Umbau, Zubau: 137 Kubikmeter Pufferspeicher
2018: 25-Jahr-Feier am 5. und 6. Mai
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