Der Volksschriftsteller Karl Reiterer ließ als Bauernsünden, von denen man in der Bauernschaft sieben kennt, bloß jene gelten, die nur ein Bauer begehen konnte. Für den großen steirischen Erzähler Peter Rosegger waren bäuerliche Sünden, die er auch Dorfsünden nannte, nichts anderes als die natürlichen Schwächen unserer Mitmenschen: „Alle sieben Todsünden finden in Dorf, Wald und auf der Alm ihre leidenschaftlichen Anhänger. Die Bauernsünden wären den Herrensünden ja auf‘s Haar ähnlich, nur das Kleid unterscheidet sie.“[1]
Das Grenzsteinversetzen
Karl Reiterer befasste sich ausführlich mit dem Grenzsteinversetzen und schrieb: „Der Grenzfrevel, mit dem der Täter sein Grundstück zum Schaden seines Nachbarn vergrößerte, war von allen Bauernsünden der schwerste. Im Mittelalter ließ man den Frevler am Ort seines Vergehens lebendig begraben. […] Um einen Grenzstreit von vornherein auszuschließen, pflanzte man in der nördlichen Steiermark an den Eckpunkten Eichen, in der südlichen Steiermark Linden. […] Alljährlich gingen im Ennstal die benachbarten Bauern mit ihren Söhnen, vornehmlich den Hoferben, die Grenze ab. Am Schluss dieses Rituals gab es einen Becher Wein, Weißbrot und eine „Merkwatsche“ für den Sohn, zur ewigen Erinnerung an den Grenzverlauf.“
Um die „Roanstanschinder“, wie man in der Steiermark sagt, ranken sich unzählige Geschichten. Zur Grundstücksgrenze sagte man früher „Rain“. Viele Hausnamen leiten sich davon ab, „Rainbacher“, „Roahansl“, „Rainer“ etc. Rechtsanwalt Dr. Kuno Purr, der Chronist des Marktes Groß St. Florian, kannte mehrere Erzählungen über „Roanhunderln“ bzw. „Gschiehunderln“. Zu seiner Kindheit glaubte man noch, ein Grenzsteinversetzer konnte im Jenseits keine Ruhe finden und musste nachts als schwarzer Wutzel mit glühenden Augen die „korrigierte“ Grenze ablaufen. Purr wusste auch, dass an den Eckpunkten eines Grundstückes einst Glasscherben tief in die Erde vergraben wurden.
Die Sagenforscherin Dr. Gisela Mayer-Pitsch erfuhr von ähnlichen Erscheinungen in der Umgebung von Knittelfeld.[2] Der Grenzsteinversetzer lud so schwere Schuld auf sich, dass er nach seinem Tod keine Erlösung finden konnte. Zur Nachtzeit sah man ihn mit dem schweren Stein, den er versetzt hatte, die Grenze abgehen, ständig jammernd, „So viel schwer!“
Der Dichterarzt Dr. Hans Kloepfer erwähnte in seiner Chronik „Eibiswald“ einen viele Jahre schwelenden blutigen Streit um eine „Hertergrenze“.[3] Es ging um Weiderechte auf der riesigen Kapunerwiese zwischen dem Saggautal und dem slowenischen Drautal in etwa 1.000 Meter Seehöhe, wo der Verlauf der Grenze nicht ganz klar war. Die Hirten des Klosters Mahrenberg/Radlje und der Herrschaft Eibiswald sollen einst um jeden Quadratmeter Wiese gekämpft haben und auch vor Totschlag nicht zurückgeschreckt haben. Um 1880 schrieb ein Wanderer, der vom Kapuner zur Kirche St. Pongratzen ging: „Es lohnt sich, mit den Hirten zu sprechen, die mit ihren Peitschen und Hunden im Baumschatten sitzen und ihr Hornvieh beobachten. Kein Jahrhundert ist es her, dass hier ein Weidekrieg tobte, in dem sich deutsche und windische Hirten um die besten Almflächen stritten und so manches Auge von Steinwürfen erblindete.“[4]
Kartenspielen um Haus und Hof
Angeblich soll es vor über 100 Jahren vorgekommen sein, dass leidenschaftliche Kartenspieler aus dem Landvolk Haus und Hof verspielten. Als besonders gefährliches Kartenspiel wurde vom österreichischen Justizministerium im Jahr 1901 das Färbeln verboten, es wurde jedoch in privatem Kreis weiter gespielt.[5] Da sich bei diesem Spiel die Einsätze schnell vermehren, kann ein unerfahrener Spieler bald die Übersicht verlieren. Oft soll es vorgekommen sein, dass jemand, vom Spielteufel gepackt, anstatt des Bargelds Sachwerte wie Vieh, Wiese und Wald einsetzte, um weiter spielen zu können.
Für ein Gasthaus in Lannach soll dies fatale Folgen gehabt haben.[6] Ein Bauer wollte sich nach einem Holzhandel ein Vierterl gönnen. Er ging in ein Gasthaus und kam dabei mit zwei Herren ins Gespräch, die ihn zu einem Kartenspiel einluden. Das sollte im Extrazimmer stattfinden, weil es sich um das verbotene Färbeln handelte. Der Bauer gewann die ersten Runden und vervielfachte die Einsätze. Allmählich verlor er aber ein Spiel nach dem anderen.
Inzwischen suchte seine Frau nach ihm und kam auch in das Gasthaus, wo ihr die Kellnerin sagte, sie hätte den Bauern schon lange nicht mehr gesehen. Da sie sich dabei vor der Tür zum Extrazimmer aufstellte, schöpfte die Bäuerin Verdacht und lief zum Gendarmerieposten. Gleich darauf kehrte sie mit zwei Gendarmen zum Gasthaus zurück. Diese verhafteten die beiden Bauernfänger, die das erspielte Geld dem Bauern zurückgeben mussten und zeigten den Wirt und die Kellnerin an. Bei der Gerichtsverhandlung fassten der Wirt als amtsbekannter Widerholungstäter vier Wochen und seine Kellnerin zwei Wochen Arrest aus.
Das Ochsengeld versaufen
Wie das erwähnte Kartenspiel galten Saufgelage zu Lasten des Familieneinkommens als schwere Bauernsünde. Bei jedem Viehmarkt kam es vor, dass ein Bauer zwar sein Vieh gut verkaufen konnte, jedoch ohne Geld heimkam. Dazu der Schriftsteller Karl Reiterer: „Ein Viehmarkt wie der traditionelle Erster-Mai-Markt in Mooskirchen lockte nicht nur Krämer an, sondern auch Dirnen, die nichts anderes im Sinn hatten, als sich an einen Bauern, der sich einmal im Jahr mit dem Verkauf von Vieh für seine harten Arbeitstage belohnen ließ, heranzumachen. So geschah es, dass sich in Mooskirchen ein Bauer, sichtlich erfreut, in seinen alten Tagen noch ein amouröses Abenteuer bestehen zu dürfen, kunstgerecht von einer Frau umgarnt und in ein Gasthaus geführt wurde. Dort wurde gesoffen, bis der Bauer nicht mehr merkte, wie ihm eine zarte Hand sein Röckl abtastete und sein Ochsengeld fand. Gleich darauf verschwand seine Begleiterin und der Bauer konnte danach nicht einmal mehr die Zeche bezahlen.“
Streit mit dem Nachbarn suchen
„Leider war es keine Seltenheit, dass hinter den verschwiegenen Mauern eines Bauernhauses ein ehelicher Streit schlimm ausartete und der Bauer seine Hand gegen seine Frau erhob“, schrieb Reiterer, als er in seinem letzten Dienstort Wettmannstätten Oberlehrer war. Kam ein Kind verstört zum Unterricht, entging ihm das nicht. „Wieder einmal saß ein Mädchen mit verweinten Augen in der Schulbank, weil der Vater die Mutter verprügelt hatte. Als ich das bei der Gendarmerie anzeigen wollte, meinte der Revierinspektor: ‚Dafür sind wir gar nicht zuständig. Außerdem ist das bei den Bauern gang und gäbe. Am nächsten Tag sind sie eh wieder versöhnt‘. Ich wandte, dann sollten wenigstens die Nachbarn auf den Bauern einwirken, weil auch die Kinder darunter litten. Darauf der Gendarm: ‚Das wird niemand tun. Das gute Verhältnis zum Nachbarn ist den Bauern heilig. Wer sich bei sowas einmischt, versündigt sich gegen den nachbarlichen Frieden‘.“
Den Bauernfeiertag nicht achten
Neben den kirchlichen Feiertagen kannte das Landvolk noch bis zum Ende der 1930er-Jahre die traditionellen Bauernfeiertage wie „Portiunkala“, „Georgi“, „Kathrein“ und andere. An diesen Tagen hatte die Arbeit zu ruhen. Wehe dem Bauern, der seinem Knecht am Bauernfeiertag nicht freigab, weil dringende Arbeiten anstanden – er musste damit rechnen, dass ihn der Knecht zum Jahresende verließ.
Einer Magd vom eigenen Hof nachsteigen
Eine schwere Bauernsünde war die verbotene Beziehung zu einer Magd, die unter der Aufsicht der Bäuerin stand. Reiterer beschrieb einen interessanten Fall, der sich in Weißenbach im Ennstal ereignet hatte. Ein wohlhabender Bauer, der wegen seiner Raffgier unrühmlich bekannt war, unterhielt eine geheime Beziehung zur Magd seines Hofes. Eines Tages entließ er sie. Das war ungewöhnlich, denn die Magd war ungemein fleißig und seine Frau, so wurde erzählt, war damit keineswegs einverstanden. Die Magd geriet dadurch in große Bedrängnis, weil sie zu ihren in Armut lebenden Eltern zurückkehren musste. Bald wurde bekannt, dass sie ein Kind erwartete, und zwar von diesem undankbaren Bauern.
Die Sache hatte ein bemerkenswertes Nachspiel. An einem Sonntag taten sich die Bäuerinnen der Nachbarschaft zusammen und warteten, bis er die Kirche nach dem Gottesdienst verließ. Als er ins Freie trat, umstellten sie ihn. Eine Bäuerin schrie ihn an: „Du Schuft, du elendiger, was hast du der Resi angetan?“ Der Bauer stieß sie von sich mit den Worten „Verschwind, Hiablerin!“ Die Bäuerin fiel dabei hin.
Er hatte nicht mit dem Zorn der Ennstaler Frauen gerechnet. Wie auf Kommando schlugen sie mit ihren Regenschirmen auf ihn ein. Die umstehenden Zuseher klatschten und riefen begeistert, dass er die „Behandlung“ schon längst verdient hätte.
Rossschinden
Auch das Rossschinden galt als schwere Sünde. Nach Reiterer trat es eher bei professionellen Fuhrleuten und weniger bei Bauern auf. Josef Steiner-Wischenbart, der verdienstvolle Ethnologe aus Oberzeiring, erfuhr im Waldland um St. Lambrecht von einem bäuerlichen Ehrenkodex: „Ein Bauer darf nur mit dem Handel treiben, was ihm der Herrgott hat wachsen lassen. Bauernfamilien, die mit Altwaren und dergleichen handelten, versündigten sich.[7]
[1] Peter Rosegger, Gesamtausgabe, Band 18 „Dorfsünder“, München 1915.
[2] Gisela Mayer-Pitsch, „Volksglaube in Knittelfeld und Umgebung“. In: Grazer Tagblatt, 10. 7. 1928.
[3] Hans Kloepfer, Eibiswald, Eibiswald 1933, „Alpe Slatariza“.
[4] Marktmuseum Radlje, Gedenkbuch der Kirche St. Pongratzen.
[5] Verordnungen im St.G.Bl. Nr. 1901/28.
[6] Karl Reiterer, handschriftl. Manuskript „Bauernsünden“, Archiv der Gemeinde St. Peter i. S.
[7] Archiv des AKV Südmark, Graz, Mappe „Brauchtum der Stmk“.
- Bildquellen -
- Die Sieben Bauernsünden Ochsengeld Versaufen: Sammlung Barbara Klar, München