Die Hoffnung zum Erblühen bringen

In seiner Osterbotschaft geht Hermann Glettler, Bischof der Diözese Innsbruck, auf die Sehnsucht nach Hoffnung und Versöhnung ein – und zeigt, wie Ostern helfen kann, die Welt und uns selbst zu heilen.

Bischof Hermann Glettler mit Ministranten bei der Einweihung der Glasfenster von Herbert Brandl in der Pfarrkirche St. Johann im Walde, April 2024.

Der Frühling ist erwacht. Überall sprießt und blüht es, die Luft ist erfüllt von Düften und vom fröhlichen Gezwitscher der Vögel. Und auch in der Landwirtschaft ist man mit voller Power am Werken. Jetzt ist die Zeit der Vorbereitung, damit eine gute Jahresernte möglich wird. Es wird gesät, gepflanzt, geschnitten – die Böden werden nach den frostigen Wintertagen wieder in Ordnung gebracht und für die Aussaat aufbereitet.

Der Frühling steht sinnbildlich für einen Neuanfang – ein Aufbruch, welcher nicht nur der Natur nach den winterlichen Tagen des Stillstands guttut, sondern auch uns Menschen. Es ist die Zeit, in der Hoffnung keimt und wächst. Nicht zufällig feiern wir genau zu dieser Jahreszeit Ostern, das wichtigste Fest unseres christlichen Glaubens. In der Blühkraft der Natur spiegelt sich das Leben, das Gott uns schenken möchte.

Hoffnung angesichts von Zerstörung?

Und dennoch mengt sich in diese euphorische Wahrnehmung ein Mix an Fragen: Täuscht die Pracht der frühlingshaft erwachten Natur nicht über die vielen Grau- und Schwarztöne der Bilder von Zerstörung hinweg – wie wir sie in den täglichen Medienberichten vor Augen haben? Übertünchen die herrlichen Farben und Töne der österlichen Liturgie nicht die verständliche Trauer angesichts des bedrohlichen Zustands unserer Welt?

Wenn wir die Karwoche insgesamt ernstnehmen, sicher nicht! Es ist eine Woche des Klagens und Mitleidens – das althochdeutsche Wort „Kar“ deutet schon darauf hin. Klagen bedeutet, Gott die vielen Bedrängnisse und Nöte unserer Zeit vorzutragen, die unzähligen globalen und persönlichen Karfreitags-Erfahrungen. Dadurch weitet sich unser Geist und unser Glaube, sodass wir mit einem achtsamen Herzen die österliche Botschaft aufnehmen können. 

Das Blühen ist ein Fingerzeig

In meinem Garten befindet sich seit 2021 ein Mandelbaum, der jährlich als erster Strauch erblüht. Er erinnert mich an das Gedicht von Schalom Ben-Chorin, das er 1942 angesichts der Shoah verfasst hat. Die erste Zeile lautet: „Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht in Fingerzeig, dass die Liebe bleibt?“ Der jüdische Schriftsteller und Philosoph formuliert darin seine trotzige Hoffnung, dass Gott sein Volk nicht verlassen wird. In seinen Augen ist es ein Zeichen, um sich innerlich aufzurichten: „Dass das Leben nicht verging, so viel Blut auch schreit, achtet dieses nicht gering in der trübsten Zeit.“

Das österliche Aufblühen ist uns analog zu dieser Erzählung von Ben-Chorin als Hoffnungszeichen geschenkt. Und dennoch entbindet sie uns nicht von der Sorge um unsere Welt, die sich in gefährlicher Schieflage befindet. Dazu eine alltägliche Begebenheit.

Die Welt in Ordnung bringen?

„Bitte, lass mich jetzt die Zeitung lesen!“ Hörbar genervt reagiert der Vater auf die Versuche seiner sechsjährigen Tochter, seine Aufmerksamkeit zu erheischen. Wenigstens am Samstagmorgen etwas mehr Ruhe! Aber der kleine Quälgeist lässt nicht locker. Unter der Woche gibt’s ja ohnehin keinen Papa beim Frühstück. Um das Mädchen zu beschäftigen, gibt er ihr ein großformatiges Werbeprospekt, auf dem ein Globus mit unendlich vielen Details zu sehen ist, und zerreißt ihn in kleine Puzzleteile. „Setz die Welt wieder zusammen!“ Diese Aufgabe sollte ihm etwas Ruhe verschaffen. Aber es dauert nur ein paar Minuten und die Kleine triumphierte: „Bin schon fertig!“ Der Vater traut seinen Augen nicht. „Wie hast du es geschafft, die Welt in so kurzer Zeit wieder zusammenzusetzen?“ Die Kleine erklärt ihm den Trick: „Weißt du, auf der Rückseite war ein Mensch abgebildet. Ich habe ihn schnell zusammengesetzt und dann das Blatt umgedreht. Dann hat auch die Welt wieder gepasst.“ So einfach geht das!

Den Menschen innerlich heil machen

Eine herrlich tiefsinnige Geschichte, nicht wahr? Die Welt können wir nur „retten“, wenn wir zuerst den Menschen in Ordnung bringen, bzw. uns selbst innerlich in Ordnung bringen. Hier setzt Ostern an – der Glaube an den Auferstandenen tröstet, entlastet und macht heil, was verwundet ist.

Wir lesen davon in den österlichen Berichten: Nach der Katastrophe von Golgotha waren die Jünger am Boden zerstört. Ihre Enttäuschung, ihre innere Zerrissenheit, letztlich auch ihre Feigheit – all das stand ihnen deutlich vor Augen. Sie hatten doch gehofft, dass Jesus, der ersehnte Messias sei. Nur mit der schändlichen Hinrichtung Jesu am Kreuz haben sie nicht gerechnet. Jetzt aber sollte Neues beginnen: Der Auferstandene überrascht sie – er kommt zu ihnen durch verschlossene Türen und spricht sie an: „Der Friede sei mit euch!“ Kein Vorwurf, und keine Vorhaltung ihres Versagens. Pure Vergebung und Ermutigung.

Versöhnung, damit Hoffnung aufblüht

Damit das Leben in all unseren Beziehungen österlich aufblühen kann, braucht es viele mutige Schritte – und meist eine ausgestreckte Hand oder eine einfache Bitte um Entschuldigung. Oft ist es auch nur eine kleine Geste und ein wenig Zeit, um eine „alte Geschichte“ endlich in Ruhe auszureden. Das Vergangene hat doch nicht das Recht, unsere Beziehungen und Familiengeschichten dauerhaft zu beeinträchtigen und damit viel Lebensenergie zu rauben. Der Auferstandene begleitet uns auf diesem Weg der Versöhnung – seine Nähe schafft Vertrauen und eine neue Atmosphäre. Glauben wir da-ran! Ostern ist damit weit mehr als nur ein nettes Brauchtumswochenende – es ist ein Fest, dass die Hoffnung neu erblühen lässt und unsere verwundete Welt wieder ein Stück weit in Ordnung bringt.

So wünsche ich allen Leserinnen und Lesern der Tiroler Bauernzeitung ein gesegnetes und hoffnungsvolles Osterfest!

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  • IMG 9616: Arno Cincelli
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AUTORHermann Glettler
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