Inspiriert vom Leben seines Vaters erzählt Regisseur Édouard Bergeon in seinem ersten Spielfilm „Das Land meines Vaters“ eine sehr bewegende Geschichte der Generationen zwischen Lebensträumen und Existenzsorgen.

 

Ihr Film basiert auf Ihrer eigenen Geschichte. Darsteller Guillaume Canet spielt darin Pierre – inspiriert von Ihrem Vater, der selbst Landwirt war. Bergeon: Ja, ich stamme aus einer Bauernfamilie mit langer Tradition, bin Sohn und Enkel von Bauern, sowohl mütterlicherseits als auch väterlicherseits. Mein Vater Christian hat sich 1979 mit Lust und Leidenschaft als Landwirt selbstständig gemacht. Zusammen mit meiner Mutter hat er hart gearbeitet, damit meine Schwester und ich eine glückliche Kindheit auf dem Bauernhof verbringen konnten.

„Ich stamme aus einer Bauernfamilie mit langer Tradition, bin Sohn und Enkel von Bauern.“

Ihr Spielfilmdebüt behandelt eine Familiensaga mit einer menschlichen Perspektive auf die Entwicklung der Landwirtschaft der letzten 40 Jahre. Bisher haben Sie bei zahlreichen Reportagen und Dokumentationen fürs Fernsehen Regie geführt. Was hat Sie dazu veranlasst, einen fiktionalen Langfilm zu drehen? Die Idee wäre mir nicht gekommen, wenn ich nicht Christophe Rossignon, den Produzenten des Films, getroffen hätte. Er sah 2012 meinen 90-minütigen Dokfilm „Les fils de la terre“, in dem ich den Landwirt Sébastien begleitete, dessen Lebensweg mich an den meines Vaters erinnerte. Christophe, selbst Sohn eines Bauern, war von dem Film sehr bewegt und wollte mich treffen. Sein älterer Bruder hatte den Hof der Familie übernommen und musste sich mit einer landwirtschaftlichen Realität auseinandersetzen, die auch sein Leben aus den Fugen hätte bringen können. Aus unserem ersten Gespräch entwickelte sich letztlich das Projekt eines Spielfilms, inspiriert von meiner Familiengeschichte. Christophe und ich haben viel gemeinsam, wir sind beide Söhne vom Land, der Funke ist sofort übergesprungen.

Eine Fiktion schreibt man anders als einen Dokumentarfilm. Wie sind Sie dabei vorgegangen? Mein Produzent wollte mich nicht hetzen. Er hatte die Idee, „Les Fils de la Terre“ mit einem Doku-Drama zu erweitern und brachte mich dazu, die Lebenswege der Bauern in meinen Dokus zu vergessen und mich auf meine eigenen Erinnerungen zu konzentrieren. Auch weil es dazu nicht viele Aufzeichnungen meines Vaters gab. Da ich nicht wusste, wie man ein Drehbuch schreibt, arbeitete ich mit zwei Co-Autoren zusammen. Erst ganz am Ende habe ich angefangen, selbst einige Szenen zu schreiben. Aber „Das Leben meines Vaters“ ist in erster Linie eine Familiengeschichte, in der sich jeder wiedererkennen kann, egal ob er oder sie vom Land kommt oder nicht. Während der gesamten ersten Stunde spürt man das Glück dieser Menschen, die zwar hart arbeiten, aber durch ein unglaubliches Band verbunden sind, mit einem gewissen Lebensgefühl. Es sind die einfachen Freuden, die ich zeigen wollte, jenseits der überwältigenden Aufgabe, einen Hof zu führen.

Siebzehn Jahre später ist die Globalisierung vorbeigezogen und Pierre verschuldet. Er hat keine andere Wahl, als seine Bank um einen neuen Kredit zu bitten. Ja, er kommt mit einem weiteren Darlehen aus der Besprechung, um seine Produktion mit dem Aufbau einer Geflügelmast zu diversifizieren. Das ist die Perversität des Systems. Der Landwirt ist nicht größenwahnsinnig. Aber die Bank weigert sich einerseits, ihm ein wenig Geld zu geben, ist aber anderseits bereit, geradezu pharaonische Projekte zu unterstützen. Sie drängt ihn sogar dazu, weil die Genossenschaft dahintersteht. Die Aufzucht wird „schlüsselfertig“ geliefert, sogar das Futter für die Hühner. Und Medhi, der Arbeiter am Hof, versäumt es nicht zu bemerken: „Aber warum geben wir ihnen nicht unseren Weizen?“ So ist der Vertrag mit den Agrarunternehmen: Sie unterschreiben einen Vertrag, und egal ob es sich um Kälber, Schweine oder Geflügel handelt, bringt ihnen das Unternehmen die Jungtiere mit dem Futter und nimmt sie zu dem selbst festgelegten Verkaufspreis zum Schlachthof wieder mit. Der Landwirt hat kein Mitspracherecht bei diesem Preis. Mit der industriellen Geflügelzucht verdiente mein Vater einen Franc pro Huhn. Also fast nichts!

Um den eigenen Weizen optimal nutzen zu können und nicht von der Genossenschaft abhängig zu sein, entschied er sich schon bald, parallel dazu, Freilandhühner zu halten. Natürlich war deren Fleisch von besserer Qualität und damit teurer, aber vor allem war die Arbeit für meinen Vater als Landwirt viel erfüllender. Dazu kam aber die Missgunst der Nachbarschaft. Es war wichtig, auch diese Rivalität zu vermitteln, die sich zwischen Bauern abspielt. „Ah, ihr erweitert euren Hof …“, sagt Rémy zu Thomas, und wir erkennen sofort die fehlende Solidarität unter den Bauern.

Es gibt eine Menge Eifersucht im Film. Es geht darum, wer den modernsten Betrieb hat oder wer den anderen auffrisst. Benachbarte Landwirte streben danach, das Land des einen oder anderen zu übernehmen, eben um mehr und mehr zu besitzen. Landwirte können sich gegenseitig schlimme Dinge antun. Auch die Reaktion von Pierres Vater Jacques, als er das neue Gebäude besichtigt, ist alles andere als ermutigend. Die meisten Patriarchen, die ich kennengelernt habe, sind wie er. Trotz allem gibt es viel Liebe zwischen Pierre und seinem Vater. Das Problem ist, dass beide nicht wissen, wie sie miteinander reden sollen. Der alte Mann scheint die Probleme, mit denen sein Sohn zu kämpfen hat, nicht verstehen zu wollen. Die Landwirte dieser Generation hatten viel Erfolg. Sie verstehen nicht, dass ihre Kinder zu Medikamenten greifen, um Depressionen zu bekämpfen. Sie haben nur ein Credo: Die Arbeit heilt. Pierres Abstieg ist schrecklich. Sein Hof wird von einem Feuer verwüstet, er selbst wird vom Hausarzt mit Antidepressiva außer Gefecht gesetzt. Vor zwanzig Jahren hat man sich noch nicht mit alternativen Therapien beschäftigt. Wie Pierre war auch mein Vater stark medikamentös eingestellt.

Beim Gericht, das ihnen eine zwölfjährige Zwangsverwaltung auferlegt, sind Pierre und seine Frau von anderen Bauern umgeben, die sich in der gleichen Situation befinden wie sie. Es ist, als gäbe es für die Landwirtschaft nur noch zwei Lösungen – Zwangsverwaltung oder Selbstmord. Oder beides. Die Landwirtschaftliche Sozialversicherung MSA schätzt, dass in Frankreich alle zwei Tage ein Landwirt Selbstmord begeht. Wahrscheinlich sind es mehr. Seit meinem Dok-Film „Les Fils de la Terre“ erhalte ich regelmäßig E-Mails von Familien, die den Tod eines Angehörigen beklagen. Außerdem wissen wir heute, dass in Frankreich jedes Jahr zehntausend Bauernhöfe verschwinden. Frauen leisten in diesem Zusammenhang Außerordentliches. Sie üben nebenbei einen Job aus, um alles am Laufen zu halten, kümmern sich um die Kinder, führen die Buchhaltung und sind auch für die Unterstützung ihrer Ehepartner da. Dennoch sind sie immer wieder Zielscheibe von Kritik seitens der Älteren. Wenn etwas schief geht, ist es ihre Schuld. Für meinen Großvater konnte eine Frau einen Bauernhof nicht bewirtschaften. Er hat meine Mutter nie akzeptiert.

Die Frauen auf dem Land haben eine sehr wichtige Rolle. Ja, sie fungieren als Puffer zwischen Generationen, die sich nicht verstehen, die nicht die gleiche Vorstellung vom Beruf haben, zwischen Mann und Sohn. Sie sind Macherinnen.

Um die Entwicklung von Pierres Depression zu erklären, nutzen Sie die Tagebücher Ihrer Mutter, in denen sie den Zustand ihres Mannes, also ihres Vaters, beschreibt. Das ist sehr intim. Diese Tagebücher, auch Fotos von uns zu zeigen, war für mich nie ein Problem. Dieses Material hatte ich bereits in meinem Dokumentarfilm „Les Fils de la Terre“ verwendet. Auch bei der Entstehung des Spielfilms habe ich meine Mutter und Schwester auf dem Laufenden gehalten. Meine Mutter ist stolz, denn dieser Film ist eine Hommage an meinen Vater, an unsere Familie, und er gibt ihm eine Stimme. Nach außen zeigte sich mein Vater von seiner besten Seite. Er wollte sein Gesicht nicht verlieren und vermeiden, dass jemand eine Schwäche in ihm sah. Zu Hause zog er sich in sein dunkles Zimmer zurück. Er wollte seinen Hof nicht mehr sehen, kein Bauer mehr sein. Aber auf jeden Fall ist mein Film eine Fiktion für das Kino und keine Psychoanalyse für mich und meine Familie.

Ist es ein engagierter Film? Er hat eindeutig eine politische Botschaft. Wenn der Film das Bewusstsein unserer Mitmenschen schärfen könnte, wäre das großartig.

Sie hatten vorher noch nie mit Schauspielern gearbeitet, hatten zum ersten Mal an einem Set fünfzig Menschen um sich herum. Da bin ich ins Ungewisse gesprungen. Aber alles lief sehr gut. Wir haben in zwei Etappen gedreht, vier Wochen im Sommer und vier weitere im Winter.

„Ich wollte, dass sich der Film wie ein moderner Western anfühlt.“

Die Landschaftsaufnahmen sind einfach großartig. Ich wollte, dass sich der Film wie ein moderner Western anfühlt; dass man die Erhabenheit des Landes und des Berufs des Landwirts spürt und dass man es genießt, die Charaktere auf Fahrrädern, Motorrädern, Pferderücken oder Traktoren zu sehen. Auch die Musik von Thomas Dappelo ist atemberaubend und erinnert mich an die Landschaft von Wyoming und die Country-Musik, die mein Vater liebte. Gleichzeitig ist sie zurückhaltend und öffnet sich erst im Abspann richtig. Thomas macht seit zehn Jahren die gesamte Musik für meine Dokumentarfilme.

„Als Journalist und jetzt als Regisseur verfolge ich beharrlich meinen Weg, indem ich über die Landwirtschaft spreche“

Abschließende Frage: Haben Sie jemals daran gedacht, Landwirt zu werden? Im Gegensatz zu seinem Vater hat mein Vater mich nie gezwungen, ein Landwirt zu werden. Als Journalist und jetzt als Regisseur verfolge ich beharrlich meinen Weg, indem ich über die Landwirtschaft spreche und die Männer und Frauen filme, die arbeiten, um uns zu ernähren.


Pierre ist 25 Jahre alt, als er aus den USA, genauer aus Wyoming, in seine französische Heimat zurückkehrt, um dort mit seiner Verlobten Claire den Hof seines Vaters zu übernehmen. Der junge Landwirt strotzt nur so vor neuen Ideen und Tatendrang. Dagegen kann sein Vater Jacques nur schwer loslassen. Doch die glücklichen Tage der gemeinsamen Hingabe für Hof und Land gehören bald der Vergangenheit an. Zwanzig Jahre später ist der Betrieb zwar gewachsen. Aber trotz aufopferungsvoller harter Arbeit wachsen die Schulden, und mit ihnen wächst Pierres Verzweiflung. Inspiriert vom Leben seines Vaters, erzählt Regisseur Edouard Bergeon in „Das Land meines Vaters“ eine bewegende wie hochaktuelle Geschichte der Generationen zwischen Lebensträumen und Existenzsorgen. In großen Landschaftsbildern wirft er dabei einen zutiefst menschlichen Blick auf die dramatischen Arbeitsbedingungen der Landwirte und den geringen Preis für ihre Produkte. Für sein Spielfilmdebüt wurde der Regisseur 2020 für einen César in der Kategorie „Bestes Erstlingswerk“ nominiert. Bergeon wollte zunächst Agraringenieur werden, entschied sich jedoch für ein Leben als Journalist, war anfangs Sportreporter, später Agenturberichterstatter. Seit 2010 arbeitet Bergeon als Dokumentarfilmer. Sein Dok-Film-Debüt feierte er 2012 mit „Les fils de la terre“ über die Selbstmorde von Bauern in Frankreich. 2020 ging sein digitaler Fernsehsender „CultivonsNous“ auf Sendung, der sich der Welt der Landwirtschaft widmet. Fern von geschönten romantischen Darstellungen zeigt „Das Land meines Vaters“ den Kampf einer Familie auf dem Land gegen EU-Auflagen und Preisdumping für landwirtschaftliche Rohstoffe. Mitte November startete der Film, Originaltitel „Au nom de la terre“, auch in 14 ausgewählten Kinos in Österreich.

„Das Land meines Vaters“, F/B 2019, Nord-Ouest Films, Drama, 103 min., FBW Prädikat „besonders wertvoll“; Regie: Edouard Bergeon, Schauspieler: Guillaume Canet (Pierre), Veerle Baetens (Claire).

www.filmladen.at/film/das-land-meines-vaters

Quelle: www.weltkino.de

- Bildquellen -

  • Landmeinesvaters Plakat: www.weltkino.de
  • Édouard Bergeon: www.weltkino.de
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AUTORBernhard Weber
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