Ein „Säulenheiliger“der bäuerlichen Sozialversicherung

Über mehr als zwanzig Jahre hinweg hat er seine Waldviertler Heimat im Nationalrat vertreten. Und gegen viel Widerstand für Österreichs Bäuerinnen und Bauern maßgeblich deren Krankenversicherungsanstalt erwirkt. Heuer hätte er am 8. Oktober seinen 100. Geburtstag gefeiert. Ein mit 560 Seiten sehr ausführliches Buch, geschrieben von einem Weggefährten und einem Historiker, erinnert an den SVB-Gründer Johann Haider.

Johann Haider bei einer Sitzung der Bäuerlichen Krankenversiche- rungsanstalt im Jahr 1966 Fotos: AV-Buch/Cadmos Verlag

Einer breiten Öffentlichkeit ist Johann Haider wohl selbst dort, wo er lange Zeit mit großem Engagement als Bürgermeister gewirkt hat (in und um Groß Gerungs im Bezirk Zwettl), 24 Jahre nach seinem Tod im Sommer 1997 nicht mehr bekannt. Dabei war Haider nicht nur der erster Bürgermeister der 1969 unter seinem Wirken zur Großgemeinde mutierten Marktgemeide (später nach ihm auch zur Stadt erhoben). Auch das Herz-Kreislauf-Zentrum in Groß Gerungs wäre ohne sein beherztes Zutun kaum errichtet geworden.
Aufgewachsen ist Haider in Oberrosenauerwald. 1951 promovierte er an der Universität Wien, bewirtschaftete mit seinem Vater den Bauernhof, engagierte sich politisch in der Landarbeiterkammer sowie als ÖVP-Bezirksobmann in Zwettl. 1962 wurde er als Abgeordneter in den Nationalrat gewählt, dem er bis 1983 angehörte. Von 1966 bis 1968 war er auch Staatssekretär im Innenministerium.

Enorme Bedeutung für Österreichs Bauernstand
Für Österreichs Bäuerinnen und Bauern bis heute von enormer Bedeutung war jedoch Haiders sozialpolitischer Einsatz für ihren Berufsstand.
„Ich befasse mich schon seit mehr als zehn Jahren mit Reorganisationsfragen der bäuerlichen Sozialversicherung und bin immer der Meinung gewesen, dass es nur eine Sozialversicherungsanstalt für die Bauern geben soll. Diese Meinung vertrat ich schon vor der Schaffung der Bauernkrankenkasse und nicht erst, wie mir oft vorgeworfen wird, nach deren Gründung“, schrieb Haider 1972. 1974 wurde die SVB Realität. Und Johann Haider deren erster Obmann.
Aus Anlass seines 100. Geburtstages wurden nun das Leben und Wirken des Dr. Johann Haider in einem 560 Seiten starken Buch aufgezeichnet: vom Historiker Günther Steiner und von einem langjährigen Wegbegleiter Haiders, Josef Kandlhofer, Generaldirektor der SVB von 1988 bis 2001. Steiner beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Geschichte der Sozialversicherung in Österreich und mit Persönlichkeiten, die sie gestaltet haben. Gemeinsam mit seinem Innsbrucker Kollegen Gerhard Siegl hat er 2010 auch das Buch „Ja, jetzt geht es mir gut…“ über die bäuerliche Sozialversicherung publiziert.

SVB-Gründungsobmann ab 1974 bis 1988
Kandlhofer wiederum bezeichnet den SVB-Gründungsobmann auch als „meinen Mentor“. Beide lernten sich 1976 im Niederösterreichischen Bauernbund kennen. Der gelernte Jurist Kandlhofer aus einer kinderreichen Bauernfamilie in der Oststeiermark wechselte 1980 in die SVB, war auf Vorschlag Haiders ab 1988 leitender Angestellter der SVB und stand ab 2002 bis zu seiner Pensionierung 2013 an der Spitze des Büros des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger. 13 Jahre lang arbeiteten sie – bis zu Haiders Ausscheiden als SVB-Obmann Ende 1988 – eng zusammen. „Unsere persönliche Verbindung blieb bis zu seinem Tod 1997 bestehen“, erinnert sich Kandlhofer.
Die Gründung der Bauernkrankenversicherung im Jahr 1965 nach Überwindung von vielen Widerständen bezeichnet Kandlhofer als „Haiders Meisterstück“. Zunächst als dessen vorläufiger Verwalter und mit der Konstituierung Gründungsobmann der bäuerlichen Krankenversicherungsanstalt, war Haider ein Mitgestalter der bäuerlichen Altersvorsorge sowie Kämpfer für die Pensionsversicherung der Bauern und für die Mutterschaftsbetriebshilfe. „Ohne Zweifel ist er einer der ‚Säulenheiligen’ der bäuerlichen Sozialversicherung“, betonen Steiner und Kandlhofer.
Fast wäre er, weil gerade dank dieses agrarpolitischen Erfolgs bei der Landbevölkerung sehr populär, auch Landeshauptmann von Niederösterreich geworden, behauptet Kandlhofer. Aber 1966 – „einem Schlüsseljahr seines Lebens“ – wurde Haider Staatssekretär in der ÖVP-Alleinregierung Klaus und unterlag im Rennen um den Landeshauptmann-Sessel bekanntlich Andreas Maurer. Kandlhofer: „So blieb Haider ein Mann im Hintergrund. Bescheiden, verbindlich, aber hartnäckig in der Sache, wenn er von etwas überzeugt war.“ Der Bauernbund sei ihm dabei „wenn auch nicht immer ganz friktionsfrei“ politische Heimat gewesen.

Ein Visionär und Pragmatiker
Haider sei nicht „der Typ des klassischen Bauernpatriarchen“ gewesen, sondern „intellektuell, vielleicht
distanziert, aber nie abgehoben. Das inhaltliche Argument und das Verhandlungsgeschick waren seine Stärke, nicht die laute Rede“. Aufgeben, bevor das Ziel erreicht war? Für Haider keine Option, erinnern sich seine Weggefährten. „Mit seiner Idee der eigenen Sozialversicherungsanstalt für die Bauern war er Visionär, der die Zeichen der Zeit frühzeitig erkannte, und Pragmatiker zugleich.“
Haiders Vision, eine „Einrichtung für die soziale Sicherheit der bäuerlichen Familien“, ist schriftlich erstmals dokumentiert zu Beginn der 1960er-Jahre. Als vorrangiges Ziel formuliert wurde die Fusion der Land- und Forstwirtschaftlichen Sozialversicherungsanstalt (LuF) und der Landwirtschaftlichen Zuschussrentenversicherungsanstalt (LZVA). Dieses Vorhaben scheiterte aber an der Zusammensetzung der Gremien. Bis zur Gründung der Bauernkrankenkasse 1965/66 hatten es die Bauern mit elf Sozialversicherungsträgern zu tun. Bei diesen konnten sich die Bauern freiwillig krankenversichern. Allerdings waren über 50-Jährige davon ebenso ausgeschlossen wie Menschen mit Vorerkrankungen.
Mit dem Beitrag des Betriebsführers für die Hofversicherung waren er selbst, seine Frau und die Kinder versichert sowie alle Personen, die aus dem Ertrag des Hofes ihren Lebensunterhalt bestritten und außerhalb des Betriebes keiner Beschäftigung nachgingen, geschützt.
Haider wollte die eigenen Sozialversicherungsträger für die Krankenversicherung abschaffen. Auch dieses Ansinnen scheiterte. 1968 hat er die Unfallversicherung als eigenen Versicherungszweig der Sozialversicherung infrage gestellt. Die Pensionsversicherung sollte auch die Berentung nach einem Arbeitsunfall übernehmen. Die Unfallheilbehandlung sollte zur Gänze in die Krankenversicherung integriert werden.

Seit 1974 soziale Sicherheit aus einer Hand
1974 war Haider am Ziel: Es kam die „Soziale Sicherheit aus einer Hand“, sprich: ein Sozialversicherungsträger für alle für alle Belange. 46 Jahre lang war die SVB Anker der sozialen Sicherheit für die bäuerlichen Familien. Viele Entwicklungen der bäuerlichen Sozialversicherung, wie die Einführung der Zuschussrente oder der Bauernkrankenkasse, habe er, so Kandlhofer, „aus der Sicht des Versicherten beziehungsweise des Angehörigen miterlebt“. Das Leben und Wirken Haiders nun aufzuzeichnen und zu würdigen, sei ihm daher ein besonderes Anliegen gewesen. Intensiv befasste er sich auch mit dem Nachlass Haiders als Sozialpolitiker. Bewusst und gewollt werden Dokumente ausführlich zitiert. Kandlhofer: „Haider möglichst im Originalton zu bringen, war mein erklärtes Ziel.“

Intensive Archivrecherchen
Dutzende Personen, oft Zeitzeugen, wurden für das Buch kontaktiert und teilweise auch interviewt. Intensive Archivrecherchen waren ebenfalls dazu nötig. Auch Freunde und Familie haben ihre privaten Fotoarchive dafür geöffnet.
2019 wurde die Sozialversicherungsanstalt der Bauern (SVB) mit der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) zur Sozialversicherung der Selbständigen (SVS) fusioniert.
„Um die soziale Sicherheit für die bäuerlichen Familien musste immer gerungen werden. Nichts war selbstverständlich. Möge die soziale Sicherheit für unsere bäuerlichen Familien, die für dieses Land, für unsere Republik so viel leisten und deren Leistung für Staat und Gesellschaft unverzichtbar ist, eine gute Zukunft nehmen“, schreibt Kandlhofer im Epilog des Buches.
Sein Resümee: „Das Buch soll einerseits das Leben und Wirken Johann Haiders aufzeigen und in Erinnerung rufen. Es ist aber auch ein zeitgeschichtliches Dokument der Entwicklung der Sozialversicherung für Österreichs Bäuerinnen und Bauern, deren mitarbeitende Kinder und alle, die aus dem Ertrag ihres landwirtschaftlichen Betriebes ihren Lebensunterhalt bestreiten.“

Bernhard Weber

„Der stille Macher: Johann Haider und seine Mission“; Josef Kandlhofer, Günther Steiner, AV-Buch/Cadmos
Verlag, 560 Seiten, 24,95 Euro.
ISBN 9783840485367

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AUTORRed. SN
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