„Billiger wird es nicht mehr“

Karl Nehammer im Interview mit der BauernZeitung: „Zur Lösung der Krise gibt es für mich keine Denkverbote.“

Was Bundeskanzler Karl Nehammer gegen hohe Energiepreise und teure Betriebsmittel in der Landwirtschaft unternehmen wird, über seine Ansicht, dass die Wahrheit den Menschen zumutbar ist und worauf man beim sich Durchboxen besonders achten sollte.

BauernZeitung: Herr Bundeskanzler, nach zwei Jahren Pandemie und zwei Monaten Krieg in Osteuropa explodieren die Preise für Energie, in Folge auch für Lebensmittel und vieles andere. Die Inflation ist mit 7,2 Prozent hoch wie seit 40 Jahren nicht mehr. Wie beurteilen Sie die Lage?
NEHAMMER: Als äußerst schwierig. Für die Menschen in unserem Land, weil die Teuerung ja unmittelbar spürbar ist. Auf der anderen Seite auch schwierig international, weil dieser Krieg für die meisten von uns tatsächlich ein Novum darstellt in der Wucht, wie er auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr geführt worden ist. Es braucht nun Geschlossenheit in der Frage der EU-Sanktionen gegenüber der Russischen Föderation, die diesen Krieg ja begonnen hat. Für die eigene Bevölkerung haben wir mittlerweile zwei Anti-Teuerungspakete von in Summe 4 Milliarden Euro beschlossen, als Entlastung bei den Energiekosten für Menschen mit wenig Einkommen durch Rückvergütung oder für jene, die auf das Auto oder wie Handwerker und Unternehmer auf Fahrzeugflotten angewiesen sind und nun mit höheren Treibstoffpreisen zu kämpfen haben. Wir haben die Energieabgaben auf Gas und Elektrizität de facto auf null gesenkt, um so die Menschen unmittelbar zu entlasten, auch die Landwirtschaft.

Die Bauern sind von den hohen Kosten für Treibstoff, Dünger oder auch Futter besonders stark betroffen, ebenso Gärtner etwa mit Glashäusern, also eine Sparte, die Ihnen ja aus dem familiären Umfeld gut bekannt ist. Wie wird man speziell der Landwirtschaft nun unter die Arme greifen, die unser tägliches Essen garantiert?
Das ist wohl der wichtigste Punkt. Die Lebensmittelversorgungssicherheit. Sie ist bereits viel stärker in den Köpfen angekommen als früher. Die Bauern haben es mit steigenden Düngerpreisen und Dieselkosten zu tun. Damit sind viele Betriebsmittel für sie teurer geworden. Genau hier müssen wir helfen. Das wird jetzt das zweite Entlastungspaket sicherstellen, auch ausgewogen zwischen den einzelnen Sparten in der Landwirtschaft, egal ob Gärtner, Viehhalter oder Ackerbauern. Unser Ziel ist es, die Teuerungen, die jetzt sichtbar werden, auch für die Landwirte abzufedern.

Österreich muss sich von seiner Gasabhängigkeit von Russland lösen. Wie rasch geht das, auch mit eigenem Biogas? Und wie sehr hat die Landwirtschaft für Sie im Krisenfall
Priorität?
Vor nicht allzu langer Zeit haben wir Biogasanlagen wegen vermeintlicher Ineffizienz stillgelegt. Jetzt ist der Ruf wieder laut, dass es gut wäre, wenn es mehr davon gäbe. Biogas ist eine wichtige zusätzliche Möglichkeit, energieunabhängiger zu werden, vor allem vom russischen Gas. Aber jetzt müssen wir generell einmal Vorsorge treffen, dass die Gasspeicher für den kommenden Winter auf zumindest 80 Prozent gefüllt werden. Wir waren schon unten auf 13 Terrawattstunden, sind jetzt wieder auf 18 und brauchen im Winter jeden Monat rund 10 Terrawattstunden, im Sommer 6,1 bis 6,6, nur um die Relationen zu kennen. Das kostet auch viel Geld, eine Terrawattstunde Gas 100, sogar 120 Millionen Euro. Alles in allem also eine immense Herausforderung. Unsere Abhängigkeit vom russischen Gas lässt sich nicht einfach und schnell kompensieren. Das ist ein mittelfristiges Projekt. Zu Ihrer Frage betreffend Energielenkung: Das muss die zuständige Ministerin Gewessler mit den Branchenvertretern klären, auch betreffend Priorisierung der Lebensmittelerzeuger. Generell gilt es eine solche Energielenkung überhaupt zu vermeiden. Hier gibt es auch keinen Widerstand seitens der Grünen, das möchte ich klar betonen. Die müssen jetzt schwer über ihren Schatten springen. Und die Landwirtschaft spielt eine ganz große Rolle in der Grundsatzfrage, wie wir überhaupt unabhängiger werden von fossilen Energieträgern. Auch mit dem Rohstoff Holz lässt sich die Energieversorgungssicherheit ausbauen und mehr Energieautarkie erlangen.

„Unser Ziel ist es, die Teuerungen auch für die Landwirte abzufedern.“
Karl Nehammer

In Deutschland schwört der Wirtschaftsminister die Menschen unverblümt auf harte Zeiten mit Tränen ein. „Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar“, meinte ein Funktionär im erweiterten Bauernbundvorstand. Ist das so?
Ich halte das für einen ganz wichtigen Grundsatz. Wir wissen, dass die Menschen die Krise spüren, weil die Inflation hoch und das Geld einfach weniger wert ist. Beim Lebensmitteleinkauf, an der Zapfsäule, bei der Strom- und Gasrechnung. Deswegen ja auch unsere Entlastungspakete. Die Teuerung hat schon im vergangenen Jahr langsam begonnen. Der hohe Gaspreis war zu Jahresbeginn sichtbar, also vor Kriegsbeginn. Und eines ist auch gewiss: Egal woher das Gas künftig kommt, billiger wird es nicht mehr. Russisches Gas hatte bisher einen großen Anteil an unserem Wohlstand. Man muss den Mut haben, das auszusprechen, auch wenn man dafür keinen Beliebtheitspreis bekommt. Dazu kommen die Lieferkettenausfälle in der Industrie, weil eine globalisierte Wirtschaft zwar viele Vorteile hat, aber eben auch Nachteile mit sich bringt, wie die Abhängigkeiten von Asien, wenn sich Containerschiffe im Suezkanal quer stellen oder große Hafenstädte wie Shanghai von China in den Lockdown geschickt werden.

Viele stöhnen auch über die hohen Lebensmittelpreise. Wie ist Ihre Meinung zum Thema Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel?
Zur Lösung der Krise gibt es für mich keine Denkverbote. Das gilt auch für die Senkung der Mehrwertsteuer: jetzt muss alles einmal auf den Tisch gebracht werden. Der Finanzminister arbeitet an Konzepten zur Abschaffung der kalten Progression. Gemeinsam mit den Sozialpartnern läuft die Vorbereitung auf den Herbst, für Lohnabschlüsse, damit Arbeitnehmer von dem Geld leben können, dass sie verdienen und Unternehmer weiter Arbeitgeber sein können. Da braucht’s ein Miteinander.

Zwei persönliche Fragen: Was macht Karl Nehammer als Privatperson und zweifacher Vater für Klimaschutz und Tierwohl?
Ich bemühe mich redlich, meinen Beitrag dazu zu leisten, mit relativ einfachen Maßnahmen wie strikte Mülltrennung oder dass unsere Wohnung im Winter nicht überheizt wird. Die Frage, wie wir von der Gastherme einmal wegkommen, ist auch für uns essenziell und nicht leicht lösbar, wenn man in einer Wohnung wohnt. Und ich versuche auch meinen Kindern das Bewusstsein mitzugeben, dass unsere Umwelt eben nur geborgt ist und dass wir alles dafür tun müssen, dass sie auch weiterbesteht. Dazu gehört für mich auch die bewusste Entscheidung für regionale Lebensmittel. Daher auch ein Satz zur beschlossenen Umsetzung der verpflichtenden Herkunftskennzeichnung in der Verarbeitung und in öffentlichen Großküchen. Für mich ist das eine riesige Geschichte, wenn auch noch nicht in der Gastronomie. 75 Prozent der Milch, Eier und Fleisch müssen gekennzeichnet sein. Das sind enorme Mengen. Wir können jetzt zwar die fehlenden 25 Prozent beklagen, aber für mich gilt: Das Glas ist damit nicht halbleer, sondern halbvoll. Für mich gilt in diesem Fall sehr wohl: „Tue Gutes und rede darüber“.

Eines Ihrer Hobbys ist Boxen. Auch Bauern sind nicht davor gefeit, sich immer wieder mal durchboxen zu müssen. Welche Grundlagen beim Boxen gelten auch im täglichen Leben?
Da gibt’s glaub ich viele Analogien: Eine wäre, dass es nicht darauf ankommt, wie hart man schlagen kann, sondern auch wie viele Schläge man einstecken kann. Das Leben besteht nicht nur aus Hoch, sondern auch mal aus Tief und da muss man durch. Und wenn man einmal in der Ecke ist, muss man schauen, dass man aus dieser Ecke auch wieder rauskommt.

Haben Sie für den Bundesparteitag am Samstag auch eine ganz spezielle Botschaft oder eine Ansage für die Landwirte?
Dass wir uns einig sind! Die Volkspartei ist die Organisation, welche die Lebenswirklichkeiten der Menschen am Stärksten auch in ihrer Organisationsstruktur darstellt. Deswegen ist der Bauernbund ja auch eine ganz wichtige Teilorganisation für die Volkspartei, genauso wie Wirtschaftsbund und Arbeitnehmerbund, die Frauen, die Jugend und die Senioren, damit auch alle anderen genannt sind. Wenn ich am 14. Mai tatsächlich die Ehre habe, als Bundesparteiobmann gewählt zu werden, dann ist das für mich etwas ganz Besonderes. Ich bin der Volkspartei seit meinem 14. Lebensjahr verbunden. Deren Bundesparteiobmann zu werden war trotzdem nicht in meiner Lebensplanung vorgesehen. Aber das gilt auch für das Amt des Bundeskanzlers (schmunzelt). Mit der ökosozialen Marktwirtschaft, von Josef Riegler entwickelt und eigentlich die DNA unserer Volkspartei, decken wir auch die landwirtschaftlichen Anliegen ab. Als Grundlage dafür, dass wir Klima- und Umweltschutz im christlich-sozialen Sinne auch leben können.

Zur Person
Karl Nehammer, 49, geboren in Wien, ist seit 6. Dezember
2021 Bundeskanzler der Republik Österreich. Zuvor war er
Innenminister, davor Generalsekretär der ÖVP. Seit Dezember
ist Nehammer geschäftsführender ÖVP-Parteiobmann, am Samstag stellt er sich in Graz der Wahl zum Parteichef.
Sein Vater Karl war Geschäftsführer der LGV Frischgemüse Wien, seine Mutter Grete die Geschäftsführerin der Blumenwerbung und der Vereinigung der Wiener Gärtner.

- Bildquellen -

  • Seite 3 GLJ 3973: ÖVP/Glaser
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