„Auf die Rübe zu setzen war richtig“

In Sachen Rübenpreise sind die Voraussetzungen für den weiteren Anbau von Zuckerrüben derzeit gut wie seit Jahren nicht. Die sehr energieintensive Zuckerraffinerie stellt indes den Verarbeiter Agrana vor enorme Herausforderungen.

Norbert Harringer, Ernst Karpfinger: „38.000 Hektar haben wir heuer nicht ganz geschaff.“

Dazu ein Gespräch mit Agrana-Manager Norbert Harringer und dem obersten Rübenbauern im Land, Ernst Karpfinger.

In anderen Ländern müssen wegen der drohenden Gaskrise die Rüben heuer früher angeliefert werden. Wird das auch in Österreich so sein?
HARRINGER: „Nein, wir haben schon sehr früh, noch im März, damit begonnen, wie wir mit dieser Situation umgehen werden und auch flexibel reagieren können. Wegen der kurzen zeitlichen Komponente haben wir uns dazu entschieden, den Gasbedarf in allen Zucker- und auch Stärkefabriken durch Heizöl extraleicht zu ersetzen, mit viel Aufwand und hohen Investitionen. Aus heutiger Sicht gehe ich davon aus, dass wir mit Beginn der Kampagnen Ende September, Anfang Oktober in Tulln und Leopoldsdorf in der Lage sein werden, je nach vorherrschender Sachlage entweder Gas oder Heizöl extraleicht verwenden zu können.

Wie froh sind Sie, in Österreich weiterhin zwei Zuckerfabriken zu haben, um die Kampagne vielleicht schneller abzuwickeln?
Wir sind natürlich froh über die beiden Standorte. Wir brauchen die zwei Fabriken ja auch, weil wir eine entsprechende Rübenmenge haben. Zu deren sinnvollen Betrieb brauchen wir rund 38.000 Hektar Zuckerrüben oder rund 3 Millionen Tonnen Rüben. Das haben wir heuer zwar nicht ganz geschafft und rechnen mit ungefähr 34.000 Hektar. Unter den aktuellen Bedingungen denke ich, waren wir sehr erfolgreich, egal ob Rübenbauern oder Agrana.

Gab es heuer große Probleme bei der Kulturführung und wenn ja welche?
KARPFINGER: Das Frühjahr war wieder sehr trocken, die Winterfeuchte hat gefehlt. Das hat dort oder da zu Aufgangsprobleme geführt. Auch durch den Rüsselkäfer haben wir in manchen Gebieten in Summe rund 1000 Hektar verloren. Ab Juni ist einmal mehr der Regen ausgeblieben, was dazu geführt hat, dass die Ertragserwartungen bei den Landwirten etwas runtergeschraubt werden mussten. Ende August ist gerade rechtzeitig wieder Regen gekommen. Mit diesem Niederschlag kann die Rübe noch etwas anfangen, für Mais dagegen hilft das alles nicht mehr. Die Rübe kann jetzt noch Zucker und auch Blattmasse wiederaufbauen. Es wird keine Spitzenernte, aber es wird vielleicht noch eine Durchschnittsernte werden.

Was bedeutet das letztlich in Tonnen je Hektar?
Schwer zu sagen. Zuerst dachten wir, es werden 80 Tonnen, dann haben wir auf 72 Tonnen heruntergeschraubt. Die letzte Schätzung wird erst gemacht. Der Ertrag wird vermutlich etwas höher als die 72 Tonnen liegen, aber dafür mit etwas weniger Zucker. Aber wir haben jetzt noch einen ganzen Monat Zeit und hoffen auf weiteren Regen.
HARRINGER: Das ist natürlich auch der Vorteil einer später beginnenden Kampagne. Wir geben damit der Rübe im September noch Zeit, um entsprechend Zucker einzulagern.

Preislich schaut es dafür ja heuer besser aus, wie man hört?
Preislich ist es aus meiner Sicht für die laufende Ernte sehr attraktiv. Ich denke, unsere Rohstofflieferanten haben richtig entschieden, auf die Rübe zu setzen. Ein Preis pro Tonne für die Rübe von 60 Euro und mehr ist unsere Prognose.

Das ist eigentlich so viel wie nie…
Ja, und wie schon lange nicht! Es scheint, dass wir gemeinsam eine sehr lange Durststrecke überstanden haben, auch eine schwierige Phase für die Österreichische Zuckerindustrie an sich.

Wie sehr sieht man das bei Agrana auch mit einem weinenden Auge? Als Verarbeiter sind das ja auch höhere Kosten neben möglichen anderen wie den explodierenden Energiepreisen, die wir alle nicht abschätzen können?
Dass es für unsere Generation noch nie erlebte Rahmenbedingungen zu managen gilt, ist definitiv so. Für mich ist es wichtig, dass wir endlich wieder mal zeigen können, dass die Rübe eine konkurrenzfähige Kultur in Österreich ist und dass man gutes Geld verdienen kann, wenn die Umstände es erlauben. Die Bedingungen sind jedenfalls sehr gut dafür.

Wie groß sollte also die Rübenfläche 2023 sein?
Zumindest 38.000 Hektar.
KARPFINGER: Ich würde mir auch 40.000 Hektar wünschen. Dann haben wir auch eine Reserve, wenn mit dem Rüsselkäfer wieder etwas passiert. Ich sehe auch nicht, dass die Rübenfläche wieder dramatisch zurückgehen wird. Die Zeit nach der Quote, wo alle viel zu viele Rüben angebaut haben, ist vorbei. Das hat sich die vergangenen drei Jahre nach dieser schweren Krise wieder abgebaut. Der europäische Zuckermarkt ist wieder im Gleichgewicht. Der Weltmarktpreis ist stabil hoch und liegt bei 500 Euro. Also wenn wir in Europa halbwegs vernünftig bleiben, dann glaube ich, dass dieser positive Trend durchaus auch wieder nachhaltig sein kann und die Rübe wieder ihren Stellenwert hat. Ich bin auch all jenen Bauern sehr dankbar, die durchgehalten haben, in dieser schwierigen Zeit, auch Agrana.
HARRINGER: Ich glaube wir haben diese Phase gemeinsam durchgetaucht.

Das Stichwort Rüsselkäfer ist bereits gefallen. Generell zum Pflanzenschutz: Die EU-Kommission will ja den chemischen Pflanzenschutz in absehbarer Zeit halbieren. Frankreichs Außenminister hat jüngst in einem Interview erklärt, er will sogar keine Notfall-Zulassungen mehr in Frankreich, etwa für Neonics. Mit welchen einschneidenden Maßnahmen rechnen Sie beide mittel- oder langfristig für den heimischen Rübenbau?
KARPFINGER: Die Neonikotinoide brauchen wir unbedingt. Mittlerweile sind auch die Herbizide wieder in Diskussion, die wir in der Zuckerrübe unbedingt brauchen. Ein Teil davon wurde uns schon vor zwei Jahren weggenommen. Wenn wir nicht Resistenzprobleme bekommen sollen, brauchen wir Wirkstoffe und das in einer gewissen Breite. Minus 50 Prozent beim Pflanzenschutz, das ist leicht gesagt, aber heruntergebrochen auf einzelne Sparten dürfen wir nicht einmal mehr 1 Prozent verlieren. Sonst stehen wir mit dem Rücken zur Wand. Wenn die Krise so weitergeht, werden wir in zwei Jahren die ganze Sache ohnehin anders sehen. Aber noch gibt es in der EU-Kommission in Brüssel Leute, auch in Frankreich und Deutschland, die das noch nicht erkannt haben. Es werden jetzt wieder Atomkraftwerke verlängert, es werden Kohlekraftwerke aufgesperrt und vieles mehr. In der Landwirtschaft geht es aber noch in die falsche Richtung und da müssen wir jetzt dagegenhalten. Man braucht einfach ein gewisses Werkzeug, sonst sind die Lebensmittel und unsere Eigenversorgung gefährdet – nicht nur beim Zucker, auch bei anderen Produkten.
HARRINGER: Versorgungssicherheit ist ein wichtiger Faktor, den wir vielleicht bisher etwas aus den Augen verloren haben. Es hat sich manifestiert, dass man, um diese entsprechend sicher zu stellen, in Zeiten wie diesen auch den einen oder anderen Rückschritt hinnehmen muss.

Die Agrana hat einen Dekarbonisierungspfad eingeschlagen. Könnte es angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Begebenheiten nun länger dauern, dessen Ziel zu erreichen?
Wir wollen unsere Produktion bis 2040 CO2-neutral gestalten. Von diesem Pfad sind wir jetzt auch nicht abgegangen und wir bleiben dabei. Aber um eben Versorgungsicherheit und Produktionskontinuität zu gewährleistein, ist es notwendig, diesen Zwischenschritt mit Heizöl extraleicht, der nicht gewünscht, aber einfach notwendig ist, zu machen – auch wenn das unsere Klimaambitionen kurzfristig konterkariert.

Wie funktioniert der Gasersatz mit Heizöl in den Zuckerfabriken logistisch? Sie haben ja keine Öltanks. Stehen die Ölwaggons dann am Gleis neben den angelieferten Rüben? Wie darf man sich das vorstellen?
Sie sprechen einen wichtigen Punkt an. Für das Heizöl gibt es keine Pipeline, wie wir das vom Gas gewohnt sind. Es muss transportiert werden und es stehen nicht genug Kesselwagen/ zur Verfügung. Die entsprechende Transportlogistik auf die Füße zu stellen ist eine echte Herausforderung. Es gibt natürlich in Fabriken immer Tanks, die gerade nicht gebraucht und die unter strengen sicherheitstechnischen Auflagen umgerüstet werden können. Das geht aber nicht überall. In unserer Maisstärkefabrik in Aschach haben wir auch neue Tanks angeschafft.

Lässt es sich auch beziffern, wie viel Geld das kostet?
Wir rechnen mit zusätzlichen Investitionkosten in Tulln, Leopoldsdorf, Aschach, Gmünd und Pischelsdorf von rund 10 Millionen Euro.

Eine künftig dokumentierte CO2-Bilanz beginnt ja bereits am Acker. Was kommt da langfristig auf die Rübenbauern zu?
KARPFINGER: Ich glaube, dass wir bald einen vernünftigeren Gesamtblick auf das ganze werfen müssen, als wir das bisher aus einer Luxussituation heraus betrachtet haben. Agrana hat schon bisher überall geschaut, wo wir zur Dekarbonisierung etwas beitragen können, auch wegen des Kostendrucks. Dabei war Gas billig und stets hieß es: „Was könnt ihr noch machen?“ Die Zuckerrübe nimmt viel mehr CO2 aus der Luft und liefert dreimal mehr Sauerstoff am Feld als die gleiche Fläche Wald. Vor allem aber reden wir hier von Lebensmitteln. Da wird man bei den Möglichkeiten der Dekarbonisierung noch ganz wo anders hinschauen müssen. Die Agrana hat eine Zuckerfabrik, die mit ihren Rüben-Schnitzel eine Biogas Anlage und die wiederum die Raffiniere betreibt. Das ist ein nettes Vorzeigeprojekt, aber auf den zweiten Blick fehlen die Rübenschnitzel als Futtermittel und damit für die Lebensmittelerzeugung. Das ergibt für mich wenig Sinn. Da kommt wohl noch ein ganz anderer Blick auf Input und Output. Solange wir essen wollen, werden wir in der Landwirtschaft und in der nachgelagerten Industrie auch CO2 produzieren müssen, aber mit einem vernünftigen Blick auf das Ganze.


Zu den Personen: Dr. Norbert Harringer ist Agrana-Vorstand für die Sparte Rohstoffe, DI Ernst Karpfinger wurde vergangene Woche als Präsident der Rübenbauern für eine weitere Amtsperiode bestätigt.

- Bildquellen -

  • Norbert Harringer und Ernst Karpfinger: Agrana/Rübenbauern/Retusche BZ Merl
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AUTORBernhad Weber
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