BauernZeitung: Exzellenz, seit Sonntag befinden wir uns zum zweiten Mal in einem Advent unter Lockdown-Bedingungen. Wie empfinden und erleben Sie diesen?
Schwarz: Ein Lockdown fordert jede und jeden heraus zu einem umsichtigen Umgang miteinander. Ich erlebe die Zeit als eine distanzvolle Aufmerksamkeit füreinander. Manche haben jetzt viel mehr Arbeit: die Pflegekräfte und Ärzte. Auch die Lehrkräfte in den Schulen, Verantwortliche in Kindergärten, die derzeit fast täglich neue Anordnungen bekommen und ein unglaubliches Mehr an Verwaltungsaufgaben erfüllen müssen. Oft übersehen werden die tausenden Helfer in den Teststraßen und im Impfdienst. Oder die Postbediensteten, die gerade jetzt die unzähligen Online-Bestellungen bewerkstelligen müssen.
Bringt der Lockdown in der Adventszeit auch für Sie persönlich noch mehr Entschleunigung, als es ohnehin von der Kirche stets vorgeschlagen wurde?
Manche liebgewordene Rituale fallen aus, der Besuch von Adventmärkten, das Zusammenstehen nach einer morgendlichen Rorate-Messe, besinnliche Liederabende. Es wird heuer keinen Besuch vor Weihnachten im Gefangenenhaus geben. Erneut schränken viele Familien ihre Besuche ein. Vieleicht ist es hie und da auch eine Chance auf Zeit in Ruhe und Stille, Zeit zum Briefe schreiben, um Musik zu hören. Vielleicht werden Stunden frei, um in sich zu entdecken, wie jeder von uns „aus dem ich zu einem wir“ in unserem Umfeld und damit in der Gesellschaft kommen können.
Worüber machen Sie sich derzeit bewusst Gedanken?
Darüber, wie es mit dem Aufeinander-Schauen und dem Füreinander-Sorgen als wesentliche Grundhaltungen in unserer Gesellschaft weitergehen wird. Wir brauchen einander. Vielen ist die Gesundheit sehr wichtig und achten darauf, gesund zu bleiben. Schenken wir einander zu Weihnachten Gesundheit. Ich will mich so verhalten, dass andere nicht durch mich krank werden.
Die Impfung gegen Corona gilt als das wirksamste Mittel, sich selbst und andere zu schützen. Papst Franziskus hat appelliert, sich impfen zu lassen, er sagt, das sei ein Dienst der Nächstenliebe. Im Vatikan gilt bereits Impfpflicht. Bei uns wird die Impfung oft skeptisch gesehen, auch abgelehnt, in einigen ländlichen Regionen besonders stark. Manche sprechen sogar von einer Spaltung der Gesellschaft. Ist eine solche wirklich zu befürchten?
Wir erleben derzeit zwei Grundhaltungen in Bezug auf Corona: sich impfen lassen oder eine Impfung aus irgendwelchen Gründen verweigern. Das Beharren auf der persönlichen Freiheit hat in unserer Gesellschaft zu einem Konflikt geführt: es geht in dieser Pandemie nicht nur um das selbstbestimmte ICH, sondern auch um das gemeinschaftliche WIR. Ich respektiere Entscheidungen und Überlegungen, aber mir geht ein „sowohl als auch“ in der Debatte ein wenig ab. Und es gibt Zahlen und Fakten, die in diesem Prozess auf Grund des Gemeinwohls nicht ignoriert werden dürfen: das erschöpfte Pflege- und Ärztepersonal, die erreichte Kapazitätsgrenze bei den Intensivbetten, die psychosomatischen Beschwerden bei vielen Menschen auf Grund der Lockdowns, die erhöhte Gewaltbereitschaft in den Familien, auch die volkswirtschaftlichen Folgen. Für mich haben die Kranken eine unverrückbare Höherrangigkeit. Es gilt die „Autorität der Schwächeren“: Kranke Menschen müssen eine Vorrangstellung haben bei jenen, die stärker sind und etwas tun können. Für andere etwas zu tun löst im Menschen zudem ein Gefühl der Zufriedenheit aus. Jede und jeder kann etwas beitragen. Jetzt, wo Menschen immer öfter „Du ODER ich“ sagt, müssen wir rufen „Du UND ich“. Das ist bei Corona-Impfungen so, auch bei der Sorge um Ärzte und Pfleger, die jetzt gerade auf Intensivstationen um das Leben von vielen Menschen kämpfen, derzeit vor allem um das Leben von vielen Ungeimpften kämpfen müssen. Solche Situationen ließen sich vermeiden, wenn wir an den Anderen genauso wie an uns selbst denken. Froh bin ich darüber, dass mir, wenn ich krank werde, geholfen wird und ich möchte auch, dass anderen, wenn sie krank sind, geholfen werden kann. Ich habe mich dreimal impfen lassen und hoffe, dass ich gesund bleibe, damit auch andere schützen kann. Unsere Krankenhäuser und Intensivstationen leisten unheimlich großartige Arbeit, Fürsorge und ermöglichen den Prozess der Genesung. Nicht immer gelingt es ihnen, alle Menschenleben zu retten. Es muss schrecklich sein, wenn so viele Menschen in den Krankenhäusern jenen unter den Händen sterben, die sich mühevoll Tag für Tag um das Leben bemühen. Mit Bewunderung danke ich allen Ärzten und Pflegern auch an dieser Stelle.
Sie sind in der Österreichischen Bischofskonferenz unter anderem für Umwelt und Landwirtschaft zuständig. Zu den größten Herausforderungen für letztere zählen der Klimawandel, möglichst nachhaltige Produktionsformen, aber auch Tierwohl. Wie sehen Sie den immer härter werdenden Kampf vieler Bäuerinnen und Bauern um Erzeugung, Absatz und Preise?
Die Sorge um das Klima bewegt viele Menschen. Wir erleben in der heutigen Zeit Überschwemmungen, Dürre sowie Hitzeperioden. Das trifft vor allem die Bäuerinnen und Bauern, die das Land bewirtschaften. Sie sichern durch die Landwirtschaft eine ausgezeichnete Qualität unserer Lebensmittel. Das gilt es beim Einkauf zu honorieren. Wir dürfen heute aber auch den Wald als Erholungsraum und in seiner Co2 Speicherleistung nicht unterschätzen. Es braucht daher eine neue Debatte um die Gestaltung der Wälder zum Wohle aller. Nachdem die Klimaveränderungen die Bauern in besonderer Weise betreffen, sollten gerade sie energisch ihre Stimme erheben und selber Vorreiter in allen Belangen des Klimaschutzes werden. Und viele sind es auch. Der Anbau pflanzlicher Rohstoffen wie nachwachsender Energieträger leistet dazu einen positiven Beitrag. Zudem sind Überlegungen zur Regionalität und Saisonalität wichtige Bausteine einer nachhaltigen Ernährungs- und Landwirtschaft. Damit werden die regionalen Wirtschaftskreisläufe gestärkt und Transporte aus Übersee verringert. Zugleich braucht es Initiativen zur Eindämmung von Lebensmittelverschwendungen und Bodenverbrauch.
Worauf sollte Österreich, auch Europa, bezüglich Landwirtschaft in den kommenden Jahren besonderes Augenmerk legen?
Hilfreich wäre der Einsatz für die Bewahrung der Schöpfung, für eine biologische Vielfalt in einer ökosozialen Marktwirtschaft. Die Landjugend ist dabei für mich ein Hoffnungsträger der nachhaltigen Landwirtschaft. Besonders wichtig ist mir in bäuerlichen Familienbetrieben das aufmerksame und wertschätzende Miteinander der Generationen, das der Jugend Zuversicht schenkt, unser Land zu bebauen und zu pflegen.
In wenigen Wochen ist der Jahreswechsel. Ihr Neujahrswunsch?
Dass wir im Sinne des christlichen Glaubens einander zu Lichtbringern zu werden sowie Frieden und Wertschätzung sowie ein respektvoller Umgang miteinander.
Wie wird Ihre Adventszeit in St. Pölten heuer aussehen? Wie der Heilige Abend?
Für mich werden die Kontakte auf Grund des Lockdowns ebenso weniger sein, jedoch werde ich mich durch Gebet und Stille, Lesen und Feiern der Adventliturgie auf Weihnachten vorbereiten. Die Christmette und die Gottesdienste an den Weihnachtsfeiertagen feiere ich in der Domkirche. Die großartigen Produkte unserer Bäuerinnen und Bauern, von Brot über Gemüse, Obst, Fleisch und Wein, machen den Weihnachtstisch zu einem kostbaren Fest.
Zur Person
Dr. Alois Schwarz, (69), Bauernsohn aus Hollenthon (NÖ), ist seit Mai 2018 Bischof der Diözese St. Pölten. In der Österreichischen Bischofskonferenz ist er Referatsbischof für Umwelt, Wirtschaft und Landwirtschaft.
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