Frau Landesobmann-Stellvertreterin, welche Probleme muss man im ländlichen Raum angehen?
NORZ: Die Zeiten haben sich gewandelt. Der ländliche Raum ist nicht automatisch eine Problemzone, sondern der Raum, in dem die Zukunftsaufgaben unserer Gesellschaft liegen: Systemrelevante Versorgungssicherheit bei Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen, ebenso bei natürlichen Ressourcen für Energiewende und Klimaschutz. Dieses Potenzial gilt es zu nützen. Am wichtigsten ist es, Dörfer, Gemeinden und Kleinregionen zu stärken, um junge Leute dafür zu begeistern, die Vielfalt und die Möglichkeit der Region wahrzunehmen. Gerade die Coronapandemie hat deutlich gezeigt, was möglich wäre. Beispielsweise haben Homeoffice, Co-working, Facharbeitsberufe in ihrer ganzen Bandbreite oder kreative Start-ups durchaus Entwicklungspotenzial. Gemeindekooperationen wie in Matrei am Brenner, Mühlbachl und Pfons sind ein weiteres gelungenes Beispiel dafür, wie sich die Lebensqualität in Kleinregionen zum Vorteil aller verbessern lässt.
Wo muss man ansetzen, um den ländlichen Raum voranzubringen?
NORZ: Stärke von überschaubaren Räumen ist, dass persönliches Engagement dort eher gelebt wird und der Innovationsgeist der Bevölkerung geweckt werden kann – dort gilt es anzusetzen, denn starke Regionen brauchen eine innovative Gesamtstrategie. Die Grenzen zwischen Stadt und Land verschwimmen allmählich, es findet ein fließender Mentalitätswandel statt, weil viele Menschen heute zwischen verschiedenen Lebensrealitäten pendeln. Früher wurde das Landleben oftmals als rückständig dargestellt. Die jahrzehntelange Landflucht verlangsamt sich und ist keine Einbahnstraße mehr – vom Land in die Stadt. In attraktiven Regionen gibt es längst die umgekehrte Entwicklung – bewusst aufs Land zu ziehen, wenn die Rahmenbedingungen passen. Es liegt daher an den politischen Vertretern, den ländlichen Raum attraktiv zu halten. Es gibt durchaus noch viel Potenzial – dafür benötigt es spezielle Anreize für junge Menschen.
Welche Themen ergeben sich daraus für Forum Land?
NORZ: Unser Auftrag für die Zukunft ist die Festigung der Daseinsvorsorge und Versorgungssicherheit für alle – unabhängig von der Region. Aber auch die Themen Energie und erneuerbare Ressourcen werden uns in den kommenden Jahren weiterhin beschäftigen.
Boden ist in Tirol ein knappes Gut. Wie lässt sich der Bodenverbrauch reduzieren?
NORZ: Der Bodenschutz – oder, besser gesagt, die Eindämmung der Bodenvernichtung – ist mir ein Herzensanliegen. Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie aus dem Jahr 2002 war ein Bodenverbrauch von maximal 2,5 Hektar pro Tag in Österreich. Aktuell liegen wir immer noch um ein Vielfaches über diesem Wert. Lebendiger Boden als Basis für Versorgung und Klimaschutz muss Vorrang haben. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, um den Verbrauch zu bremsen und dennoch Wohn- und Wirtschaftsraum zu schaffen. Durch gezielte Leerstandserhebung und spürbare Nutzungsanreize könnten Revitalisierungen und Umnutzungen gepusht werden. Beispielhaft ist die Region Bregenzerwald, wo mit einem wohlüberlegten Gesamtkonzept fast 1000 Gebäude (Leerstände) vorbildlich revitalisiert wurden. Theoretisch wäre 25 Jahre keine Neuflächenwidmung mehr nötig, um den Wohnbedarf zu befriedigen. Auseinandersetzen muss man sich auch mit den wirtschaftlichen Konsequenzen der Coronakrise. Experten rechnen mit dem größten Wirtschaftseinbruch nach dem Zweiten Weltkrieg. Zu erwarten sind frei werdende Handels-, Gewerbe- und Industrieflächen. Nachhaltige Umnutzung statt Neuwidmung ist somit ein Gebot der Stunde.
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