Gaspipeline
Seit Montag (11.07.2022) ist der Gashahn der Pipeline Nordstream 1 zu. Langfristig wäre zuallererst die Industrie betroffen, auch in Österreich.

Während Deutschland bereits mit Ende Juni die Alarmstufe ausgerufen hat, verweilt Österreich seit März in der Frühwarnstufe des nationalen Gasnotfallplans.Daran solle sich laut Aussagen von Energieminister in Leonore Gewessler (Grüne) nichts ändern, solange das erklärte Ziel – zu 80 Prozent gefüllte Gasspeicher bis November – auch erreicht werde.

Um sich trotzdem auf die letzte Stufe des Notfallplans, welche eine Rationierung des Gasbedarfs von 7500 Unternehmen zur Folge hätte, vorzubereiten, hatte Gewessler in der Vorwoche die Industrie dazu aufgerufen, all ihre Anlagen, sofern technisch möglich, auf dualen Betrieb umzurüsten. Neben Gas solle eine weitere Energiequelle in Form von Erneuerbaren oder Heizöl erschlossen werden. Eine entsprechende Verordnung werde zeitnah in Begutachtung gehen, hieß es aus dem Klimaministerium (BMK). 40 Prozent der 9 Milliarden Kubikmeter des Gasverbrauchs hierzulande geht auf die Kappe der Industrie. Auch der Landwirtschaft sind zahlreiche industrielle Unternehmen vor- und nachgelagert, mit unterschiedlichem Einsparungspotenzial.

Lebensmittel außer Konkurrenz
Im Falle des Inkrafttretens der dritten und letzten Stufe im Notfallplan seien Lebensmittelverarbeiter ausgenommen, wie medial immer wieder betont wird. Trotzdem zählt die Lebensmittelindustrie insgesamt zu den energieaufwändigsten Sparten. Sie benötigt rund 3,5 Terrawattstunden Erdgas pro Jahr, also ca. 10 Prozent des Gesamtverbrauchs der Industrie. Für die verarbeitenden Betriebe ist der Ausstieg aus Erdgas daher schon länger ein großes Thema. Österreichs umsatzstärkste Molkerei, die Berglandmilch eGen, gab auf Nachfrage an, teilweise noch auf Heizöl zurückgreifen zu können. Die Möglichkeiten seien vor allem zeitlich begrenzt, hieß es. Für die Molkerei stelle der Zeithorizont mitunter das größte Problem dar. Langfristig sehe man die Zukunft in der Biomasse „Der Standort Wörgl läuft bereits mit 100 Prozent Biomasse, nächstes Jahr folgen drei weitere Betriebsstätten.“

Ähnliches ist von den Schlacht- und Zerlegebetrieben zu hören. Die Marcher Fleischwerke etwa betonen, dass man wie die gesamte Branche in den letzten Jahrzehnten die Dampf- und Heißwassererzeugung mit Gasbrennern betrieben habe. Geschäftsführer Norbert Marcher dazu: „Wir haben vorsorglich Umrüstungen unserer Dampfkessel-Heizungen auf andere Energiequellen zeitgerecht beauftragt, sodass wir im Worst- Case einen Notfallbetrieb aufrechterhalten können.“ Zwar zählen die Fleischverarbeiter zur systemkritischen Branche, verbindliche Zusagen ob und wie viel Gas im Ernstfall fließt, gäbe es bisweilen aber nicht.

Gerüstet bei Zucker und Stärke
In der Agrana-Gruppe wird in Sachen Gas-Stopp beruhigt. Auch wenn die Produktion von  Zucker und Stärke sehr energieintensiv sei und derzeit zu 50% aus Erdgas gespeist werde, könne kurzfristig der gesamte Betrieb auf Heizöl umgestellt werden, schildert Agrana- Pressesprecher Markus Simak. Die entsprechenden Heizölbrenner zur Dampferzeugung werden bis Herbst flächendeckend installiert. „Mittelfristig zielt aber unser Energiemanagement darauf ab, fossile Energieträger durch erneuerbare Energieformen zu ersetzen. Bis 2040 haben wir einen konkreten Plan, klimaneutral zu produzieren“, so Simak weiter. In Sachen Notfallplan wünschte sich Agrana-CEO Markus Mühleisen gegenüber der APA jedoch „bessere Abstimmung“.

Futtermittel- und Getreidebranche unschlüssig
Unklarer scheint die Situation für die Futtermittelhersteller. Man zähle sich selbst zur Nahrungs- und Genussmittelindustrie, meint Fixkraft-Futtermittel Geschäftsführer Rupert Bauinger. Ob man allerdings im Ernstfall uneingeschränkt Gas erhalte, sei völlig unklar: „Ein klares Bekenntnis der Regierung wäre dringend nötig.“ Das Unternehmen stelle derzeit, wie von der Regierung gefordert, Teilbereiche auf Strom um. Auch Kombibrenner für Heizöl seien bestellt. „Die erhalten wir in den nächsten zwei, drei Wochen“ so Bauinger. Dass Öl langfristig keine Lösung sei, ist auch hier kein Geheimnis. Man arbeite an einem Konzept mit erneuerbaren Energieträgern.

In der Raiffeisen Ware Austria (RWA) ist die Situation ähnlich: Die Hundertprozent- Tochter Garant werde bis Mitte August die Umrüstung auf Heizöl geschafft haben, weiß RWA Pressesprecherin Monika Voglgruber zu berichten. In dieser Saison nicht mehr machbar sei eine Umrüstung der Getreidetrocknungsanlagen der Lagerhäuser. Nähere Informationen zur Gasverfügbarkeit im Falle einer Rationierung sucht man aber auch in der RWA-Zentrale Korneuburg vergeblich. „Wir gehen davon aus, dass die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln hoch priorisiert wird“, gibt sich Voglgruber zuversichtlich.

Diskrete Düngerhersteller
In der Düngemittelbranche, wo die uneingeschränkte Belieferung mit Erdgas Grundvoraussetzung der Herstellung von Stickstoffdüngern ist, wollte man sich zu einer rationierten Gasversorgung nicht konkret äußern. Auf Nachfrage bei Borealis wurde auf vorhandene Maßnahmenpläne verwiesen, welche vertraulich behandelt würden. Man befinde sich jedenfalls im „kontinuierlichen Austausch mit den Behörden“, hieß es aus der Presseabteilung der Borealis-Group. Auch ob ein Sonderstatus im Notfallplan bestehe und im Ernstfall Düngemittel geliefert werden könnten, wollte man nicht beantworten.

Klare Information gefordert
Derzeit sind die Gasspeicher zu 42 Prozent gefüllt. Sollten die Lieferungen aus Russland ausbleiben und auch keine erhöhten Gasmengen aus anderen Staaten importiert werden, wird die Regierung in letzter Konsequenz regulierend eingreifen müssen. Alternative Energieträger wären dann zumindest für einen Notbetrieb Trumpf. Die Erkenntnis ist, dass eine Umrüstung viel Zeit braucht und – im Falle von Heizöl – auch aus Umweltgründen kritisch zu sehen ist. Seitens der Industrie wünscht man sich eine klarere Kommunikation aller Beteiligten, um im Ernstfall gerüstet zu sein.

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AUTORClemens Wieltsch
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