Quelle: Privat
Zur Person: Prof. Lars Schrader ist Leiter des Friedrich-Loeffler-Instituts für Tierschutz und Tierhaltung (ITT) in Celle, Niedersachsen. Er ist Mitglied er Borchert-Kommission, eines Berater-Gremiums der deutschen Regierung für den Umbau der Tierhaltung.

Vor überzogenen Erwartungen an die Haltungskennzeichnung warnt Lars Schrader, anerkannter Experte für Fragen der Nutztierhaltung, im Interview mit dem Pressedienst Agra-Europe. Eine solche sei nur ein erster Schritt mit Auswirkungen auf überschaubares Segment.

Generell ortet Schrader ein verändertes Bewusstsein, „eine gestiegene Offenheit für Tierschutz“, der Landwirte in Deutschland.

Sie leiten seit zwanzig Jahren das ITT in Celle. Was hat sich seither beim Tierschutz in der Nutztierhaltung getan?
SCHRADER: Bemerkenswert sind vor allem die großen Veränderungen in den Köpfen der Tierhalterinnen und Tierhalter. Sie argumentieren heute ganz anders als damals. Ein Beispiel: Das Standardargument bei der Käfighaltung von Legehennen war früher, solange die Hennen jeden Tag Eier legen, gehe es ihnen gut. Dieses Argument war schon damals falsch und ist völlig verschwunden. Ich nehme anders als früher eine Ernsthaftigkeit der Landwirte wahr, die Tierhaltung in ihren Ställen zu verbessern. Dafür brauchen sie einen politisch vorgegebenen Rahmen.

Was hat sich konkret in den Ställen verbessert?
Insgesamt nicht genug. Ein neuer Stall muss zwanzig Jahre halten, bevor er abgeschrieben und einigermaßen wirtschaftlich ist. Ein ein Wechsel der Stallsysteme erfolgt also über lange Zeiträume. Das ist der Grund, dass in der Schweinehaltung nach wie vor Vollspaltenböden für Mastschweine und der Kastenstand für Sauen vorherrschen, bei letzterem nur noch für eine Übergangszeit. Schneller gegangen ist es bei der Haltung von Milchkühen in Laufställen, eines der wenigen Beispiele, bei denen mehr Tierschutz mit besserer Wirtschaftlichkeit einhergeht. Positiv sind auch die angestoßenen Entwicklungen etwa durch Tierschutz-Siegel.

Wo sehen Sie derzeit den größten Handlungsbedarf?
Eindeutig in Mastställen. In der Regel stehen die Tiere auf Vollspalten mit sehr begrenztem Platzangebot. Bei Milchvieh muss man über die Anbindehaltung diskutieren, die teils noch sehr verbreitet ist. Auch die Putenhaltung bereitet große Probleme.

Ist Tierschutz eine eher deutsche Diskussion?
Nein. Das Thema Tierschutz hat bei uns in der Öffentlichkeit und der Politik eine größere Bedeutung als etwa in Spanien. Daher ist bei uns auch der Druck auf die Branche größer. Auch in den anderen EU-Ländern wird diese Diskussion an Intensität gewinnen. Die EU-Kommission hat bereits angekündigt, dass sie die europäischen Richtlinien für die Tierhaltung überarbeiten und ergänzen wird. In Brüssel spürt man den Druck, beim Tierschutz mehr zu machen.

Unterschiedliche Länder-Vorgaben führen tendenziell zu Wettbewerbsverzerrungen. Sollte man EU-weit einheitlich vorgehen?
Das sollte man anstreben. Nicht nur aus Wettbewerbsgründen, auch weil wir möchten, dass es allen Tieren besser geht.

Ist Tierwohl gleich Tierschutz?
Tierwohl ist ein neuer, noch bis vor kurzem nicht verwendeter Modebegriff, eine Übersetzung aus dem englischen „animal welfare“, hat aber eine andere Bedeutung als Tierschutz. Beim Tierschutz geht darum, was ich dem Tier anbiete, damit es ihm gut geht, etwa wie viel Platz ein Tier bekommt oder wie es gefüttert wird. Beim Tierwohl fragen wir direkt danach, wie es dem Tier geht.

Wissen wir, wie gut es den Tieren insgesamt geht?
Bislang viel zu wenig. Ein nationales Tierwohl-Monitoring wäre eine wesentliche Voraussetzung, um beurteilen zu können, ob die Maßnahmen für mehr Tierwohl auch wirken.

Wie erkennt man das?
Anhand von tierbezogenen Indikatoren: Aus dem Bereich Gesundheit, etwa ob Schäden an Haut und Gelenken oder dem Gefieder und Fußballen vorliegen. Wir können uns auch Verhaltens-indikatoren anschauen. Typische Anzeichen von Verhaltensstörungen sind Zungenrollen beim Rind oder das Stangenbeißen bei der Sau, auch das Hinlegen und Aufstehen von Milchkühen, um festzustellen ob die Liegebereiche angemessen sind. Das im Einzelfall zu erkennen, ist nicht trivial. Es ist eben einfacher, mit dem Zollstock in den Stall zu gehen und die Quadratmeter zu messen, als mit geschultem Auge zu beobachten, wie sich ein Tier verhält. Aber genau das erfordert eine Beurteilung des Tierwohls. Oder denken Sie nur an Probleme mit Schwanzbeißen.

Gibt es einen Zielkonflikt zwischen Tierwohl und Betriebsgröße?
Nicht unbedingt. Wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema zeigen keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Tierschutzproblemen und der Größe eines Stalles. Kleine Betriebe, die eine intensive Tierbetreuung haben, sind unter Tierwohlgesichtspunkten ebenso gut zu beurteilen wie große Betriebe mit einer professionellen Tierbetreuung. Es kommt darauf an, wie Tiere betreut werden, nicht wie viele insgesamt in einem Stall stehen. Ein Schwein hat mit den anderen Schweinen in seiner Bucht zu tun. Ob da einige oder viele weitere Buchten im Stall sind, dürfte ihm egal sein.

Nicht egal ist es oft den Anwohnern, ob ein Stall offen oder geschlossen ist. Offenstall ist gleichbedeutend mit Geruch. Ist das lösbar?
Emissionen müssen in offenen Ställen nicht höher sein als in geschlossenen Ställen. Sie hängen von den Bakterien im Kot ab, die den Stickstoff im Harn zu Ammoniak abbauen. Oder auch von der Temperatur. Zumindest in den Winter- oder Übergangsmonaten sind die Emissionen in offenen Ställen geringer als in geschlossenen. Der Unterschied ist, dass die Abluft bei geschlossenen Ställen zentral geführt und gefiltert werden kann. Diese Möglichkeit besteht in offenen Ställen nicht.

Was also tun?
In der Schweinehaltung geht es darum, das natürliche Verhalten der Tiere auszunutzen und den Liege- vom Kotbereich zu trennen. Bei hinreichend Platzangebot sollte die Fläche so strukturiert werden, dass der Liegebereich attraktiv zum Liegen ist, der Kotbereich aber unattraktiv. Dann kann man ungefähr vorhersagen, an welcher Stelle die Schweine koten werden. Dort kann eine Art Toilette dafür sorgen, dass Kot und Harn möglichst getrennt und schnell abtransportiert werden. Das ist bei Rindern schwieriger, aber auch dort gibt es technische Möglichkeiten einer Kot-Harn-Trennung, durch Spaltenformen, einem Unterbau unter den Spalten oder stetes Abschieben von geschlossenen Flächen. Sogar ein Kuh-Klo könnte machbar sein.

Wie bringt man eine Kuh dazu, aufs Klo zu gehen?
Rinder lassen da ihren Kot fallen, wo sie jeweils stehen. Auf der Weide ist das biologisch auch sinnvoll. In Versuchen konnten wir zeigen, dass zumindest Kälber lernen können, einen bestimmten „Toiletten-Bereich“ aufzusuchen, um Harn abzulassen, wenn sie eine Belohnung dafür bekommen. Wir hoffen, in einem Folgeprojekt Trainingsprogramme für die Kuh-Praxis zu entwickeln. Ich bin zuversichtlich, dass so etwas gelingen kann.

Wird es den emissionsarmen oder gar emissionslosen Offenstall geben?
Letzteren wird es nie geben, ersteren gibt es schon heute. Unter Federführung des Kuratoriums für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft werden seit Jahren Messungen durchgeführt, um zu zeigen, wie sich bestimmte emissionsmindernde Maßnahmen auswirken. Wir sind dabei auf einem guten Weg, auch wenn noch Entwicklungsarbeit notwendig ist.

Es wird immer schwieriger, für Stallneubauten Genehmigungen zu bekommen. Bauern stoßen regelmäßig auf Widerstand in der Bevölkerung, selbst mit Tierwohlställen. Was raten Sie?
Generell helfen hier nur Aufklärung und das Bemühen, ak­tiv auf die Leute zuzugehen. Ein Offenfrontstalll oder ein Auslaufstall muss nicht zwingend mehr Geruch emittieren als ein geschlossener Stall. Wenn er gut geführt wird, ist da einiges machbar. Ich bin sicher, dass man einen Stall mit Auslauf und Stroh den Leuten besser erklären kann als einen geschlossenen Stall mit Vollspaltenbuchten, der ja auch riecht. Darüber gilt es zu informieren, um hierfür Akzeptanz zu erreichen. Dass man damit nicht alle erreichen kann, ist auch klar.

Wäre es hilfreich, wenn hin und wieder mal ein Minister, eine Ministerin einen neu gebauten Stall eröffnet oder zumindest besucht?
Das passiert ja gelegentlich. Vor kurzem hat sich unser Landwirtschaftsminister Cem Özdemir bei uns einen konventionellen Stall angeschaut, an den ein Auslauf mit Stroheinstreu angebaut wurde. Die Tiere sind also jetzt Strohschweine. Wenn Landwirte solche Leuchttürme offensiv zeigen, wie ihre Schweine im Stroh herumspringen, kann das vielleicht den einen oder anderen Nachbarn friedvoller stimmen, der ansonsten die Nase rümpft.

Sie sind auch Mitglied der Borchert-Kommission. Wie enttäuscht sind Sie, dass die Umsetzung trotz politischer Willensbekundungen bislang auf der Stelle tritt?
Das Borchert-Papier sieht mehrere Säulen vor. Dazu zählen ein Tierwohllabel, Investitionshilfen für den Stallumbau, einen zusätzlichen Ausgleich der variablen Kosten und Änderungen im Bau- und Umweltrecht. Geplant ist allerdings kein Tierwohllabel, wie wir es vorgeschlagen hatten, sondern eine Tierhaltungskennzeichnung.

Was ist der Unterschied?
Das Label ist viel umfassender angelegt. Bei der Haltungskennzeichnung werden lediglich wenige Rahmenkriterien gesetzt, die erfüllt werden müssen. Es wird nicht mehr Tierwohl versprochen, weil es nicht überprüft werden kann, wie das beim Label vorgesehen war. Die Haltungskennzeichnung ist also ein erster Schritt. Absolut enttäuschend wäre es, wenn nicht weitere Schritte folgen. Die Anforderungen an die Nutztierhaltung werden nicht sinken, im Gegenteil. Das Thema Tierwohl wird in 20 Jahren mindestens so präsent sein wie in den vergangenen Jahren. Ein Aus­sitzen wird nicht funktionieren.

Wird die Haltungskennzeichnung die Tierhaltung in Deutschland verbessern?
Sie kann zu Verbesserungen führen, weil sich Tierhalter motiviert sehen könnten, ihren Stall für mehr Frischluft oder Auslauf umzubauen, weil sie damit ihre Tiere besser vermarkten können. Ich bin mir aber sicher, dass dies ein überschaubares Segment bleiben wird, wenn zusätzliche Zahlungen aus öffentlichen Mitteln ausbleiben.

Wie sieht die Tierhaltung der Zukunft aus?
Sie wird wesentlich transparenter sein als heute. In vielen Ställen werden Kameras installiert sein, damit sich Konsumenten über eine App anschauen können, wo das Tier herkommt, dessen Fleisch sie essen wollen und wie es in dem Stall zugeht. Insgesamt wird sich die Digitalisierung auch in der Tierhaltung weiter durchsetzen. Man wird künftig noch viel besser den Zustand der Tiere anhand von Schlachtbefunddaten beurteilen können. Schon heute können wir mit automatischen bildgebenden Verfahren Fußballenschäden beim Huhn oder Schwanzschäden beim Schwein sehr gut erkennen. In einigen Jahren wird man das so weit standardisieren können, dass wir zu objektiven Messergebnissen kommen.

Heißt das, im Stall wird das Tierwohl künftig digital gemessen?
Die Technik wird im Stall immer Hilfsmittel bleiben. Entschei­dend bleibt der Mensch. Er muss den Blick auf die Tiere haben, im Stall stehen und sich kümmern. Das Auge des Halters oder der Halterin mästet das Vieh.

Kann mehr Tierwohl es stoppen, dass immer weniger Fleisch konsumiert wird?
Nein, das glaube ich nicht. Allenfalls kann mehr Tierwohl in der Nutztierhaltung den Trend verlangsamen, keinesfalls jedoch stoppen oder gar umkehren. Das wäre auch nicht wünschenswert. Wenn wir alle weniger Fleisch essen, hätten wir nicht nur einige gesundheitliche Probleme weniger. Der damit einhergehende Rückgang der Tierbestände wäre auch ein Beitrag zur Verminderung der Treibhausgasemissionen. Wenn die Tierhalter trotzdem das gleiche Geld verdienen könnten, wären sie damit wohl auch sehr zufrieden.

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AUTORRed. B.W.
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