Brexit: Der Handel wird komplizierter

Nach beinahe 40 Jahren verlässt das Vereinigte Königreich mit dem Jahreswechsel endgültig die Europäische Union. London und Brüssel einigten sich im letzten Moment, um ein No-Deal-Szenario abzuwenden.

Europa will Waren aus England künftig streng kontrollieren.

Es war fast ein “Weihnachtswunder”. Am 24. Dezember einigten sich die Vertreter der Europäischen Union mit jenen der britischen Regierung auf ein Post-Brexit-Abkommen. Der am Tag darauf von beiden Seiten veröffentlichte Vertrag zeigt aber die Härte des Brexits. 

Rund 1.250 Seiten umfasst das Dokument, in dem unter anderem Fragen zum Handel, der Zusammenarbeit von Polizei und Justiz und dem Krankenversicherungsschutz Reisender bei Notfällen geregelt ist. Ersichtlich ist: Der Handel zwischen Großbritannien und den verbleibenden 27 EU-Mitgliedsstaaten wird deutlich komplizierter. Für britische Waren fallen durch die Einigung in Zukunft zwar keine Zölle an, britische Exporteure in die EU müssen allerdings ab dem Jahreswechsel aufwendig nachweisen, dass die Produkte tatsächlich überwiegend im eigenen Land hergestellt wurden. Auch für die Einhaltung der EU-Regeln zur Lebensmittelsicherheit und zur Einhaltung von Produktstandards müssen künftig Nachweise erbracht werden.

Umfassende Kontrollen 

Für Waren aus der EU, sieht die britische Regierung derzeit solche Anforderungen nicht vor, umgekehrt hat aber beispielsweise Frankreich bereits umfassende Kontrollen ab dem Jahreswechsel angekündigt. So soll gewährleistet werden, dass bei Nahrungsmitteln oder Industrieprodukten alle geltenden Normen eingehalten werden. Der französische Staat habe rund 1.300 Menschen angeworben, um diese Kontrollen zu gewährleisten, hieß es am Wochenende.

Diese Ankündigung ist für den Handel nicht unwesentlich. Immerhin laufen etwa 70 Prozent des Handelsvolumens zwischen Großbritannien und der EU über die französischen Häfen Calais und Dünkirchen sowie über den Eurotunnel. Ab Jänner 2021 müssten außerdem Zollformalitäten eingehalten werden, da Großbritannien Binnenmarkt und Zollunion verlässt.

Sieg und Niederlage

Dass das Abkommen in letzter Minute noch zustande kam, wurde von vielen Seiten begrüßt. Auch die Vereinigung der europäischen Landwirte und Agrargenossenschaften Copa-Cogeca erklärte in einer Stellungnahme: “Es ist sehr positiv, dass die Verhandlungen endlich zu einem Abschluss gekommen sind”. Man sieht die Bedürfnisse des Agrar- und Lebensmittelsektors berücksichtigt, ein No-Deal-Szenario mit hohen Zöllen hätte die Lebensmittel- und Getränkeindustrie hart getroffen.

Britische Fischereiverbände dagegen sehen in der ausgehandelten Übergangsphase, in der EU-Fischer vorerst nur ein Viertel ihrer bisherigen Fangquoten in britischen Gewässern aufgeben müssen, eine Niederlage. Seitens der britischen Regierung wird darauf verwiesen, dass beide Seiten Kompromisse eingehen mussten. Nach Ende der fünfeinhalbjährigen Übergangsphase werde es aber eine Rückkehr zur vollen Kontrolle über die eigenen Gewässer geben. Sollte London den Zugang später weiter beschneiden, könnte allerdings Brüssel wiederum mit Zöllen antworten.

Für die Copa-Cogeca-Vertreter steht nicht zuletzt deshalb fest: “Wir alle müssen uns die Details des Abkommens ansehen, um die vollen Auswirkungen zu verstehen, aber es ist wichtig, dass die Behörden der EU und des Vereinigten Königreichs blitzschnell handeln, um sicherzustellen, dass die Unternehmen die neuen Handelsanforderungen verstehen, dass die Grenzkontrollen ab dem 1. Januar effizient funktionieren können und dass die Kommission über ein Krisenmanagementprotokoll verfügt”, so die Vertreter der Vereinigung. 

Sollte dieser nächste Schritt nicht funktionieren, müsse man sich auf “stürmische Gewässer” für den 48 Milliarden Euro schweren Agrar- und Lebensmittelhandel zwischen EU und Großbritannien einstellen. 

Vorläufiger Vertrag statt Ratifizierung

Seitens der EU bleibt bis zum 31. Dezember nicht mehr genug Zeit, um den Last-Minute-Deal rechtzeitig zu ratifizieren. Der Vertrag wird deshalb vorerst nur vorläufig angewendet. Es braucht allerdings auch dafür noch die Zustimmung der 27 EU-Staaten. Die EU-Botschafter sollen sich am heutigen Montag dazu treffen.

Im Jänner muss das EU-Parlament das Abkommen dann nachträglich prüfen. In London dagegen will Boris Johnson noch am 30. Dezember ein Gesetz vom Parlament beschließen lassen, um dem Abkommen Wirksamkeit zu verschaffen. Die Abstimmung gilt als Formsache.

(red.V.S.)

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  • Europe Map With Waiting Trucks Brexit / Border Control/ Customs Check / 3d Illustration: brainwashed 4 you-stock.adobe.com
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