Der Einmarsch Russlands in der Ukraine hat die ohnehin schon extrem angespannte Situation am Düngemittelmarkt verschärft, die Preise weiter in die Höhe getrieben und regional zu Verfügbarkeitsproblemen geführt.
Mit Kriegsbeginn in der Ukraine am 24. Februar kam zusätzlich große Nervosität in die Märkte. Die Gaspreise stiegen kurzfristig enorm an, was bei Kalkammon-
salpeter eine weitere Preissteigerung von unglaublichen 200 Euro pro Tonne nach sich zog. Sanktionen gegen russische Produzenten, die fast ausschließlich im Eigentum milliardenschwerer Oligarchen sind, reduzierten das Angebot und führten vor allem bei Kali-, aber auch bei Phosphatdüngern zu weiteren Preissprüngen.
Österreichs Landwirte reagierten auf diese außergewöhnliche Marktsituation mit einer deutlichen Reduktion des Düngemitteleinsatzes. Laut jüngster AMA-Statistik ging im Zeitraum Juli 2021 bis März 2022 der Einsatz von Stickstoff im Jahresabstand um ca. 11 Prozent, von Phosphat um fast 30 Prozent und von Kali um mehr als 40 Prozent zurück.
Ohne Erdgas kein Stickstoffdünger
Was nun die kommende Saison 2022/23 betrifft, so veröffentlichte der norwegische Marktführer für Nitratdünger, Yara, bereits am 2. Mai die Einlagerungspreise für Kalkammonsalpeter (KAS) für Deutschland, Belgien und Holland. Diese lagen deutlich unter den Saisonpreisen. Der frühe Angebotszeitpunkt hatte den Zweck, die bescheidene Nachfrage im Frühjahr wieder in Schwung zu bringen.
In Österreich wurden Mengen für das neue Düngerjahr Anfang Juni angeboten. Diese bewegten sich auf dem Preisniveau vor Kriegsbeginn. Trotz einer signifikanten Preisreduktion waren die Preise in Relation zu den Erdgaspreisen und somit zu den Produktionskosten, aber auch im Vergleich zu den Harnstoffnotierungen deutlich zu hoch. Die Halbierung der Gasliefermengen aus Russland Mitte Juni zog jedoch unmittelbar deutliche Preisanstiege bei Erdags auf den Spotmärkten nach sich und führte zu großer Nachfrage und Kaufbereitschaft. Die Industrie reagierte darauf mit Preiserhöhungen. Da auch die Gaspreis-Futures aufgrund großer Nachfrage zumindest bis zum Jahresende äußerst fest sind, kann von weiterhin festen und hohen KAS-Preisen ausgegangen werden.
Um die österreichische Landwirtschaft mit Stickstoffdünger (in der Hauptsache KAS) versorgen zu können, ist eine uneingeschränkte Belieferung mit russischem Erdgas Voraussetzung. Dies betrifft die Produktionsanlagen von Borealis in Linz sowie auch Produzenten in der Slowakei und in Ungarn. Alternative KAS-Lieferanten können nur einen geringen Teil des Bedarfs kompensieren. Die österreichische Bundesregierung sollte deshalb in ihrem Gas-Notfallplan der Bedeutung der Düngemittelproduktion Rechnung tragen, um die regionale Versorgung mit Lebensmitteln zu sichern.
Günstiger Harnstoff ist nur begrenzt verfügbar
Zurzeit wäre Harnstoff eine preislich attraktive Alternative zu KAS. Trotz der Schwäche des Euros ist der Reinstickstoff-Preis im granulierten Harnstoff deutlich günstiger. Dies trifft aber nur für Ware aus Ländern mit günstigem Gas zu (Ägypten, Algerien, Oman, Turkmenistan u. a.), europäische Produzenten sind hier nicht wettbewerbsfähig. Allerdings ist der kostengünstige Harnstoff nur begrenzt verfügbar. Der Transport auf der Donau ist durch niedrige Pegelstände und knappen Frachtraum beeinträchtigt bzw. extrem teuer. Deshalb gelangt Harnstoff ausschließlich über Hochseehäfen nach Europa, beispielsweise über Ravenna (I), Koper (SLO), Stettin (PL), Konstanza (RO) und Gent (BE), was eine aufwendige LKW-Logistik nach sich zieht.
Abhängigkeit von russischem Phosphat
Bei phosphathaltigen Düngemitteln, und hier vor allem bei Diammoniumphosphat (DAP), ist die Versorgung Europas und damit auch Österreichs stark von Ware aus Russland abhängig. Alternative Quellen stammen vor allem aus Nordafrika. Diese sind jedoch aufgrund ihres hohen Cadmium-Gehaltes nach der ab 16. Juli 2022 in der EU in Kraft tretenden neuen Düngemittelverordnung großteils nicht verkehrsfähig, da der Grenzwert teilweise deutlich überschritten wird. Der EU-Landwirteverband Copa Cogeca hat eine Initiative gestartet, um die Verschärfung des Grenzwertes zumindest vorübergehend zu verschieben. Bleibt zu hoffen, dass diese Initiative auch Gehör findet.
Sollte russisches DAP am europäischen Markt ganz fehlen, könnte das zumindest zu vorübergehenden Versorgungsengpässen führen. Aufgrund der extrem hohen Preise muss jedoch auch im Düngerjahr 2022/23 wieder mit deutlichen Mengenrückgängen gerechnet werden.
EU-Quoten für Kali aus Russland
Da beinahe 40 Prozent der weltweiten Kaliproduktion in Russland und Weißrussland liegen, schränkte der sanktionsbedingte Ausfall dieser Produzenten in Europa die Warenverfügbarkeit dramatisch ein und sorgte für kontinuierliche Preiserhöhungen. Aktuell steht uns in Europa mehr oder weniger nur Kali & Salz (K+S) aus Deutschland als verlässlicher Lieferant zur Verfügung. K+S kann jedoch den europäischen Bedarf bei Weitem nicht alleine decken. Aus diesem Grund hat die EU Quoten für russisches Kali genehmigt, die ab 10. Juli 2022 in Kraft treten und binnen Jahresfrist Importe im Ausmaß von ca. 840.000 t erlauben. Ob diese jedoch tatsächlich ihren Weg in die EU finden, ist mangels möglicher Logistikwege aus Russland und Weißrussland sehr
fraglich.
Produktionsstopp bei Mehrnährstoffdüngern
Viele NPK-Produzenten, vor allem in Osteuropa, mussten im Frühjahr aufgrund nicht vorhandener Rohstoffe (MAP/DAP, Kali) die Produktion abstellen und haben diese noch immer nicht hochgefahren. Auch hier hat die Europäische Union Quoten in der Höhe von mehr als 1,5 Mio Tonnen für Importe aus Russland ab Juli genehmigt, um die Versorgung sicherzustellen. Die neuen Einlagerungspreise der österreichischen Industrie liegen leicht unter den Preisen der Frühjahrssaison, die weitere Preisentwicklung ist unmittelbar von den einzelnen Nährstoffpreisen abhängig.
Aktuell herrschen große Unsicherheit und Unklarheit hinsichtlich der Einschränkungen der Handelsbeziehungen mit russischen Produzenten. Es kommt ständig zu Erweiterungen der Liste der sanktionierten Oligarchen, zu Änderungen in der Eigentümerstruktur sanktionierter Unternehmungen, zu Ausweitungen auf zusätzliche Produktgruppen und Branchen, aber auch zu Ausnahmeregelungen und genehmigten Mengenquoten. Zusätzlich legen einzelne Länder der EU diese Sanktionen unterschiedlich aus. Diese Tatsachen verunsichern alle Beteiligten enorm und behindern die Geschäftstätigkeit. Hier wäre ein EU-weites, verständliches Regulativ mit klaren „Spielregeln“ wünschenswert.
Andreas Hochgerner