Etwa 8.700 Almen gibt es noch in Österreich. Die 1961 in Innsbruck geborene Reiseschriftstellerin Susanne Schaber hat mit dem bekannten Bergfotografen Herbert Raffalt viele von ihnen besucht und sich auf die Suche gemacht nach dem wirklichen Leben auf der Alm, ihrer Tradition und ihrem historischen Erbe. Im Frühjahr 2023 erschien die erweiterte Auflage ihres Werkes „Almen in Österreich“ (Tyrolia-Verlag). Susanne Schaber und Herbert Raffalt werden in den ersten zwei Folgen dieser Almserie von ihren Eindrücken erzählen.
Frau Schaber, was fasziniert Sie als Mensch und Journalistin am Thema „Almen“?
SUSANNE SCHABER: Wir leben in einer Zeit, in der man sich stärker denn je auf seine Wurzeln besinnt, aufs Daheimsein, auch auf das nachhaltige Wirtschaften, den Umweltschutz. In diese Wünsche passt auch das Almleben gut hinein. Almen sind Sehnsuchtsorte, Projektionsflächen für vielerlei Phantasien.
Uns hat interessiert, was hinter diesen Klischees steckt. Wie schaut das Almleben wirklich aus? Was hat man von früheren Traditionen ins Heute gerettet und wo muss man sehen, wie man den Weg in die Zukunft findet?
War es leicht, mit den Menschen, die auf der Alm leben und arbeiten, ins Gespräch zu kommen?
SCHABER: Die Menschen, die wir porträtiert haben, sind uns mit großer Offenheit begegnet, was wohl auch daran liegt, dass ihnen das Thema Alm sehr am Herzen liegt und dass sie dafür kämpfen, Traditionen weiterzuführen.
Man redet ja oft vom lustigen Almleben früherer Tage. Und natürlich hatten die Sennerinnen und Hirten auf der Alm viel größere Freiheiten als unten im Tal: Sie waren weit weg von den Direktiven der Bauern und Bäuerinnen und den Geboten der Kirche. Gleichzeitig war das Tagwerk sehr fordernd: Man hatte das Vieh zu betreuen und dann auch noch Käse, Topfen und Butter herzustellen, was für die Versorgung der Höfe eminent wichtig war.
Welche Veränderungen zu früher haben Sie wahrgenommen?
SCHABER: Inzwischen sind die Almen leichter zu erreichen, es gibt Strom, einen Kühlschrank, ab und zu sogar Handyempfang und Internet. Und doch ist der Alltag hart geblieben. Die Sorge für das Vieh oder auch das Schwenden sind aufwendige Herausforderungen: Wer seine Alm nicht regelmäßig von Gebüsch freischlägt, riskiert, dass der Wildwuchs überhandnimmt. So leistet man auf der Alm auch viel für den Landschafts- und Naturschutz. Almen sind feinnervige Sensoren für das ökologische Gleichgewicht, sie sichern die Diversität, schützen vor Hangrutschungen und Lawinen und sorgen für natürlich hergestellte Milch- und Fleischprodukte. In unseren Tagen, das hoffen wir zumindest, wächst das Bewusstsein dafür, wie kostbar diese Ressourcen sind.
Dennoch machen sich viele Menschen Sorgen um die Almwirtschaft …
SCHABER: Viele Almbauern machen sich mit Recht Sorgen. Einer von ihnen wird in unserem Buch vorgestellt: Der Steirer Christian Bachler, der als „Wutbauer“ bekannt wurde. Er hat uns vor Augen geführt, wie schwer es ist, sich als Bauer durchzuschlagen, ohne in die Fänge der Banken und der Überschuldung zu geraten. Die EU hat die Auflagen für die Förderungen der Almen verschärft, das macht es nicht leichter. Christian gehört dennoch zu denen, die fest an die Zukunft der Almen glauben, weil sie wesentlich zu einem Hof gehören. Zugleich beobachtet er natürlich, wie viele Almen aufgegeben werden, weil sie nicht mehr rentabel sind oder Arbeitskräfte fehlen. Anderen ist die Arbeit zu beschwerlich.
Gibt es Tiroler Almen, die Ihnen speziell in Erinnerung geblieben sind?
SCHABER: In Tirol sind mir zwei Alm-Erlebnisse besonders nahe. Zum einen die Besuche auf der Stamser Alm: Hier haben die Stiftsherren Mitte des 18. Jahrhunderts ein Konvent errichten lassen, das den Patres als Sommerfrische und Refugium diente. Hier konnten sie sich, wie es früher hieß, die dringend notwendige „Abspannung“ verschaffen. Und da man auch für ihr Seelenwohl sorgen wollte, baute man hier oben, auf fast 2.000 Metern, eine Kapelle. Sie ist ein kunsthistorisches Kleinod, prächtig freskiert und im Stil des Rokoko gestaltet: ein Findling inmitten der Wiesen, wo das Vieh weidet. Zum anderen sind mir die Almen im Venter Niedertal in besonderer Erinnerung, weil einem dort bewusst wird, wie weit die Tradition der Sommerweiden und der Transhumanz, die sich dort noch erhalten hat, in die Geschichte der Menschheit zurückreicht – wovon der Ötzi und alle Forschungen in seinem Kontext berichten. Und natürlich auch die Fundstücke aus prähistorischen Zeiten, wie etwa der Unterstand für die Hirten.
Das Niedertal bleibt für mich ein magischer Ort, den mir Hans Haid auf seine besondere Art nahegebracht hat. Er hat dort uralte Kultplätze entdeckt. Und es ist wirklich so: Wer über die Almböden wandert, mit Blick auf die Gletscher und den Similaun, der gut als heiliger Berg durchgehen könnte, fühlt sich verzaubert und in andere Welten versetzt.
Was haben Sie bei den Recherchen für Ihr Leben mitgenommen?
SCHABER: Es sind immer wieder die Begegnungen mit den Menschen, die mich bewegen und inspirieren, das Eintauchen in fremde Lebenswelten und Erfahrungen. Als Reiseschriftstellerin bin ich viel unterwegs, aber das Exotische, so habe ich es oft erlebt, liegt direkt vor unserer Haustüre und nicht nur in anderen Ländern oder auf fernen Kontinenten!
Vielen Dank für das Gespräch!
- Bildquellen -
- Tirol Stamser Alm: Herbert Raffalt
- I.Prugger 2sp: Privat
- Susanne Schaber Auf Der Alm Malga Priu Ugovizza Raffalt: Herbert Raffalt