Nach dem Ausbleiben von Arbeitskräften aus Osteuropa droht auf verschiedensten Agrarbetrieben jetzt Not am Mann. Österreichs Maschinenringe koordinieren gemeinsam mit den Landwirtschaftskammern seit knapp einer Woche über die Plattform lebensmittelhelfer.at die Anfragen von Arbeitswilligen und vernetzen diese vor allem mit Landwirten. Dazu ein Interview, geführt von Chefredakteur Bernhard Weber per Video-Konferenz, mit MR-Bundesgeschäftsführer Franz Sturmlechner und dem Direktor der LK Niederösterreich, Franz Raab.
BauernZeitung: Das Landwirtschaftsministerium, die Landwirtschaftskammern und die Wirtschaftskammer haben sofort reagiert und gemeinsam die bundesweite Plattform dielebensmittelhelfer.at ins Leben gerufen. Der Ansturm ist dem Vernehmen nach hoch. Ihre erste Zwischenbilanz?
Sturmlechner: Wir freuen uns, dass sich so viele Freiwillige melden. Die große Herausforderung ist es nun, genau jene Personen an die Betriebe zu vermitteln, welche diese auch brauchen. Jeder Betrieb hat andere Anforderungen an die Qualifikation oder auch an die Einsatzdauer. Weder die Landwirte noch die Lebensmittelbetriebe haben gerade jetzt die Ressourcen, andauernd neue Leute einzuschulen. Besonders gefragt sind Personen, die länger oder öfters helfen können und bereits einschlägige Qualifikationen oder Grundkenntnisse etwa im Gemüseanbau oder in der Fleischverarbeitung mitbringen.
Welche Agrarsparten müssen am drängendsten bedient werden?
Raab: Bedarf gibt es derzeit vor allem im Gemüse-, Obst- und Weinbau und hier vor allem speziell in intensiven Kulturen wie Radieschen, Salat oder Paradeiser, aber auch in der Fleischbranche, wo etwa jene Arbeitskräfte fehlen, die nach der Schlachtung das Fleisch, egal ob von Rindern, Schweinen oder Geflügel zerlegen.
Sturmlechner: Zusätzlich organisieren die Maschinenringe weiterhin die soziale Betriebshilfe. Also wenn nun auf einem Bauernhof der Betriebsführer wegen einer Corona-Erkrankung ausfällt, kann wie gewohnt ein Betriebshelfer aus der Landwirtschaft angefordert werden.
Wer sollte sich konkret als Lebensmittelhelfer melden?
Sturmlechner: Wir haben schon bisher sehr eng mit einigen Pilotbetrieben zusammengearbeitet. Dabei hat sich gezeigt: Wer folgende fünf Merkmale mitbringt, hilft den Betrieben momentan am meisten. Erstens: Zeit. Gesucht werden überwiegend Vollzeit-Arbeitskräfte, weil diese besser in die Prozesse auf einem landwirtschaftlichen Betrieb eingegliedert werden können. Zweitens braucht es dafür Qualifikationen oder Grundkenntnisse in der Landwirtschaft, idealerweise im Obst- oder Gemüsebau. Das können auch Gärtner sein. Drittens muss man körperlich belastbar sein und viertens am besten in der Nähe des Betriebs wohnen. Dann fallen keine langen Pendel-Strecken an. In Zeiten von Corona sollte niemand für ein paar Stunden Arbeitseinsatz quer durchs Land fahren, sondern möglichst in seiner Region bleiben. Das heißt, wir suchen eher Leute am Land als aus den Großstädten. Die fünfte Anforderung ist Verlässlichkeit. Und Teamfähigkeit. Jeder Lebensmittelhelfer ist Bestandteil eines Teams, das unter Einhaltung aller gesetzlichen Vorgaben, etwa hinsichtlich Hygiene, arbeitet. Dieses funktioniert nur, wenn alle Beteiligten zusammenarbeiten und eben auch verlässlich zu den vereinbarten Zeiten zum Arbeitsplatz kommen.
Worauf muss sich ein Erntehelfer einstellen?
Raab: Die Arbeit ist körperlich fordernd, das darf man nicht unterschätzen. Man ist bei jeder Witterung am Feld, egal ob Hitze oder Kälte. Auch muss man bei der Arbeit konzentriert vorgehen. Obwohl viele Tätigkeiten oft einfach erscheinen, können bei unsachgemäßer Umsetzung große Schäden entstehen. Außerdem übersteigt aktuell die Zahl der Freiwilligen noch bei weitem den gemeldeten Arbeitskräfte-Bedarf der Betriebe. Es kann also nicht jeder, der sich nun gemeldet hat, auch eingesetzt werden.
Wie werden die Arbeiten bezahlt? Stimmt es, dass etwa für Agrarstudenten und angehende Veterinäre solche Einsätze dem Studium angerechnet werden sollen?
Raab: Die Frage des Entgeltes oder auch, ob zusätzliches Fahrtgeld bezahlt wird, ist mit dem Betriebsführer individuell zu vereinbaren. In der Regel wird die Arbeit entgeltlich erfolgen. Hier ist der jeweilige Kollektivvertrag der Branche anzuwenden. Und es stimmt: Einige Ausbildungsstätten arbeiten daran, solche Arbeit als Pflichtpraktika anzurechnen oder dafür ECTS-Punkte zu vergeben. Wir bitten alle, zu diesen Fragen mit ihrer jeweiligen Ausbildungsstätte Rücksprache zu halten, da dies unterschiedlich gehandhabt wird.
Brauchen Sie auch Asylwerber oder gar Schüler?
Raab: Wir brauchen vor allem jene Personen, welche die fünf bereits genannten Kriterien erfüllen. Asylwerber haben noch keinen freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie dürfen aber im Rahmen saisonaler Kontingente für die Land- und Forstwirtschaft beschäftigt werden. Auch muss vor Aufnahme der Tätigkeit eine Beschäftigungsbewilligung beim AMS erwirkt werden. Und Schülerinnen und Schüler sollen weiterhin ihre Schulpflicht erfüllen, wenn auch von zu Hause aus, und nicht den ganzen Tag am Feld stehen. Abgesehen davon, dass das Mindestalter 15 Jahre ist und dass die körperliche Arbeit für viele sicherlich zu anstrengend wäre.
In Sozialen Medien meinen auch Bauern, man sollte die Erntehelfer halt per Flugzeug ins Land holen. Wie durchdacht ist dieser Vorschlag?
Sturmlechner: Es gibt Bemühungen auf allen Ebenen, um Möglichkeiten zu finden, wie in Normaljahren üblich Saisonarbeitskräfte aus anderen Staaten auch heuer in Österreich beschäftigen zu können. Aus heutiger Sicht ist jedoch nicht abschätzbar, wie sich die Situation in Österreich selbst, vor allem aber auch in den Herkunftsländern dieser Helfer entwickelt. Daher brauchte es jedenfalls auch diese Option der Online-Plattform, um Arbeitskräfte zu finden, die bereits im Land sind.
Was können jene tun, die nun die Bauern wie auch die heimische Lebensmittelbranche, an der ja ebenfalls zehntausende Arbeitsplätze hängen, von daheim aus unterstützen wollen?
Raab: Indem sie jetzt bewusst Produkte aus heimischer, am besten aus lokaler Produktion kaufen, im Supermarkt oder über spezialisierte Online-Shops und jetzt trotz des allgemeinen Aufrufes, daheim zu bleiben, auch bei Direktvermarktern ab Hof oder auf Märkten vorbeischauen. Auf der Website www.frischzumir.at vom Netzwerk Kulinarik findet man verschiedene regionale Online-Shops die regionale Lebensmittel anbieten.
Wie lange denken Sie braucht es, dass Ihre Plattform so funktioniert, wie Sie sich das vorstellen?
Sturmlechner: Wir sind seit knapp einer Woche, konkret seit vergangenem Freitag, bundesweit online und die Bereitschaft vieler Menschen, den Bäuerinnen und Bauern jetzt zu helfen ist überwältigend. Es war nicht absehbar, dass wir so viel Zuspruch erhalten. Derzeit arbeiten wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Ressourcen daran, die Prozesse zu optimieren, damit wir die passenden Personen zielgenau an die Betriebe vermitteln können. Das braucht einfach seine Zeit. Daher bitten hier um etwas Geduld und Verständnis.
Wo kann man sich online über alle Details informieren?
Raab: Unter dielebensmittelhelfer.at oder auf den Websites der Landwirtschaftskammern. All jene, die sich gemeldet haben, halten wir aber gemeinsam mit dem Landwirtschaftsministerium, den Wirtschaftskammern und auch der AMA via E-Mail auf dem Laufenden.
Interview: Bernhard Weber
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