BauernZeitung: Sie sind gelernter Jurist. Wie ist eigentlich Ihr persönlicher Bezug zur Landwirtschaft?
WOJCIECHOWSKI: „Ich bin in einer Bauernfamilie geboren und auf einem Bauernhof aufgewachsen. Ich weiß also aus eigener Erfahrung, wie schwer die Arbeit auf einem solchen ist. Die Landwirtschaft liegt mir daher am Herzen. Unsere Bäuerinnen und Bauern ernähren und verteidigen uns. Das wird manchmal in meinem Heimatland Polen über Bauern gesagt, in Bezug auf die Geschichte unseres Kampfes für die Freiheit und die Teilnahme polnischer Bauern daran. Ich denke, das gilt für die gesamte Europäischen Union: Die Bauern ernähren uns und kümmern sich um uns.
In Ihrer Anhörung vor EU-Parlamentariern sagten Sie, die GAP sei keine Bibel. Was meinten Sie damit?
Die GAP-Vorschläge der Kommission liegen seit Juni 2018 vor. Wir müssen aber auch berücksichtigen, was seither auf der politischen Agenda aufgetaucht ist, nämlich die klimapolitischen und umweltrelevanten Herausforderungen und der nun im Dezember 2019 beschlossene Green Deal. Die Land- und Forstwirtschaft werden beim Übergang in ein nachhaltigeres Wirtschaftssystem der EU eine entscheidende Rolle spielen. Beide erbringen eine breite Palette von Umwelt- und Klimadienstleistungen für die gesamte Gesellschaft. In der neuen GAP-Periode sollen auch nachhaltige Produktionsverfahren unterstützt werden. Generell müssen wir den Landwirten ermöglichen, bestmöglich zum Green Deal beizutragen und gleichzeitig mit ihrer landwirtschaftlichen Tätigkeit ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Sie sind nicht der erste Agrarkommissar, der vieles vereinfachen möchte. Was wollen Sie anders machen als Ihre Vorgänger?
Mit den Vorschlägen der Kommission soll etwa der Umfang der detaillierten Rechtsvorschriften auf EU-Ebene erheblich reduziert werden. Auch erhöht unser Vorschlag, den Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die von ihnen festgelegten Regeln gezielt, auf einfache Weise und auf operationaler Ebene den Bedürfnissen ihrer Landwirte entsprechen. Dies ist besonders für kleinere Familienbetriebe wichtig. Und geht es nach der Kommission, müssen die nationalen GAP-Strategiepläne künftig speziell darlegen, wie die einzelnen Mitgliedstaaten die einfache Umsetzung der gemeinsamen Agrarpolitik letztlich gewährleisten werden.
Ebenfalls bei Ihrem Hearing im EU-Parlament haben Sie betont, dass die Landwirte auch in der nächsten GAP-Periode viel Unterstützung benötigen. Also keine massiven Kürzungen des Agrarbudgets?
Die Kommission hat vorgeschlagen, für die Landwirtschaft mit 365 Milliarden Euro für den Zeitraum 2021 bis 2027 ein starkes Budget beizubehalten. Dies wäre eine moderate Kürzung um fünf Prozent. Was die Gesamtsituation des EU-Budgets betrifft, gibt es enorme Herausforderungen, allen voran den Brexit, die im Vorschlag zum Mehrjährigen Finanzrahmen bis 2027 berücksichtigt werden müssen. Zudem fordern wir die Landwirte auf, mehr zu den Klima- und Umweltzielen beizutragen. Erwartet wird, dass 40 Prozent der GAP-Mittel künftig zum Klimaschutz beitragen. Deshalb benötigt die GAP ausreichende Finanzmittel. Ich darf daran erinnern, dass der finnische Ratsvorsitz im Dezember eine Aufstockung der Mittel für die Ländliche Entwicklung vorgeschlagen hat. Es würde mich also freuen, wenn die europäischen Staats- und Regierungschefs hier einen politischen Konsens über die Aufstockung der GAP-Mittel erzielen würden.
Der Green Deal sieht vor, dass Europas Landwirte den Einsatz von Pestiziden, Dünger und auch Antibiotika reduzieren sollen.
Stimmt, ein Teil des Green Deals ist die Strategie „Farm to Fork“. Sie ist Teil des Green Deals, um Europas Lebensmittelproduktion nachhaltiger zu machen. Diese sollte zu nachhaltigen Praktiken wie Präzisionslandwirtschaft, Biolandwirtschaft, strengeren Tierschutzstandards, mehr Agrarökologie und damit auch einer Reduzierung von Pestiziden, Düngemitteln oder Antibiotika führen. Die Kommission wird mit den Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, um die Ziele des Green Deals vollständig in den nationalen Strategieplänen zu verankern. Dafür sollen die Landwirte für Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz belohnt werden. Etwa für Leistungen wie die Speicherung von Kohlenstoff im Boden oder verbessertes Düngermanagement zur Verbesserung der Wasserqualität und zur Verringerung der Emissionen. Der Green Deal ist also eine wichtige Chance für die Bäuerinnen und Bauern und gleichzeitig eine starke Rechtfertigung für eine faire und angemessene finanzielle Unterstützung der Landwirte. All das wird durch die Unterstützung der Agrareinkommen, des Risikomanagements und der Wettbewerbsfähigkeit ergänzt, die auch mit der künftigen GAP fortgesetzt wird.
Alle stellen immer mehr Anforderungen an die Bauern: Sie sollen sichere Lebensmittel liefern, die natürlichen Ressourcen und das Klima schützen sowie auf Tierschutz achten…
Unsere Landwirte können diese Anforderungen erfüllen. Aber dafür müssen wir sie verstärkt unterstützen. Die Landwirtschaft ist nicht Teil des Problems, sie ist Teil der Lösung, und der Green Deal bietet den Landwirten eine großartige Gelegenheit, das Wirtschaftssystem zu dekarbonisieren. Oder anders formuliert: Landwirtschaft ist unsere Zukunft, nicht unsere Vergangenheit. Unsere Landwirte sollten sich darauf verlassen können, dass wir sie mit einer für sie freundlicheren GAP unterstützen, die angemessen finanziert ist und ihnen die Sicherheit bietet, die sie benötigen.
Für Österreichs Biobauern mit Tierhaltung soll es ab heuer keine Ausnahmen mehr von der Weidepflicht ihrer Rinder oder Schafe geben. Manche Betriebe können das einfach nicht bewerkstelligen und stehen damit nun möglicherweise vor dem Aus.
Generell müssen EU-Regeln einheitlich für alle Mitgliedstaaten gelten, ohne länderspezifische Ausnahmen. Wir werden uns aber alle Möglichkeiten ansehen, dieses Problem zu lösen. Mehr kann ich derzeit dazu nicht sagen.
Wie stehen Sie eigentlich zum Freihandelsabkommen von EU und Mercosur? Österreich lehnt dieses ja strikt ab.
Die Kommission hat für die Bedenken der Landwirte Verständnis. Der freie Handel bleibt allerdings ein zentrales Merkmal der EU und damit auch der GAP. Die Aufrechterhaltung eines Gleichgewichtes zwischen Importen und Exporten trägt zur Stabilität des Binnenmarkts bei und gewährleistet auch die Ernährungssicherheit aller Bürger. Dass die EU heute der weltweit größte Exporteur ist, ist kein Zufall. Auch hat die marktfreundliche Agrarpolitik der EU die globale Wettbewerbsfähigkeit ihrer Landwirte und Lebensmittelerzeuger verbessert. Der Ruf der EU, sichere, nachhaltig produzierte und hochwertige Lebensmittel zu haben, gilt weltweit als Erfolgsformel. Ein offener und fairer Handel ist also sowohl für die Landwirtschaft und den Lebensmittelsektor wie für das Wohlergehen der EU-Bürger von Vorteil. In den vergangenen Jahren hat die EU zahlreiche erfolgreiche bilaterale Handelsabkommen geschlossen. Auch das umstrittene CETA-Abkommen mit Kanada hat bisher dazu beigetragen, unsere Ausfuhren zu steigern, bei Käse sogar um 26,6 Prozent. Rindfleischimporte aus Kanada blieben jedoch bei rund zwei Prozent der gewährten Quoten. Daher sind die tatsächlichen Auswirkungen des Abkommens positiv und sehr weit von den negativen Vorhersagen und Warnungen betreffend eine Überschwemmung des EU-Marktes entfernt.
Intensive Beratung bei Wiener Tafelspitz
Der Agrarkommissar im Gespräch mit Spitzen des Bauernbundes wie NÖ Obmann Stephan Pernkopf und Direktor Paul Nemecek. Als Präsident des Ökosozialen Forums und damit Gastgeber der Wintertagung hatte Pernkopf zum Treffen mit Wojciechowski auch den Pfarrer aus seiner Heimatstadt Wieselburg, Daniel Kostrzycki, mitgebracht, wie der Brüsseler Politiker ebenfalls gebürtig aus Polen. Tags darauf erläuterten die Bauernbündler, darunter EU-Abgeordneter Alexander Bernhuber, dem Kommissar auch bei einem Arbeitsessen in einem Wiener Lokal, bekannt für seine typisch Österreichische Rindfleisch-Küche, die Probleme der heimischen Biobauern, was die Umsetzung einer Weidepflicht für viele Betriebe betrifft.
Interview: Eva Zitz
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- Janusz Wojciechowski: Ökosoziales Forum/APA-Fotoservice/Ludwig Schedl