„Wir müssen dabei das Ganze sehen“

Der steirische Diözesanbischof Wilhelm Krautwaschl über die Gräben, die seit Beginn der Corona-Pandemie aufgerissen worden sind, und warum es Sinn macht, bewusst auf die Weihnachtsbotschaft hinzuhören.

Wilhelm Krautwaschl: „Bewusstsein für Regionales nimmt zu.“ Foto: Jungwirth

BauernZeitung: Herr Bischof, haben Sie eine Erklärung dafür, warum Corona die Gesellschaft bis in die Familien hinein zu spalten beginnt?
KRAUTWASCHL: Zunächst möchte ich bei allen „Dankeschön“ sagen, die impfen gehen, denn sie vergisst man. Das ist der weitaus größere Teil unserer Gesellschaft, der diesen Dienst für sich und auch für die anderen gemacht hat. Die Sache ist in meinen Augen sehr differenziert zu betrachten, weil ich nicht glaube, dass das erst durch Corona gekommen ist. Im Sinne von „Die Welt wird immer komplizierter, die einzige Sicherheit, die es gibt, bin ich mir selbst“ wird Freiheit sehr großgeschrieben und auch ohne den Bezug zum Nächsten wahrgenommen. Ich denke an zig Predigten, die ich im Laufe der letzten Jahre bei Visitationen gehalten habe und mich dabei auch an die in den ersten Reihen sitzenden Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern gewandt und zu ihnen gesagt habe, dass es ihnen wahrscheinlich gleich geht wie mir. Solange der Bischof oder der Bürgermeister das sagt, was sich die Leute denken, ist er für sie in Ordnung. Von dem her ist es nichts Neues, aber es kommt jetzt eruptiv heraus und bringt die entscheidende Frage zum Vorschein: Haben wir es gelernt, aufeinander zu hören oder haben wir es verlernt, den anderen ernst zu nehmen, weil nur ich zähle?

Haben Sie Angst, dass die Situation eskalieren könnte?
Ich weiß es nicht! Als die Corona-Pandemie losgegangen ist, waren wir alle miteinander vor Angst erstarrt. Angst und Furcht sind immer da, wenn etwas Neues daherkommt. Aber jetzt haben wir dank der Wissenschaft, Forschung und Begabungen, die Gott den Menschen auf der ganzen Welt geschenkt hat, Impfungen.

Könnte die Katholische Kirche in so einer Situation nicht eine Vermittler-Rolle einnehmen oder traut man ihr das nicht zu?
Wir tun es und sind trotzdem auch zerrissen. Ich glaube, dass die unter dem Titel „Schützen.Heilen.Versöhnen“ abgegebene Erklärung der katholischen Bischöfe zur Debatte um eine temporäre Impfpflicht sehr differenziert auf alle Fragestellungen eingeht. Wir probieren zu verbinden, aber in einer solchen Stimmung wie jetzt ist das sehr schwer. Und gesagt sei auch, dass Impfen für mich nichts mit Glauben zu tun hat.

Wie sehr hat die Glaubensausübung bisher in der Pandemie gelitten?
Wir haben vieles gelernt, sicher auch viel falsch gemacht und merken, dass eines der wesentlichen Elemente, das uns als Feiernde ausmacht, in der uns gewohnten Form nicht möglich ist. Umgekehrt haben wir viele Medien neu genutzt. Das eine tun, aber das andere nicht lassen, heißt ein altes Sprichwort. Ich stelle mir selbst immer mehr die Frage, ob es gescheit ist, dass man den Glauben der Bevölkerung am Kirchgang misst. Wenn ich Hoffnung habe und sie vermittle, indem ich zum Beispiel die Mutter oder meine Leute pflege und schaue, dass ich den Laden daheim schaukle, dann hat das auch ein Stück mit Glauben zu tun, weil es auf die Zukunft hin orientiert ist. Karitative Tätigkeit im Sinne von „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ ist Evangelium pur.
Wegen des Lockdowns hatten heuer am Feiertag Mariä Empfängnis die Geschäfte zu, dafür waren sie am vierten Adventsonntag offen. Passiert da der nächste Dammbruch?
Die Frage ist nicht neu. Es könnte ein Dammbruch damit verbunden sein. Grundsätzlich geht es um das Gesamtwohl der Gesellschaft. Wenn es keine Möglichkeit mehr gibt, dass Familien zusammenkommen, weil immer irgendeiner arbeitet, stellt sich schon die Frage, wie es weitergeht. Was hält uns zusammen, was trägt zum Wohlergehen der Menschen bei?

Weltweit sind Abermillionen Menschen auf der Flucht. Gleichzeitig werden in Europa an den Außengrenzen meterhohe Zäune errichtet. Inwieweit passen da die Weihnachtsbotschaft und Realität noch zusammen? Haben wir für Herberg-Suchende wirklich keinen Platz mehr?
Ich hoffe schon, dass wir Platz haben. Ein adventlicher Brauch ist die Herbergsuche. Das war damals zu Christi Geburt schon eine Frage in der Gesellschaft und ist es auch heute noch. Es geht nicht um Entweder und Oder, sondern wir müssen dabei das Ganze sehen. Trauen wir es uns als Gesellschaft zu, auch darüber in den Dialog einzutreten, der beide Seiten hört. Du hast eine Meinung, aber nimm auch meine Meinung ernst. So kann Dialog entstehen.

Wechseln wir in den bäuerlichen Bereich. Sie haben heuer im Herbst bei der Wallfahrt des Steirischen Bauernbundes in Mariazell die heilige Messe zelebriert. Erfährt in Ihren Augen der Bauernstand für sein Tun und seine Produkte in der Gesellschaft ausreichend Wertschätzung?
Ich merke schon, dass vor allem seit Beginn der Pandemie bei den Menschen das Bewusstsein für die Regionalität und das Einkaufen im Ort zugenommen hat. Insofern stelle ich schon mehr Wertschätzung fest.

Die Land- und Forstwirtschaft bekommt immer stärker die Folgen des Klimawandels zu spüren. Nehmen die Menschen die Klimakrise zu wenig ernst?
Man macht in vielen Bereichen diesbezüglich noch immer zu wenig. Entscheidend ist, den Menschen bewusst zu machen, dass wir die Schöpfung anvertraut bekommen haben. Es geht nicht nur um mich, sondern es geht auch um die nachfolgenden Generationen. Daraus ergibt sich die Frage, ob alles wirklich sein muss, was ich tue.

Seit jeher galt der Bauernstand als Quelle für die Katholische Kirche, aus der unzählige Priester und Ordensleute hervorkamen. Droht diese Quelle zu versiegen?
Die Hoffnung stirbt nie. Tatsache ist, dass es im Vergleich zu früher auch in Bauernfamilien viel weniger Kinder gibt. Die eigentliche Frage ist aber, wie sehr die Wirklichkeit Gottes noch in die Familien hereingeholt wird. Vertrauen wir seiner Nähe? Durch vieles, was so rundherum geschieht, wird die Frage oft zugedeckt: Wozu will Gott mich rufen?

Kommen wir zum bevorstehenden Weihnachtsfest. Bietet sich heuer nicht auch die Möglichkeit, Weihnachten bewusster zu feiern?
Ich hoffe schon. Seit ich Priester bin, habe ich in der Mette meist anders gepredigt als am Tage. Angesichts der Idylle mit Dunkelheit und Kerzenlicht ist man da eher geneigt, dass man die harte Wirklichkeit einer Krippe übersieht. Im Schein der Sonne kann ich die Wirklichkeit in seiner ganzen Realität erfassen. Aber in jedem Fall ist die Tiefe spürbar, dass Gott da ist und uns nicht allein lässt und in Jesus Christus zum wiederholten Mal zu den Menschen sagt, mit ihm zu leben. Das ist allemal wert, Weihnachten zu feiern.

Was wünschen Sie unseren Leserinnen und Lesern zum Weihnachtsfest?
Ich wünsche ihnen, dass sie das Vertrauen an Gott behalten. Und ich wünsche ihnen und ihren Familien frohe Weihnachten und viel Segen für das nächste Jahr.

Zur Person:

Wilhelm Krautwaschl (58) wurde 2015 Bischof der Diözese Graz-Seckau. Der gebürtige Gleisdorfer, dessen Eltern eine kleine Landwirtschaft hatten, wurde 1990 zum Priester geweiht. Ehe er 2006 Regens im Bischöflichen Seminar Augustinum in Graz wurde, war er Pfarrer in Bruck an der Mur.

Interview: Karl Boroschneider

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AUTORRed. SN
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