Virtuelle Grenzen statt Zäune setzen

Nofence-Gerät am Hals der Ziege: die Warnzonen des Systems bis hin zur Alarmmeldung auf das Handy des Landwirts.

Im gebirgigen, verbuschten Gelände ist die Weideführung mit üblichen Zäunen oft nicht möglich. In einem Versuch in Tirol wurde nun eine digitale Alternative mit akustischen und elektrischen Signalen an Ziegen getestet.

Im heurigen Frühjahr fragten sich einige Ötztaler, was da rund um den Hillerhof vor sich geht. Die poppig bemalten Ziegen von Ferdinand Haid machten scheinbar freiwillig vor dem üppigen Grasaufwuchs kehrt und gaben sich mit einer bereits gut abgegrasten, kleinen rechteckigen Weidefläche zufrieden.
Haid ist engagiertes Mitglied des privaten Forschungsvereines Venn und begeisterter Züchter der „Bloben Goas“, einer urtümlichen Ziegenrasse, die früher in den Stubaier Alpen weit verbreitet war, mittlerweile aber vom Aussterben bedroht ist. Ihre Welt sind die oft steilen, felsigen Hanglagen und Lawinenzüge in der Almstufe.
Auf der Vorweide am Hillerhof geht es allerdings ebener zu, sie ist daher ein ideales Terrain für die Tierbeobachtung und für den ersten österreichischen Versuch mit „virtueller Zäunung“, einer neuen Weideführungstechnik.
In zwei Tiergruppen zu je zehn Blobe-Ziegen wurden in zwei Versuchsperioden über jeweils zwölf Tage unterschiedliche virtuelle Grenzsituationen getestet. Der Forschungsverein Venn konnte hier im Mai und Juni den Erstaufwuchs und die Stallnähe für umfangreiche Untersuchungen zur Tierwohlverträglichkeit nutzen.
Bei der in Norwegen von der Firma Nofence entwickelten und dort seit 2016 zugelassenen Technik trägt das Tier ein leichtes, solarunterstütztes GPS-Gerät um den Hals. Der GPS-Empfänger enthält auch ein Funkmodul. Dorthin kann via App am Mobiltelefon ein „virtueller Zaun“ übertragen werden. Eine ähnliche Technik kommt bereits bei anderen GPS-Überwachungssystemen zum Einsatz und warnt den Viehhalter via Handy, wenn das Tier seine Weidefläche verlässt.
Neu bei dem norwegischen Produkt ist, dass der virtuelle Zaun auch mit variablen Audio- und leichten Elektroimpulsen für die Tiere gekoppelt wird. Nähert sich nun eine Ziege diesem, so startet ein Signalton, der je näher zur Grenze immer höher wird und das Tier alarmiert.

Erst Lernmodus, dann Zaunmodus

Im „Lernmodus“ schaltet sich das Audiosignal aus, sobald das Tier wendet. Im späteren „Zaunmodus“ muss das Tier die Zone nach hinten verlassen, um das Signal zu beenden. Tiere, die das nicht tun und sich weiter vorwagen, erhalten einen leichten Elektroimpuls von etwa einem Zehntel der Impulsstärke eines herkömmlichen Elektrodrahtzauns. Spätestens jetzt sollten sich auch forschere Ziegen zurück zur Herde orientieren. Ein Tier, das dreimal den virtuellen Zaun ignoriert (also drei Folgen Audiosignalzone und Elektroimpuls ignoriert), gilt als entkommen. Die Programmierung sieht in diesem Fall vor, dass der Halter über die “Nofence-App” verständigt wird und die Ziege aus Tierwohlgründen keine Signale mehr empfängt, solange sie sich außerhalb des innersten virtuellen Zaunringes aufhält. Nach zweitägigem Training hatten die Blobe-Ziegen im Ötztal das System aber durchschaut und keines der Versuchstiere ließ es so weit kommen. Da die Technik neben dem assoziativen Lernen auch den Herdentrieb der Tiere nutzt (auch Nachbartiere reagieren auf Audio- und Elektrosignale anderer), spricht man auch von „Virtual Herding“ (Virtuelle Herdenführung).

Warum virtuelle Herdenführung?

Vielerorts stößt die Weideführung mit Koppeln und physischen Zäunen an Grenzen. Wo eine schon längere Nutzungsaufgabe die Verbuschung der Almen fortschreiten ließ, sind Weidezäune oft nur aufwendig zu errichten und zu warten. Gerade verbuschende Streifen wären ein weites Aktionsfeld für seltene oder gefährdete Ziegenrassen, aber auch extensivere Schaf- und Viehrassen. Dem stehen gesetzliche Bestimmungen auf Landesebene (etwa das Verbot der Ziegenweide in der Kampfzone des Waldes laut Tiroler Waldordnung) entgegen oder auch wegen der an die Tiere ausgesendeten Signale das Bundes-Tierschutzgesetz.

Darum geht es im Tierwohl-Projekt

Zweck des hier angeführten genehmigten Tierversuchs war es, Daten zu gewinnen, wie die Technik im Vergleich zu jetzigen Haltungsstandards Tiere beeinflusst. Das Projekt soll zudem den Gesetzgeber dazu bewegen, neue rechtliche Möglichkeiten zu eröffnen und so den Almbauern die Weideführung in abseitigen Lagen erleichtern. So hängt etwa die hohe Biodiversität in einem hohen Ausmaß von der Offenhaltung und damit der Beweidung der Almen ab.
Um das Tierwohlexperiment zu starten, waren umfangreiche Vorbereitungsarbeiten nötig. Die Entwicklung des Experimentdesigns und die Abwicklung der Bewilligungsverfahren dauerte gut zwei Jahre. Da mit Geräten und Reizen gearbeitet wird, die nach österreichischen Tierschutzstandards untersagt sind, war etwa eine Tierversuchsgenehmigung erforderlich. Derzeit läuft noch die Auswertung der über mehrere Wochen gelaufenen Weideversuche. Auch werden unzählige Daten zur Beobachtung des Tierverhaltens, auch Herzfrequenzdaten und Kotproben der Tiere analysiert. Daraus kann abgelesen werden, ob die virtuell gezäunten Tiere einer besonderen Stressbelastung ausgesetzt waren.
Kommen die Wissenschaftler und Behörden zum Schluss, dass das Tierwohl nicht gefährdet ist, wird der Forschungsverein in den kommenden Jahren Praxisversuche abseits der Tallagen anstreben, um auch die Wirkung der neuen Weideführung auf Vegetation und die Tauglichkeit in alpinen Lagen zu testen.

FORSCHUNGSVEREIN VENN: Der Forschungsverein Venn ist eine Initiative, die primär von Blobe-Goas-Haltern ausging. Die Obfrau des Vereines und auch Projektleiterin des Tierwohlexperiments ist a. Univ.-Professorin Monika Egerbacher, ihr Stellvertreter der Blobe-Goas-Züchter Benny Kerschbaumer, Jagerhof-Bauer im Venntal am Brenner. Träger des Vereines sind auch die beiden Gebirgsziegenvereine „Blobe Goas“ und „Zuchtverein Passeirer Goas Österreich/Bayern“ sowie die “Schaf- und Ziegenzucht Tirol Genossenschaft”. Partner des Projektes „Virtueller Zaun Ziege“ sind die Veterinärmedizinische Universität Wien, die Universität Göttingen und die HBLFA Rotholz. Unterstützt wird der Versuch aus DAFNE-Forschungsmitteln des Landwirtschaftsministeriums. Das weitgehend ehrenamtlich getragene Projekt wäre sonst nicht möglich gewesen.

- Bildquellen -

  • Bildschirmfoto 2023 10 23 Um 15.17.40: Grafik: Nofence, Bearbeitung: BZ; Foto: Egerbacher
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AUTORDI Josef Weißbacher leitet ein ZT-Büro in der Wildschönau
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