Neue Impulse für Tourismus und Landwirtschaft nach Corona

Bundesratspräsident Peter Raggl lud "Persönlichkeiten, die etwas bewegen können" zur Podiumsdiskussion ins Parlament, um Landwirtschaft und Tourismus bei der Bewältigung der Corona-Folgen zu unterstützen.

Almabtrieb in Nesselwängle – Landwirtschaft und Tourismus bilden in Tirol eine Symbiose zum gegenseitigen Vorteil, die dazu beiträgt, die Corona-Folgen rasch zu bewältigen.
Quelle: Parlamentsdirektion/Thomas Jantzen
Bundesratspräsident Peter Raggl (ÖVP): „Lebensmittel aus der Region schaffen einen Mehrwert für Landwirtschaft und Tourismus.“

“Landwirtschaft und Tourismus sind ein eingeschworenes Paar, funktioniert das eine nicht, leidet das andere”, so der Eröffnungssatz von Bundesratspräsident Peter Raggl anlässlich der Podiumsdiskussion “Post-Corona: Neue Impulse für Tourismus und Landwirtschaft”. Raggl, der seit 1. Juli den Vorsitz in der Länderkammer führt, hatte am 5. Juli zu der Veranstaltung im Wiener Palais Epstein eingeladen.
Am Podium vertreten waren laut Raggl „Personen, die zu einer positiven Entwicklung von Landwirtschaft und Tourismus in den ländlichen Regionen“ beitragen können. Es waren dies:
• Elisabeth Köstinger, Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus,
• Josef Hechenberger, Abg. z. NR und Präsident der LK Tirol,
• Martha Schultz, Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer Österreich und Mitinhaberin der Schultz-Gruppe, die u. a. der größte Seilbahnbetreiber Österreichs ist,
• Mario Gerber, Abg. z. Tiroler Landtag und Hotelier,
• Christina Mutenthaler, Leitung Netzwerk Kulinarik,
• Florian Phelps, Agrarmarketing Tirol und
• Hannes Royer, Obmann des Vereins „Land schafft Leben“.

Quelle: Parlamentsdirektion/Thomas Jantzen
Am Podium von links: Hannes Royer, Florian Phelps, Mario Gerber, Christina Mutenthaler, Moderator Günther Schimatzek

Landeck: 44.000 Einwohner, 60.000 Gästebetten

Wie wichtig das Zusammenspiel von Landwirtschaft und Tourismus ist, führte Raggl am Beispiel seines Heimatbezirkes Landeck aus. Hier stünden 44.000 Einwohnern rund 60.000 Gästebetten gegenüber. Vor Corona habe man jährlich neun Millionen Nächtigungen verzeichnet. Was die Landwirtschaft betrifft, so sind zwar fast zwei Drittel der Betriebe in den Zonen 3 und 4, trotz 90 Prozent Nebenerwerb seien Betriebsaufgaben eine Seltenheit. Jährlich nur etwa ein Prozent der Betriebe wird nicht fortgeführt – ein Beispiel, wie förderlich die Kombination von Landwirtschaft und Tourismus als „Rezept gegen die Landflucht“ sei, so Raggl. Auch der Tourismus brauche positiven Effekte der Landwirtschaft. Hier geht es vor allem um die „Pflege des zweiten Stockwerks“, also der Almen. Landschaftsbild und Erosionsschutz seien hier zu nennen.
Die Corona-Krise brachte für das Gefüge aus Landwirtschaft und Tourismus einen schweren Einschnitt. Praktisch eine ganze Saison ist ausgefallen. Beim nunmehrigen Neustart will Raggl den Einsatz regionaler Lebensmittel zu einem touristischen Erfolgsmodell machen.

Lehren aus der Krise und Schwachstellen

Elisabeth Köstinger, Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, führte in ihrem Vortrag aus, dass man dank guter Teststrategie ohne harten Lockdown in sechs Bundesländern ausgekommen sei. Derzeit sei die 3G-Regel sowie die Impfakzeptanz ein zentrales Thema. “Corona war eine Katastrophe für den Österreichischen Tourismus. 15 Prozent der Wirtschaftsleistung hängen am Tourismus sowie rund 715.000 Arbeitsplätze,” erklärte Köstinger. Wirtschaftlich müsse sehr viel geleistet werden, um wieder hochzukommen. Für den Tourismus und die Landwirtschaft seien geschossene Grenzen ein Problem gewesen, weil Verpackungsmaterial und Arbeitskräfte fehlten. Ziel sei es, im Bereich der Qualität noch besser zu werden. Im Bereich der Landwirtschaft seien mehr Tierwohl und die Lebensmittelkennzeichnung ein Thema. Bei verarbeiteten Lebensmitteln müsse die Herkunft draufstehen, forderte Köstinger. “Die Menschen kauften mehr regional und bäuerliche Produkte, das soll künftig noch verstärkt werden,” so die Ministerin.

Probleme während des Lockdowns

Josef Hechenberger nannte als Beispiel für eine Krise in der Landwirtschaft während des Lockdowns den Milchmarkt: Am 13.3.2020 sei von einem Tag auf den anderen der Tourismus geschlossen worden. In Folge durften im Zillertal nur mehr 80 % der Milch abgeliefert werden. Somit gab es mehr Schlachtkühe und damit verbunden einen Preisverfall am Markt. 60 % des Rindfleisches werde außer Haus verzehrt, so Hechenberger. Aufgrund der verschärften Einreisebedingungen sei teilweise Gemüse am Feld verfault, erläuterte Hechenberger.

Öffnung zu den Kernmärkten erfordert Impfdisziplin

Martha Schultz betonte in ihrem Statement, dass es immer noch Branchen gäbe, die Unterstützung bräuchten. Ohne staatliche Unterstützung würden zirka 40 % der Unternehmungen bis Ende 2022 in Insolvenz gehen. Wichtig für den Tourismus sei die wieder erfolgte Öffnung zu den Kernmärkten gewesen, insbesondere nach Bayern. Die Corona-Impfungen seien besonders wichtig, um auf dem Öffnungsweg bleiben zu können. Aus ihrem Wirtschaftsprogramm nannte Schultz als wichtigste Anliegen: 
• die Übernahme von Familienbetrieben attraktiv zu machen,
• Senkung der Lohnnebenkosten, um Arbeitskräfte im Tourismus finden zu können sowie 
• den Ausbau von Digitalisierung und Mobilität.

Regionale Lebensmittel und ehrliche Kommunikation

Bei der Versorgung mit regionalen Lebensmitteln mahnte Hannes Royer Ehrlichkeit ein. Im Gastrobereich sei der Run auf Österreichische Produkte noch nicht so hoch wie gewünscht, denn hier spiele der Preis noch immer eine Rolle und die Mehrheit decke sich mit Produkten ein, die nicht aus Österreich stammten. Regionalität bedeute auch Österreich, denn nicht alles, was in Tirol beispielsweise an Gemüse, Getreide, Eiern oder Fleisch verzehrt werde, könne im eigenen Bundesland produziert werden. Dies müsse auch in der Kommunikation transportiert werden. Ehrlichkeit in der Kommunikation sei ein Muss, so Royer

Direktvermarkter gesucht

Seiten des Netzwerks Kulinarik betonte Christina Mutenthaler das Service ihrer Organisation, das landwirtschaftliche Produzenten und Abnehmer zusammenführen soll. Noch immer würden Direktvermarkter und -Lieferanten, die direkt in die Gastronomie liefern wollen, gesucht, so Mutenthaler. Je entlegener die Regionen seien, desto mehr werde regional eingekauft. Mutenthaler forderte eine einfachere und bessere Kennzeichnung für regionale Produkte, und ehrliche Schnittstellen.

Mario Gerber stellte fest, dass eine verpflichtende Bezeichnung für regionale Lebensmittel noch in den Kinderschuhen stecke. Man müsse aufpassen, dass die, die es freiwillig machen, nicht unter die Räder kommen. Gerber mahnte zur Geduld, es brauche Zeit. Auch er forderte ein konstruktiven Miteinander ein: “Wertschöpfung holen und auf den Preis schauen. Ein Plädoyer für höhere Löhne in diesem Bereich, Mut zum Preis und zur Preisdurchsetzung.”

Tourismusland Tirol – ein Sommer, wie er früher einmal war

Der Tourismus ist für Tirol der wichtigste Wirtschaftsbereich. Jeder dritte Euro wird in Tirol von der Tourismus- und Freizeitwirtschaft verdient, jeder vierte Vollzeitarbeitsplatz von dieser geschaffen. Fast 25.000 Betriebe leben direkt davon. Mit 56.000 Erwerbstätigen ist die Branche ein wichtiger Faktor am Arbeitsmarkt und wirkt auch als Impuls für andere Wirtschaftszweige wie Handwerk oder Handel.
2018/19, im letzten vollständigen Tourismusjahr vor der Corona-Pandemie, verzeichnete Tirol mit knapp unter 50 Millionen Nächtigungen einen neuen Rekord, wobei bei die Sommersaison mit einem Anteil von 45 % auch recht beachtlich ist.
Ab März 2020 hat die Corona-Pandemie den Tourismus stark getroffen – die vorzeitig beendete Wintersaison und der weitgehende Ausfall des Sommers 2020 führten zu Einbrüchen bei Ankünften und Übernachtungen in der Größenordnung zwischen 30 und 40 %.
Optimistisch sind allerdings die Aussichten für die laufende Sommersaison. Aufgrund des verstärkten Trends zum Urlaub im Inland spricht man in Tirol von „praktisch ausgebuchten“ Unterkünften und hofft, wieder an die Zahlen des Jahres 2019 anschließen zu können.

 

 

- Bildquellen -

  • W210705 Raggl: Parlamentsdirektion/Thomas Jantzen
  • W210705 Podiumsdiskussion Post Corona: Parlamentsdirektion/Thomas Jantzen
  • W2127 Nesselwaengle Almabtrieb: TVB Tannheimer Tal/Meurer Achim
- Werbung -
AUTORH.M.
Vorheriger ArtikelKartoffelmarkt KW 27/2021: Hitzeschäden bei Anschluss- und Hauptsorten
Nächster Artikel„Brauchen AMA-Gütesiegel für Brot und Kaisersemmerl“