Irrweg oder Schlüsseltechnologie?

Erklärtes Ziel der Landwirtschaft müsse es sein, produktiver und umweltfreudlicher zu werden. Erhebliche Unterschiede bestehen aber in der Ein- schätzung, wie dieses Ziel erreicht werden soll und welche Rolle neue Züchtungstechniken dabei spielen können. Ein Streitgespräch zweier Experten.

Gentechnik war und ist ein Diskussionsthema. FOTO: StockMediaProduction-adobe.stockfoto.com

Der Wissenschaftler Matin Qaim betont im Gespräch mit Agra Europe das Potenzial der neuen Gentechnik für die Entwicklung widerstandsfähiger, ertragreicherer Pflanzensorten. Biolandwirt Felix Prinz Löwenstein hegt grundsätzlich Zweifel am Beitrag der Genomeditierung zur Entwicklung stabiler Agrarsysteme. Ein Austausch verschiedener Sichtweisen.

Diebeiden Diskutanten
FOTOS: Universität Gttingen und Böll

„Das geltende EU-Gentechnikrecht ist nicht geeignet, neue gentechnische Verfahren wie CRISPR/Cas angemessen zu regulieren. Neue gentechnische Verfahren können die Nachhaltigkeit der landwirtschaftlichen Produktion fördern.“ Das sind zwei zentrale Aussagen der EU-Kommission zum Status genomischer Verfahren im Unionsrecht. Sehen Sie sich bestätigt?
Qaim: Ja. Ich begrüße die Aussage, speziell die zweite.

Was sehen Sie das?
Löwenstein: Das sind Meinungsäußerungen von Stakeholdern und eine Zusammenfassung davon. Dazu zählt die Einschätzung, dass neue Gentechnik einen wesentlichen Beitrag für die Nachhaltigkeitsprobleme leiste. Einen Nachweis dafür liefert diese Untersuchung jedoch nicht. Ähnlich verhält es sich mit der Kritik an der vermeintlich nicht mehr zeitgemäßen Regulierung. Das scheint mir gewagt, schließlich sind die Regelungen in Bezug auf die neuen Gentechnikverfahren von den Mitgliedstaaten bislang gar nicht umgesetzt worden.

Sollte das Gentechnikrecht angepasst werden – was wären Ihre Anliegen?
Löwenstein: Dass Studien zu Risikobewertungen nicht wie bisher von den lnverkehrbringern vorgelegt werden, sondern von neu-tralen Institutionen, die von der EU-Zulassungsbehörde damit beauftragt werden. Ebenso müssten Langzeitfolgen untersucht und zwingend sozioökonomische Kriterien in Betracht gezogen werden, wenn es um die Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen geht. Schließlich geht es um Transparenz als Voraussetzung von Wahlfreiheit für Verbraucher und Bauern.
Qaim: Dreißig Jahre Forschung haben gezeigt, dass die Risiken nicht von der Züchtungsmethode abhängen, sondern von der Pflanze mit ihren neuen Eigenschaften. Das gilt für alle Züchtungsverfahren. Insofern stellt sich nicht die Frage ob, sondern wie wir regulieren.

Wie sollten wir regulieren?
Qaim: Wir sollten gentechnische Verfahren nicht anders regulieren als konventionelle, sondern das Produkt der Züchtung analysieren. Und wir müssen die Bedenken in der gesellschaftlichen Wahrnehmung ernst nehmen. Kurzfristig könnte man die Ausnahme schaffen, wie sie für die klassische Mutationszüchtung auch gilt, nämlich dass genomeditierte Pflanzen ohne artfremde DNA vom Gentechnikrecht ausgenommen werden.
Löwenstein: Damit ich Sie richtig verstehe: Für jede Weizensorte, in die eine neue Eigenschaft gezüchtet wurde, müsste eine Risikobewertung durchgeführt werden?
Qaim: Ja, wenn es sich um neuartige Merkmale handelt. Gibt es nach ersten Studien keinerlei Anhaltspunkte für neue Risiken, sollte eine Sorte auch zugelassen werden. Diese Effizienz haben wir nicht. Seit 22 Jahren ist keine einzige Zulassung für den Anbau von GVO in Europa erfolgt, obwohl verschiedene potenzielle Anwendungen von der EFSA (Europas Amt für Lebensmittelsicherheit, Anm.) wiederholt als sicher eingestuft wurden. Ein politisiertes Moratorium, das hat mit dem Vorsorgeprinzip nichts mehr zu tun.

Was halten Sie von produktbasierter Bewertung?
Löwenstein: Ich halte das weder für praktikabel noch für durchführbar. Wie will man die Abgrenzung hinbekommen, wann eine Eigenschaft so neu ist, dass man sie regulieren muss und wann nicht? Die Medizin nutzt CRISPR/Cas, wenn es um die Entwicklung von Impfstoffen geht. Mediziner sehen darin sehr große Chancen, warnen aber dringend davor, mit CRISPR/Cas in der menschlichen Keimbahn zu arbeiten. Dann kommen wir nämlich in den Bereich des Fortpflanzens und der Nichtmehr­Rückholbarkeit. In der Landwirtschaft sind wir immer in der Keimbahn. Es ist also absolut notwendig, Vorsorge walten zu lassen.
Qaim: Hinweise auf die menschliche Keimbahn als Argumentation gegen Genom-Editing in der Landwirtschaft sind aus meiner Sicht nicht stichhaltig. Es gibt zwei deutliche Unterschiede zwischen der Anwendung im Bereich der menschlichen Keimbahn und der Pflanzenzucht. Aus ethischen Gründen verbietet sich die Züchtung des Menschen, während sie bei Pflanzen seit Jahrtausenden praktiziert wird. Und es kann durchaus unbeabsichtigte Effekte bei der Genomeditierung geben. Solche sind in der Pflanzenzucht völlig normal, die betroffenen Pflanzen werden verworfen. Das tritt viel häufiger auch bei der klassischen Mutationszüchtung auf.
Löwenstein: Jetzt sind wir beim Kern der Frage: Welche Wirkungen des Eingriffs werden untersucht? Der Pflanzenzüchter prüft, ob die gewünschte Wirkung eintritt und sieht sich die unmittelbare Umgebung der Schnittstelle auf der DNA an. Wir müssen aber die Gesamtwirkung im Auge haben, weil eben lebende vermehrungsfähige Organismen, einmal in die freie Natur gebracht, nicht mehr rückholbar sind. Es geht ja um eine Folgenabschätzung nach dem Vorsorgeprinzip.

Wie muss die Diskussion ablaufen, damit mehr dabei herauskommt als in der bisherigen Gentechnikdebatte der vergangenen Jahrzehnte?
Qaim: Eine wichtige Frage, auf die ich keine perfekte Antwort habe. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Mehrheit der Gesellschaft große Vorbehalte gegen den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft hat. Das gilt wohl zunächst auch für die „neue Gentechnik“.

Manche sagen, Genomeditierung sei keine Gentechnik. Sie auch?
Qaim: Nein. Auch neue Gentechnik ist Gentechnik, nur führt sie eben nicht zu Organismen mit artfremden Genen. Das ist keine einfache Diskussion, aber wir müssen Sie führen, weil Genomeditierung eine der Schlüsseltechnologien im Bereich der Landwirtschaft und der Bioökonomie im 21. Jahrhundert sein kann.
Löwenstein: Ich warne davor, die neuen Technologien als Schlüssel dafür zu sehen, wie wir künftig Landwirtschaft betreiben und uns ernähren wollen. Denken Sie nur an die Bewältigung der Klimafolgen.

Könnten neue Züchtungstechniken nicht genau dafür Lösungen liefern?
Löwenstein: Die Züchtung ist nur ein Baustein unter vielen, wenn wir über Klimawandelfolgen reden. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die bisherigen Züchtungen auf Trockenheitsresistenz sehr viel erfolgreicher konventionell gelungen sind. Offenbar ist das komplizierter, als die Befürworter der neuen Gentechnik uns vermitteln. Über Jahrzehnte wurde argumentiert, dass wir mit der Gentechnik nur deshalb in Europa nicht weitergekommen sind, weil wir hier so kleinlich und ineffizient regulieren. Allerdings gibt es diese Fortschritte auch andernorts nicht, obwohl dort viel laxer reguliert wird wie in Amerika.

Wird die neue Gentechnik überschätzt?
Qaim: Ich stimme zu, dass es nicht den einen Schlüssel gibt, und dass wir nicht allein durch neue Sorten, egal wie sie gezüchtet wurden, nachhaltige Systeme schaffen. Ich kann nur an alle Beteiligten appellieren, wegzukommen von dieser verhängnisvollen Schwarz-Weiß-Malerei, wenn es um die Gentechnik geht. Diese Technologie steht für zusätzliche Werk­zeuge, um die Pflanzenzüchtung effizienter zu machen – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Sind frühere „Heilsversprechen“ der Gentechnik verantwortlich für die verbreitete Skepsis heute?
Qaim: Die Ergebnisse der klassischen Gentechnik, die wir weltweit in kommerzieller Anwendung auf dem Acker sehen, sind leider noch nicht ganz das, was vor 25 oder 30 Jahren erhofft wurde. Es wurde aber wesentlich mehr auch im Feld erfolgreich getestet, als zugelassen wurde. Eine ganze Menge interessanter Anwendungen, etwa im Hinblick auf Salztoleranz, Hitzetoleranz, Dürretoleranz oder Pilzresistenzen haben aber bis heute keinen Eingang in die landwirtschaftliche Praxis gefunden, wegen der hohen Zulassungshürden und damit Kosten, die gerade öffentlichen Agrarforschungsinstituten die Entwicklung und Zulassung neuer GVO fast komplett verbaut haben.

Laufen die neuen Techniken in dieselbe Falle?
Qaim: Voraussetzung ist, dass die verbesserten Sorten im Freiland getestet werden können. Am Feld stellt sich vieles nun einmal anders dar als im Labor.
Löwenstein: Die Gentechnik hat nicht nur wegen ausbleibender Ergebnisse enttäuscht. Herbizidtoleranzen haben zu falschen Anbausystemen geführt. Denken Sie nur an den Sojaanbau in Argentinien und dessen verheerende Auswirkungen auf die ökologische Vielfalt. Bei der einzigen bislang beantragten EU-Zulassung einer mit
CRISPR/Cas veränderten Sorte geht es wieder um Herbizidtoleranz. Offenbar ist das der lukrativste Bereich, von dieser Technologie Gebrauch zu machen.

Werden gegenwärtig die alten Fehler wiederholt, Herbizidtoleranz statt
Stresstoleranz?
Qaim: Die Gefahr besteht. Viele Anwendungen, an denen weltweit gearbeitet wird, drehen sich wieder um Herbizidtoleranz. Dahinter stehen natürlich kommerzielle Interessen. Deswegen darf man die neue Technologie nicht nur den großen Konzernen überlassen, sondern sie soll gerade von lokalen kleinen und mittelständischen Firmen ebenso wie vom öffentlichen Sektor angewendet werden können. Es wird bereits an vielen anderen Eigenschaften in mehr 40 verschiedenen Spezies gearbeitet. Wir müssen verhindern, dass sich alles wieder nur auf Sojabohne, Baumwolle und Mais konzentriert.
Löwenstein: Dem stimme ich zu. Wir brauchen die Vielfalt der Arten und der Sorten. Da kommt allerdings die Frage der Patente ins Spiel. Bisherige Züchtungserfolge in Europa beruhen wesentlich auf einem Sortenrecht, das mit dem Landwirte- und Züchterprivileg den Zugang zu verbesserten Sorten sichert. Unter keinen Umständen darf das mit CRISPR/Cas geopfert werden, was ich aber bezweifle.
Qaim: Da sind wir wieder nah beieinander. Allerdings sind weder klassische Gentechnik noch Genom-Editierung zwangsläufig mit Patentschutz verknüpft.

Sie empfehlen auch den Einsatz von Gentechnik im Ökolandbau. Warum?
Qaim: Aufhänger ist die Farm-to-Fork-Strategie der EU mit dem Ziel 25 Prozent Ökolandbau bis 2030. Der Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln soll deutlich reduziert werden. Den Ansatz finde ich gut und richtig. Er birgt allerdings die Gefahr, dass die Agrarproduktion in Europa sinkt. Wir werden also künftig mehr Nahrungsmittel importieren müssen, erzeugt auf Ackerland in anderen Weltregionen für den europäischen Bedarf. Solche Landnutzungsveränderungen sind aber der Haupttreiber von Biodiversitätsverlust und Klimawandel durch die Landwirtschaft. Mit den neuen Züchtungstechnologien werden Pflanzen widerstandsfähiger gegen Schädlinge und Krankheiten, ihre Nährstoffeffizienz wird verbessert. Daher passen auch Ökolandbau und moderne Züchtungstechnologien gut zusammen.
Löwenstein: Selbst wenn gewährleistet ist, dass die Wahlfreiheit erhalten bleibt, sollte der ökologische Landbau nach meiner Überzeugung weiter auf diese Technologien wie auch auf Agrarchemie verzichten.

Warum?
Löwenstein: Weil die spezifischen Innovationen im Ökolandbau dadurch zustandekommen, dass er die Abkürzung über Chemie und Gentechnik nicht nehmen kann. Könnten wir im Ökolandbau Herbizide einsetzen, hätten wir in der mechanischen Bodenbearbeitung bei Weitem nicht die Fortschritte erzielt, von denen heute alle Land­wirte profitieren. Das hätten wir nie erreicht, wenn wir uns ebenfalls auf Glyphosat gestützt hätten. Es stellt sich als unge­mein wichtig heraus, dass der Ökolandbau diesen Irrweg nicht gegangen ist. Der Ökolandbau bietet den Plan B, den wir vermutlich noch viel stärker brauchen werden, der vielleicht mal zum Plan A wird.
Qaim: Wir müssen nachhaltiger im Konsum werden, Stichwort Fleischkonsum und Lebensmittelverschwendung. Da muss auch die Politik mutiger werden und neue Instrumente nutzen. Daneben wünsche ich mir Offenheit gegenüber den neuen Technologien.

Halten Sie einen Konsens über die neuen Züchtungstechniken für möglich?
Löwenstein: Es gibt keine absolute Wahrheit in der Wissenschaft. Es gibt immer Interessen. Jemand, der mit Gentechnik wissenschaftlich arbeitet, wird einen anderen Blick darauf haben als jemand, der nicht damit arbeitet. Das macht die Diskussion aber nicht obsolet.

- Werbung -
Vorheriger ArtikelWelt-Zuckerproduktion geht nach oben
Nächster ArtikelLHStv. Geisler zum Wolf: „Gangart muss massiv verschärft werden“