Die Erbhof-Bauern vom Stubenring

Ist das Landwirtschaftsministerium, weil stets geführt von politischen Vertretern aus dem Bauernbund, wie von dessen politischen Mitbewerbern immer wieder kritisiert, eine Erbpacht? Ein Rückblick zurück auf die vergangenen Jahrzehnte lässt diesen Schluss zu. Aber ist das verwerflich?

Im 1. Stock des großen Regierungsgebäudes am Stubenring ist das Büro des Ministers. FOTO: BZ/Weber

Die Bezeichnung „Erbhof“ gilt in Österreich oder Südtirol für alteingesessene Familienbetriebe, die seit vielen Generationen und mindestens 200 Jahre in direkter Linie bewirtschaftet werden. Als ein solcher „Erbhof des Bauernbundes“ wird oft auch das Landwirtschaftsministerium am Wiener Stubenring bezeichnet.
Für eine derartige Hinweistafel neben dem Eingang ins Regierungsgebäude wäre zwar ausreichend Platz, allerdings ist die Republik dafür noch zu jung. Auch wurde die direkte christlich-soziale Linie zwischen 1970 und 1986 von mehreren Sozialisten (und in den 1930er Jahren im Ständestaat sowie ab 1938 von einem Nazi) unterbrochen. Die immer wieder geäußerte Bezichtigung, der Bauernbund würde das Ministerium wie eine Erbpacht ansehen, ist bei näherer Betrachtung nicht ganz von der Hand zu weisen.

Dritter Tiroler am Stubenring
Österreichs neuer Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig ist nach Franz Fischler (1989–94) und Andrä Rupprechter (2013–17) der dritte Tiroler in diesem Amt in der 2. Republik. Zählt man auch die Jahre der Ersten Republik dazu, dann ist er sogar der sechste Agrarminister mit Wurzeln in Tirol seit etwas mehr als 100 Jahren, die da waren: Alois Honeis (1920–21), Andreas Thaler (1926–29) und auch Kurt Schuschnigg. Was wohl die wenigsten wissen: Als Bundeskanzler von 29. Juli 1934 bis zum 11. März 1938 agierte Schuschnigg im Mai 1936 für rund 24 Stunden auch einmal offiziell als Landwirtschaftsminister.

Norbert Totschnig ist der mittlerweile 13. Minister für die Landwirtschaft aus den Reihen des Bauernbundes.
FOTO: Bauernbund

Dass Bauernbündler höchste Regierungsämter im Staat und auf Ebene der Länder bekleiden, ist ohnehin keine Seltenheit. Sie alle seit Ausrufung der Republik Österreich 1918 aufzulisten, würde für diesen Zeitungsbeitrag zu weit führen. Beherzte Agrarpolitiker gehören jedenfalls zu den Gründervätern dieses Landes, als Christlich-Soziale nach dem Ende der Monarchie und später auch im Namen des Bauernbundes nach dem Zweiten Weltkrieg.
Unvergessen ist Leopold Figl, erster Bundeskanzler der Zweiten Republik, hernach auch Außenminister und Staatsvertragsverhandler. In seinem Beisein wurde 1945, zusammengesetzt aus den neun Landesorganisationen, der Österreichische Bauernbund als Teilorganisation der ÖVP gebildet.

Österreichs bisherige zwölf Landwirtschafts-minister, die allesamt vom Bauernbund gestellt wurden.
Fotos: BZ/Archiv

Der Einfluss der Bauernbündler seither – nicht nur auf die klassische Agrarpolitik – ist längst legendär. Und lässt sich etwa anhand folgender politischer Ämter und Namen dokumentieren: Ein Dutzend der insgesamt 18 Landwirtschaftsminister seit 1945 waren Bauernbündler: Rudolf Buchinger (1945), Josef Kraus (1945–52), Franz Thoma (1952–59), Eduard Hartmann (1959–64), Karl Schleinzer (1964–70), Josef Riegler (1987–89), Franz Fischler (1989–94), Wilhelm Molterer (1994–2003), Josef Pröll (2003–08), Nikolaus Berlakovich (2008–13), Andrä Rupprechter (2013–17) und Elisabeth Köstinger (2017–19, 2020–22). Drei waren zudem Vizekanzler, nämlich Riegler, Molterer und Pröll, die beiden Letztgenannten auch Finanzminister.
Aktuell stellt die ÖVP neben dem Bundeskanzler sechs Landeshauptleute, rund 250 Mandatarinnen und Mandatare auf Bundes- und Länderebene, davon 104 allein im National- und Bundesrat sowie im Europaparlament (zwei Dutzend gehören zum Bauernbund), weiters 1.500 Bürgermeister, zwei von drei vom Bauernbund. „Unsere Breite und Stärke reicht bis ins letzte Dorf hinein“, erklärte zuletzt Klubobmann August Wöginger wortreich beim Bundesparteitag der ÖVP. Bauernbundpräsident Georg Strasser: „Der Bauernbund hat von Beginn an an das Projekt Österreich geglaubt und stets mit voller Kraft mitgestaltet.“
Auf Länderebene brachte der Bauernbund teils legendäre Landeshauptleute hervor: In Niederösterreich neben Figl oder Hartmann etwa Andreas Mauer (1966–81) und Erwin Pröll (1992–2017), in Tirol Eduard Wallnöfer (1963–87), in der Steiermark Josef Krainer Senior (1948–71) und seinen Sohn Josef Krainer Junior (1980–96). Ein prominenter Direktor des Bauernbundes und gewiefter Strippenzieher für Landwirte und ÖVP, den es als Tiroler wie Totschnig früh nach Wien verschlagen hatte, ist Sixtus Lanner. Er feierte (nach wie vor mit regem Interesse am politischen Geschehen) erst vor wenigen Tagen seinen 88. Geburtstag.

Bernhard Weber

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AUTORRed. SN
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