Der Minister als Bauer und Bobo

Kommentar von Thomas Weber,
Herausgeber von Biorama und Buchautor.

Wien 7, das galt vielen Landmenschen bislang als Inbegriff der Weltfremdheit. Wien 7, das war ein Klischee: dort, wo
die Weltverbesserer zu Hause waren; Stadtmenschen, die jeden natürlichen Bezug zur Natur verloren hatten, erst recht zur Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion. Wo am einen Ende der Skala – in der Provinz – Bauer und Bäuerin wirkten, war am anderen Ende – in Wien 7 – gewissermaßen ihr natürlicher Gegenspieler angesiedelt: der Bobo.
Früher stellte man sich dieses entfremdete Fabelwesen beim Caffè-Latte-Trinken vor. Mittlerweile gibt es nirgendwo im Lande eine größere Dichte an veganen Lokalen als in Wien-Neubau. Und womöglich wird man bereits lange suchen müssen bis man dort noch ein Kaffee- oder Wirtshaus findet, das nicht völlig selbstverständlich auch zwei, drei Speisen auf der Karte hat, die ganz bewusst ganz ohne tierische Zutaten auskommen.
Wien 7 war der erste Bezirk, in dem die Grünen die Bezirksvertretung stellten (und seit 2001 durchgehend halten). Büroleiterin war dort von 2006 bis 2008 eine gewisse Leonore Gewessler, heute bekannt als Ministerin für Klimaschutz. Und plötzlich hat Österreich mit Norbert Totschnig einen Landwirtschaftsminister, der bis vor kurzem noch Bezirksrat in Wien 7 war. Mit seiner Angelobung dürfte das Klischee von Wien 7 Geschichte sein. Dass der Bauernbündler in Tirol aufgewachsen ist und privat gerne jagt, ändert nichts daran, dass er – verglichen mit der Lebensrealität der meisten Bäuerinnen und Bauern – Stadtmensch ist. Was gut ist. Schließlich kennt er nicht nur beide Enden der Skala, sondern auch vieles dazwischen. Seine Aufgabe wird es auch sein, zwischen den Welten zu vermitteln.

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  • Weber Thomas: Michael Mickl
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