Kommentar von Claus Reitan,
Journalist.
Eine Zwischenbilanz knapp eine Woche vor der Wahl fällt ernüchternd aus: Österreich verzeichnet zu viele Wahlkämpfe für den Nationalrat, jedenfalls mehr, als es die Verfassung vorsieht sowie Land und Leute vertragen. Das hat mit den Parteien und einigen ihrer Führungspersönlichkeiten zu tun. Sie können und wollen nicht miteinander. Es ist etwas verlorengegangen in Österreich, nämlich der politische Grundkonsens über die Zukunft von Staat und Gesellschaft. Daher geraten Regierungen ins Wanken, daher enden die Perioden der Gesetzgebung früher als vorgesehen. Vor allem seit dem EU-Beitritt.
Von 1945 bis in die neunziger Jahr wurden lediglich fünf von 13 Gesetzgebungsperioden vorzeitig durch Neuwahlen beendet. Ab dem Jahr 1995 – dem Jahr des EU-Beitritts – waren es jedoch sechs von neun Gesetzgebungs-
perioden, die früher endeten. Andersrum betrachtet: Rein rechnerisch wären seit 1995 genau sechs Gesetz- und Regierungsperioden erforderlich gewesen, doch es wurde neun Mal vorzeitig gewählt. Es gab um die Hälfte mehr an Nationalratswahlen als vorgesehen. Immerhin wurden die Gesetzgebungsperioden erst 2008 von vier auf fünf Jahre verlängert, doch nur eine Regierung hielt durch, drei endeten frühzeitig. Der EU-Beitritt war die letzte gemeinsame Leistung der Mehrheit an Parteien und Parteiführern. Das war gestern. Derzeit herrscht Hader. Parteien suchen in einer völlig überdrehten Stimmung um Aufmerksamkeit für sich und Schaden für den anderen. Es ist Zeit, die Hitzköpfe in Politik und Medien abzukühlen und am Konsens über Österreich zu arbeiten.