Die Qualität eines Almsommers hängt nicht nur von der Großwetterlage, sondern auch von lokalen Ereignissen ab. Zusammenfassend lässt sich für den Tiroler Almsommer 2022 eine zufriedenstellende Bilanz ziehen. Vor allem der Beginn der Saison war erfreulich: Aufgrund der günstigen Witterung im Frühling wuchsen Gräser und Kräuter kräftig, weshalb die Almsaison pünktlich und zum Teil sogar früher gestartet werden konnte.
Im Laufe des Sommers wurde es dann warm, laut Meteorologen zu warm. Die Hitzeperioden mit langen Trockenphasen bekamen vor allem die Almen auf exponierten Südhängen des Tiroler Unterlands zu spüren, die auch bisher oft unter Trockenheit litten. Die Wasser-Versorgung war aber in den meisten Fällen ausreichend gegeben und nur auf wenige Almen musste eigens Trinkwasser gebracht werden. Gewitterlagen mit Niederschlägen und Regentage bescherten dann wieder Erleichterung und vor allem die Jungviehalmen hatten ausreichend frische Futtergräser zur Verfügung.
Der Obmann des Tiroler Almwirtschaftsvereins, Josef Lanzinger: „Was die Witterung betrifft, war der Tiroler Almsommer 2022 zwar nicht sehr gut, aber gut! Allerdings macht uns das Wolfsproblem weiterhin arg zu schaffen. Wenn wir das nicht in den Griff bekommen, werden viele kleine Schafbauern die Motivation verlieren und nach und nach werden auch andere Bauern die Almwirtschaft aufgeben. In anderen Ländern wie in Rumänien oder in der Schweiz kann man bereits eine drastische Reduktion der Almbewirtschaftung in Wolfsgebieten feststellen.“
Quelle: Irene Prugger
Almpersonal unter Druck
Die Risse durch Großraubtiere verschärfen auch das Problem mit dem Almpersonal. Es ist ohnedies nicht leicht, gute Leute zu finden – so erhielten zu Beginn der Saison viele Tiroler Almen kurzfristige Absagen oder neue Almhirten warfen schon nach kurzer Zeit das Handtuch, weil sie die Arbeit unterschätzt hatten. Laut Tiroler Almwirtschaftsverein sehen sich nun aber auch viele routinierte Almhirten vor Probleme gestellt: Ihnen bereitet es große Sorge, dass auf den von ihnen betreuten Almen Nutztiere durch Wolfsrisse umkommen könnten. Diese Bedrohung bedeutet nicht nur einen vermehrten Aufwand an Vorsichtsmaßnahmen, sondern auch eine große nervliche Anspannung. Der Druck für das Almpersonal ist somit eindeutig noch größer geworden, auch stellt sich bei Hirten und Almbewirtschaftern oft Niedergeschlagenheit ein, weil in der Bevölkerung zu wenig Verständnis für das Problem herrscht.
Risse durch Großraubtiere
Seriöse Zahlen zu Nutztier-Rissen durch Großraubtiere kann man erst Ende des Jahres nennen, da auch viele Heimweiden vor dieser Gefahr nicht zuverlässig geschützt sind.
In Regionen wie im Nationalpark Hohe Tauern, wo Gänsegeier sehr aktiv sind und das Aas schnell „verräumen“, ist es oft auch schwierig, genaue Zahlen festzustellen. Eindeutig zeigen aber die letzten drei Jahre eine stark steigende Tendenz: 2019 gab es 45 nachgewiesene Nutztier-Risse durch große Beutegreifer, 2020 waren es bereits 165 Risse, 2021 dann schon 378 Risse. Der Großteil davon waren Schafe, gefolgt von Ziegen, aber auch zwei Rinder waren darunter. Verantwortlich dafür waren in den aufgezählten drei Jahren 488 Mal Wölfe, 94 Mal ein Bär und sechsmal ein Goldschakal.
Das hatte etliche vorzeitige Almabtriebe zur Folge. 2019 wurden insgesamt 133 Stück Almvieh früher als vorgesehen zu Tal gebracht, 2020 waren es 985 Stück, im Jahr 2021 bereits 2.272 Stück (Quelle: Land Tirol).
Auch 2022 waren die Großraubtiere ein leidvolles Thema auf Tirols Almen. DI Josef Gitterle, Herdenschutzbeauftragter des Landes Tirol: „Es gibt auch heuer wieder eine steigende Tendenz bei den Rissen, aber nicht in dem Ausmaß wie in den letzten Jahren. Die genaue Entwicklung ist derzeit jedoch noch nicht eindeutig feststellbar, solange die Zahlen nicht für den gesamten Sommer vorliegen.“
Laufende Pilotprojekte
Quelle: Irene PruggerDie im vorigen Sommer gestarteten Herdenschutz-Pilotprojekte auf Tiroler Almen wurden auch heuer fortgesetzt. Sie sind auf fünf Jahre angelegt und sollen praktische Erfahrungen mit Herdenschutzmaßnahmen und den damit verbundenen betrieblichen Veränderungen vom freien Weidegang der Schafe hin zur gelenkten Weideführung aufzeigen. Zudem werden die mit der Umstellung verbundenen Auswirkungen in Bezug auf Tiergesundheit, Gewichtsentwicklungen, Bewegungsmuster, Tierverluste, Vegetation und Kosten untersucht. Heuer kam zu den drei teilnehmenden Oberländer Almen noch eine Alm dazu, für eine Unterländer Alm ist ein Projekt im Sommer 2023 geplant. Informationen zu den Erfahrungen aus dem ersten Projektjahr 2021 sind unter www.tirol.gv.at/baer-wolf-luchs im Punkt Herdenschutz nachzulesen. Herdenschutzmaßnahmen allein werden das Problem aber nicht lösen können. Josef Lanzinger: „Die Erfahrungen in der Schweiz und Frankreich zeigen, dass der Wolf schnell lernt, den besten Herdenschutz auszutricksen. Die Franzosen bedauern heute, dass der Wolfsabschuss zu spät gestartet wurde. Für Tirol hoffe ich, dass die neue Landesregierung möglichst rasch einen legalen effizienten Wolfsabschuss beschließt, sonst droht eine großflächige Aufgabe der Schafhaltung und Schaf-alpung.“
Der Summa isch umma!
Mit dieser Rückschau endet die Almserie 2022 und ich bedanke mich herzlich bei allen Almleuten, die auch in diesem Sommer bereitwillig über ihre Arbeit Auskunft gegeben und ihre Almbegeisterung mit unseren Leserinnen und Lesern geteilt haben!
Ihre Irene Prugger
Zuschriften: Irene Prugger freut sich über Rückmeldungen. Bitte per Mail an: irene.prugger@inode.at oder auf dem Postweg an die Redaktion der
Tiroler Bauernzeitung, Brixner Straße 1, 6020 Innsbruck
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