BauernZeitung: Die SVP ist die stärkste Partei im Schweizer Nationalrat. Sie vertritt Bauern, Gewerbetreibende und die bürgerliche Mittelschicht. Wie stark präsent sind die Bauern innerhalb der Partei?
Haab: Wir sind sehr stark präsent. In der Schweiz sind die Bauern wesentlicher Bestandteil dieser Partei. Die SVP hat mit Abstand die meisten Bauern als Mitglieder. Fast drei Viertel der bäuerlichen Vertreter im Parlament sind bei der SVP. Über die ganze Parteienlandschaft hinweg sind es aber nur rund 25 Mandatare, die einen bäuerlichen Hintergrund haben. Die SVP hat Gewicht bei bäuerlichen Themen und auch die Kraft, die ganze Partei, die aus einem starken Wirtschaftsflügel besteht, bei landwirtschaftlichen Themen zu sensibilisieren und geeint aufzutreten. Das gelingt keiner anderen Partei. Auch die Partei der Mitte, die den Präsidenten des Schweizer Bauernverbandes stellt, hat nie zu hundert Prozent Einstimmigkeit bei Fragen der Bauern. Wir in der Volkspartei haben das aber gut im Griff.
Einen starken Wirtschaftsflügel in der eigenen Partei zu haben, ist für die Bauernvertreter gewiss nicht immer leicht. Wie geht die SVP mit innerparteilichen Zielkonflikten um?
Klassische Konfliktthemen sind die Freihandelsabkommen. Die Schweiz hat sehr viele bilaterale Freihandelsabkommen mit anderen Ländern. Unsere Wirtschaft ist daran natürlich sehr interessiert. Aus Sicht der Landwirte müssen wir uns bei jedem dieser Abkommen die Frage stellen, was der Handel mit einem anderen Land für unsere Landwirtschaft heißt. Die Schweiz ist ja ein Nettoimporteur. 44 Prozent der Lebensmittel werden ohnehin importiert. Trotzdem müssen wir Bauern auf der Hut sein, dass wir bei Freihandelsabkommen, gerade was die Urprodukte betrifft, nicht unter die Räder kommen. Man muss zwar aufeinander zugehen, aber auch klar abstecken, was nicht geht.
Für Nicht-Schweizer: Wer ist die SVP und wofür steht sie?
Die Volkspartei ist eine Partei des einfachen Bürgers mit eher konservativem Gedankengut. Wir halten an der eigenen Kultur fest und wirken anderen gegenüber vielleicht manchmal etwas rückständig. Die Volkspartei ist verankert in der bäuerlichen Kultur, und wir stehen für eine möglichst freiheitliche Schweiz, die selbst bestimmt. Das widerspiegelt sich in der sehr kritischen Haltung gegenüber jeglichen Bündnissen mit anderen Ländern, also auch eine Partizipation mit der EU oder ein Kokettieren mit der NATO. Wir hatten in der Partei auch größte Vorbehalte beim Beitritt zur UNO. Wir sehen die Unabhängigkeit in Gefahr, wenn wir uns zu stark in großen Bündnissen engagieren.
Wer macht in der Schweiz Politik für Bäuerinnen und Bauern?
Politik für Bäuerinnen und Bauern machen die Parlamentarier. Aber auch der Bauernverband. Die bäuerlichen Parlamentarier sind sehr gut vernetzt mit dem Bauernverband, und wir arbeiten sehr effizient zusammen. Aber eigentlich kann mit unserer direkten Demokratie und Initiativen jeder Politik machen. Wir haben das bewiesen mit einer Initiative, die Bauern gemeinsam mit dem Bauernverband zum Thema Selbstversorgung gemacht haben. Die Bauern können also selbst mitbestimmen.
Welche Volksabstimmungen hat der Bauernverband gewonnen, welche verloren?
Wir haben momentan eine Reihe von Initiativen. 20 Prozent der eingereichten Initiativen beziehen sich auf die Landwirtschaft. Davon hat der Bauernverband selbst nur die Initiative zur Selbstversorgung eingebracht. Wir sägen ja nicht am eigenen Stuhl. Viele der Initiativen wie die zu Massentierhaltung, Biodiversität, Landschaftsschutz, Gletscher und viele mehr kommen von NGOs oder Umweltschutzverbänden. Diese Organisationen haben eines gemeinsam, nämlich zu glauben, dass sie mit einer Änderung der Landwirtschaftspolitik ihre persönlichen Probleme lösen können.
Welche Initiativen hat der Bauernverband gewonnen?
Die Trinkwasserinitiative und die Pestizidinitiative, die sämtliche Pestizide und Pflanzenschutzmittel für die Landwirtschaft verboten hätten. Das wäre in der Lebensmittelproduktion einfach unmöglich gewesen, und daher wurden diese vom Volk klar abgelehnt.
Warum hat der Bauernverband die Abstimmung zum Jagdgesetz verloren?
Das Referendum zum Jagdgesetz hätte Möglichkeiten zur Regulierung des Wolfes gebracht. Diese Abstimmung haben wir vor zwei Jahren verloren. Das war eine Niederlage für uns Bauern. In der Zwischenzeit ist das Problem mit dem Wolf so akut geworden, dass sogar Wolfsbefürworter der Meinung sind, das Wolfsproblem jetzt angehen zu müssen. Hochalmen werden schon nicht mehr bestoßen und das bei einem Bestand von rund 140 Wölfen und 14 Rudeln im Land. Im Vergleich zur Lage vor der Abstimmung hat sich die Wolfspopulation verdoppelt, nicht aber die Anzahl der Risse. Wie das? Weil beim Herdenschutz einiges gemacht wurde und an neuralgischen Orten keine Tiere mehr gehalten werden.
Welche Instrumente wählt die Bauernvertretung, um ihre Anliegen durchzuboxen?
Wir machen breite und professionell durchgeführte Aufklärungskampagnen, da Wissensnotstand oder Missverständnisse gerade bei der städ-
tischen Bevölkerung da sind. Wir nutzen dazu auch immer öfters die Sozialen Medien.
Wie gehen Sie persönlich mit NGOs und antibäuerlichen Umweltinitiativen um?
Ich habe mich öfters schon in die Höhle des Löwen gewagt, und es hat sich jedes Mal gelohnt. Besonders Diskussionen mit Veganern oder NGOs stelle ich mich gerne. Auch wenn ich die Überzeugung dieser Menschen nicht ändern kann, kann ich zumindest unsere Argumente in einer möglichst sympathischen Art und Weise aufzeigen. Es macht keinen Sinn, sich den NGOs zu verschließen. Wir müssen mit ihnen sprechen, weil deren allermeisten Annahmen fachlich falsch sind oder auf falschen Informationen und Rückschlüssen beruhen. Kritik an den Bauern nehme ich mit stoischer Ruhe zur Kenntnis. Sie zeigt mir oft, dass die liberale Gesellschaft alles andere als liberal und kompromissbereit ist.
Wie geht man in der Schweiz angesichts des Krieges mit Russland um?
Wir haben uns den europäischen Sanktionen – mit einer großen Mehrheit im Parlament – angeschlossen. Anfangs mussten wir genau abwägen, dass wir diesem Aggressor ganz klar gegenübertreten müssen. Aber heute zweifelt niemand mehr daran, dass Sanktionen unumgänglich sind. Zuerst haben wir uns national mit der Energie, dann mit dem Heer und auch mit der Landwirtschaft und den Lebensmitteln beschäftigt, weil die Ukraine die Kornkammer Europas und Russland der größte Düngerexporteur der Welt ist. Die Situation ist äußerst ernst. Die reiche Schweiz wird diese Güter auch irgendwo anders kaufen können, ebenso Europa. Aber die globalen Auswirkungen wegen des Verlustes der Nahrungs- und Futtermittel sind enorm.
Als Brown-Swiss-Züchter haben Sie jahrelang auf Ausstellungen Rinder bewertet. Geht sich das neben der Politik noch aus?
Die Viehzucht liegt mir immer noch sehr am Herzen, aber ich verfolge es heute mit Distanz. Deshalb bin ich nicht mehr offiziell als Richter bei Viehschauen tätig, auch weil mir die Zeit dafür fehlt. Außerdem bin ich ja Präsident des Züricher Bauernverbandes geworden. Das erfordert Neutralität.
Interview: Martina Rieberer