Landwirte können nicht hochwertige Lebensmittel produzieren, wenn man ihnen ständig Betriebsmittel entreißt“, diese Feststellung hat Christian Stockmar, Obmann der IndustrieGruppe Pflanzenschutz (IGP), an den Beginn des jüngsten IGP-Dialogs gestellt, der am 13. November 2020 als Online-Konferenz abgehalten wurde. Unter dem Titel „Vom Green Deal zum Innovation Deal: Braucht es eine Agrarpolitik des Ermöglichens?“ ging es vor allem um die Auswirkungen der von der EU-Kommission lancierten „Farm to Fork-Strategie“ auf die landwirtschaftliche Praxis. Statt einseitiger Verbote von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln plädiert die IGP für die Förderung bei Forschung und Entwicklung von Alternativen sowie für verbesserte Rahmenbedingungen. Laut Stockmar bezeichneten namhafte Wissenschaftler im Wissenschaftsmagazin Nature den „Green Deal“ der EU-Kommission bereits als einen „Bad Deal“ für den Planeten, denn Europa würde damit seine Umweltprobleme auf andere Kontinente und Länder auslagern.
Fachliche Inhalte und Debattenbeiträge bei diesem IGP-Dialog kamen von:
• Niederösterreichs LH-Stellvertreter Stephan Pernkopf,
• Norbert Lins (Vorsitzender des Agrarausschusses im Europäischen Parlament),
• Bauernbund-Präsident Georg Strasser und
• Henrik Tesch (Geschäftsführer des Forums Moderne Landwirtschaft).
Stockmar: Innovationen machen die Landwirtschaft zukunftsfitt
Landwirte setzen zahlreiche Maßnahmen, um einer Ausbreitung von Beikräutern, Krankheiten und Schädlingen vorzubeugen. Kommt es trotzdem zu einem Befall, sind sie aufgrund fehlender Wirkstoffe oftmals machtlos. Das belegen die Zahlen seit den 90er Jahren: Damals hatten die Landwirte ca. 1.000 Wirkstoffe zur Verfügung, heute sind es in Österreich nur mehr 273 Wirkstoffe. Im selben Zeitraum sank der Selbstversorgungsgrad in Österreich bei Getreide von 121 auf 87 Prozent, bei Gemüse von 73 auf 54 Prozent und bei Ölsaaten von 44 auf 28 Prozent. Dies sei der falsche Weg, so Stockmar. Die Reduktionsziele in der Farm to Fork- und in der österreichischen Biodiversitätsstrategie sehe die IGP kritisch. Stockmar forderte eine wissenschaftsbasierte und unabhängige Folgenabschätzung.
Pernkopf: Betriebsmitteleinsatz mit Hausverstand
In der Keynote bekannte sich Stephan Pernkopf zu einer landwirtschaftlichen Produktion in Europa und zum österreichischen Weg mit einem Betriebsmitteleinsatz mit Hausverstand. Würden Betriebsmittel verboten und wären die Produkte dann nicht genussfähig, so sei das umweltpolitisch zu hinterfragen, so der Landesrat. Zur Deckung der Eigenversorgung müssten zudem Produkte aus anderen Ländern importiert werden. Pernkopf wörtlich: „Eine Auslagerung der Produktion kann nicht das Ziel sein. Europas Landwirtschaft braucht eine nachhaltige Intensivierung und kein agrarpolitisches Walt Disney Land. Wir wollen eine Lebensmittelproduktion vor der Haustür, regional, mit höchsten Standards und mit Hausverstand.“
Lins: EVP will Innovation als Thema einbringen
Laut Norber Lins habe die EU-Kommission zur Farm to Fork-Strategie viele Fragen gestellt bekommen, aber nur wenige Antworten geliefert. Dies betreffe etwa die Aufteilung der Reduktionsziele bei Betriebsmitteln auf die einzelnen Mitgliedsstaaten und auch die Referenzwerte, die die Grundlage der Ziele bilden. Tatsache sei, dass die Verfügbarkeit von Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffen sinke, es keine Alternativen gebe und der Zulassungsprozess zu lange dauere. Die EVP-Fraktion fordere dementsprechend eine Folgenabschätzung zu den formulierten Zielen und wolle das Thema Pflanzenschutzmittel-Zulassung und -Regulierung bei den Verhandlungen zur Farm to Fork-Strategie einbringen, so der Vorsitzende des EVP-Agrarausschusses.
Strasser: Wir brauchen einen Gesellschaftsvertrag über Landwirtschaft von morgen
Georg Strasser zeigte sich überzeugt, dass Innovation und Digitalisierung wichtige Stellschrauben für Verbesserungen in der Landwirtschaft seien. Ein neuer Vertrag zwischen Bauern und der Gesellschaft solle die Frage beantworten, in welche Richtung sich die Landwirtschaft entwickeln soll. Österreich habe durch Innovationsprojekte und politische Programme zur Verbesserung des Umweltschutzes eine Vorreiterrolle inne. Deshalb sollten steigende Auflagen nicht dazu führen, dass es zu einem Bauernsterben kommt. Ein wichtiger Schritt bei der Gemeinsamen Agrarpolitik sei die Möglichkeit, nationale und regionale Programme in die EU einbetten zu können.
Tesch: Bedarf einer stärkeren Förderung von F&E sowie Agrar-Start-ups
Laut Henrik Tesch brauche es eine Folgenabschätzung zur Farm to Fork-Strategie. Zudem müssen Forschung und Entwicklung sowie Start-ups im Agrarbereich stärker gefördert werden. So gibt es selbstfahrende Maishäcksler, die innerhalb einer Minute gleichzeitig mittels 6.000 Einzeluntersuchungen messen, wie viel an Nährstoffen dem Boden durch die Ernte entzogen wurde. So kann der Landwirt bedarfsgerecht düngen und Kulturpflanzen gesund erhalten. Wichtig sei eine Kombination von unterschiedlichen Maßnahmen.
Alle Teilnehmer appellierten, den Dialog zwischen Politik, Landwirtschaft und Konsumenten zu verstärken. Das würde das Vertrauen in die Landwirtschaft und die Produkte erhöhen, weil es zwangsläufig mehr Transparenz schafft. Das Forum Moderne Landwirtschaft hat dazu das System der Agrarscouts geschaffen. Rund 800 Landwirte laden zu Hoftouren und klären in sozialen Medien über ihre Arbeit auf. Auch beim Thema Innovation bedarf es einer verstärkten Aufklärung, denn die Geschichte der Landwirtschaft ist eine der Innovation.
Die Veranstaltung kann unter https://www.igpflanzenschutz.at/live-stream/ nachgesehen werden.
- Bildquellen -
- 201113 IGP Dialog Gruppen Web: Geroges Schneider / IGP