„Zeit der Kompromisse ist vorbei!“

Über 70 hochrangige Vertreter von Politik und Bauernverbänden aus dem gesamten Alpenraum trafen sich am vergangenen Samstag (5. August) auf der Rodenecker Alm in Südtirol zum zweiten Alpengipfel der berufsständischen Organisationen des Alpenraumes. Die wichtigsten Themen: das Verhältnis von Tourismus und Landwirtschaft, die EU-Bürokratie und das Großraubwild.

Sie diskutierten über die Herausforderungen der Almwirtschaft: Georg Strasser, Arnold Schuler, Herbert Dorfmann, Hubert Aiwanger, Günther Felßner und Joachim Rukwied.

Der Alpengipfel fand im Rahmen der Europawanderung statt, die der Südtiroler Bauernbund seit vielen Jahren jeweils Anfang August organisiert und bei der sich seit jeher Vertreter aus Politik und Landwirtschaft aus dem gesamten deutschen Sprachraum zum Austausch treffen.

Der Alpengipfel stand unter dem Motto „Nachhaltige Almwirtschaft und Freizeitgestaltung – kein Widerspruch!“ – und die erste von Podiumsdiskussionen drehte sich auch vorrangig um dieses Thema. Daniel Gasser, Landesobmann-Stellvertreter des Südtiroler Bauernbundes, stellte klar, dass es auch auf den Almen Tourismus und Landwirtschaft gleichermaßen brauche: „Wenn sich alle an die Regeln halten, voreinander Respekt zeigen und auch alle etwas von der Almwirtschaft haben, dann steckt hier noch viel Potenzial. Almen und Weiden sind durch die Landwirtschaft gewachsen, die Bäuerinnen und Bauern tun ihr Möglichstes, um die Wege offen zu halten. Dafür muss aber auch jeder Besucher wissen, wie er sich auf den Almen zu verhalten hat“, betonte Gasser im Hinblick auf einen Vorfall mit einer Kuhherde und einer Gruppe von Touristen vor wenigen Wochen auf der Seiser Alm in Südtirol.

Franz Hörl vom Wirtschaftsbund Tirol verwies auf die Situation im touristisch hochentwickelten Zillertal, wo viele Grundeigentümer auch als Tourismustreibende aktiv sind: „Tourismus und Landwirtschaft sind Geschwister, wo es dem einen gut geht, kann auch der andere gut leben“, zeigte sich Hörl überzeugt. Fritz Waldvogel vom Glarner Bauernverband in der Schweiz verwies auf die Schwierigkeit, auf Probleme hinzuweisen, bevor sie offen zu Tage treten: „Es reicht nicht, aufzuklären, wenn die Menschen schon auf den Almen sind, wir müssen schon in den Schulen damit anfangen, Almwirtschaft zu erklären.“

Die Rolle der Gemeinden brachte Anton Speer vom Landkreis Garmisch-Partenkirchen in Bayern mit in die Diskussion ein: „Sofern es ihnen möglich ist, versuchen die Gemeinden immer, zusätzliche Angebote für den Tourismus zu schaffen. Wichtig ist, dass sie zusammenarbeiten und gemeinsam darüber nachdenken. Uns ist es gelungen, durch die Schaffung zusätzlicher Angebote im öffentlichen Nahverkehr an stark frequentierten Orten einiges an Individualverkehr zu reduzieren.

Kritik an EU

Deutliche Worte in Richtung EU-Politik fand schließlich Josef Geisler, Bauernbund-Landesobmann und Landeshauptmann-Stellvertreter in Tirol: „Es ist eine Entmündigung der Nationalstaaten und Regionen im Gang, wir sind bald nicht mehr in der Lage, als ländliche Bevölkerung gegen die urbane Bevölkerung anzukämpfen. Das zeigt sich nicht zuletzt beim Problem mit dem Großraubwild, wo unser Handlungsspielraum nach wie vor sehr eingeschränkt ist. Das ist ein Problem für die Landwirtschaft, aber auch für den Tourismus.“

Damit war auch schon die Brücke geschlagen zur zweiten Diskussionsrunde, an der hochkarätige Vertreter aus Politik und Landwirtschaft teilnahmen. Joachim Rukwied, der dem Bauernverband von Baden-Württemberg und dem Deutschen Bauernverband als Präsident vorsteht, kritisierte die Haltung der EU-Kommission in Sachen Wolf: „Wir haben in Deutschland 4000 Wölfe und 4000 Risse pro Jahr. Das ist nicht mehr hinnehmbar, der Wolf ist längst nicht mehr gefährdet und gehört reguliert! Schweden hat eine Obergrenze von 450 Wölfen zum Schutz der Rentierherden, das muss auch im Rest von Europa möglich sein.“

Auch zur Regelung der Naturwiederherstellung fand Rukwied klare Worte: „Wir Landwirte haben die Natur so erhalten wie sie jetzt ist, was in Brüssel diskutiert wird, hat mit dem, was wir brauchen, nichts zu tun.“ Auch bei Fragen wie der neuen Gentechnik und der Reduktion von Pflanzenschutzmitteln brauche es eine realistisch umsetzbare Politik, da „hat die EU-Kommission noch Nachholbedarf“.

Günther Felßner, Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, verwies auf die Wichtigkeit der Rentabilität: „Für die Landwirtschaft muss durch ihre Arbeit auch Wertschöpfung entstehen, es geht auch darum, über gute Produkterlöse die Tierhaltung positiv zu erhalten und unseren Jungbäuerinnen und Jungbauern Perspektiven zu bieten. Nicht die sogenannte letzte Generation wird die Welt retten, sondern die nächste Generation von Bäuerinnen und Bauern!“

Zur Landwirtschaft stehen

Georg Strasser, Präsident des Österreichischen Bauernbundes, forderte die EU-Politik auf, wieder mehr an Europa zu denken und weniger nach Westen und Osten zu schauen: „Was brauchen wir für unsere Staatengemeinschaft? Das sollte auch bei Verhandlungen über ein kommendes Mercosur-Abkommen die zentrale Frage sein.“ Auch bräuchten bei den Fragen zur Zukunft der Landwirtschaft die Betroffenen wieder eine Stimme: „Bezogen auf die Almwirtschaft heißt das, dass die EU-Politik sich entscheiden muss: Wollen wir auf den Almen Büsche und Wölfe oder wollen wir Kühe und Touristen?“

Nach diesen Forderungen der Bauernvertreter ergriffen die politisch Verantwortlichen das Wort: Südtirols Landwirtschafts-Landesrat Arnold Schuler verwies auf die Schwierigkeit, gegenüber der Regierung in Rom ein aktives Wolfsmanagement durchzusetzen: „Wir hoffen, dass wir mit unserem neuen Wolfsgesetz jetzt eine guten Schritt weiterkommen. Ziel wäre eine Regelung, wie wir sie etwa für die Kormorane schon haben – mit klaren Zielen für den Bestand und die Regulierung.“

Der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger brachte zum Ausdruck, was er von der aktuellen EU-Politik hält: „Wir sehen eine dauernde Abwehrschlacht der Vernünftigen gegen die Ideologen. Die Landbevölkerung ist immer verärgerter – absolut verständlich, denn wer übernimmt noch einen Bauernhof, wenn er sich dauernd vor neuen Angriffen und Einschränkungen fürchten muss. Wir müssen als Politik endlich aktiv zeigen, dass wir zur Landwirtschaft stehen, sonst verlieren wir die Akzeptanz der Bevölkerung!“

EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann schloss sich den Forderungen nach einem Umdenken auf EU-Ebene an: „Auch unsere Fraktion im EU-Parlament hat lange versucht, Kompromisse zu schließen. Diese Zeit ist jetzt vorbei, wir müssen wieder öfter deutlich sagen, was geht und was nicht geht. Beim Thema Wolf sehe ich ein langsames Umdenken, bei der Renaturierung haben wir einen Teilerfolg erzielt. Wer weniger Produktionsfläche will, muss auch sagen, ob er auf den restlichen Flächen eine intensivere Landwirtschaft will.“

Auch beim Thema Gentechnik brauche es die Offenheit, über neue Wege zu reden. Vor allem aber müsse sich die Agrarpolitik um die Jugend kümmern: „Wir brauchen die Besten unter unseren jungen Landwirtinnen und Landwirten, um gut in die Zukunft zu kommen. Dafür müssen wir ihnen aber einen Grund geben, damit sie positiv in die Zukunft blicken können!“

Moderiert wurden die beiden Diskussionsrunden von den beiden Spitzenvertretern des Südtiroler Bauernbundes – Direktor Siegfried Rinner und Landesobmann Leo Tiefenthaler.

Am Ende unterzeichneten Vertreter aller anwesenden Organisationen aus der Land-, Forst- und Almwirtschaft ein gemeinsames Positionspapier, das auf alle angesprochenen Themen eingeht und die Haltung der Verbände zusammenfasst.

- Bildquellen -

  • IMG 9657: Südtiroler Bauernbund
- Werbung -
AUTORRed. JS
Vorheriger ArtikelAgrar-Terminmarkt (9. August ’23) / Mahlweizen bleibt die kommende Saison über knapp
Nächster ArtikelRenaturierungsverordnung der EU ist „ein Irrweg“