Kommen die Wölfe, gehen die Bauern

Der Wolf breitet sich in den vergangenen Jahren auch im Alpenraum immer mehr aus. Die Häufung von Tierrissen, zuletzt vor allem in den beiden Bundesländern Salzburg und Tirol, stellt die Bauern vor nahezu unlösbare Probleme.

Mit Sicherheit kein Streicheltier: Der Großteil der jüngsten Risse in Tirol ist auf Heim- weiden passiert, teilweise sogar in unmittelbarer Siedlungsnähe auf mit Elektrozäunen geschützten Weiden. Foto: Tomas Hulik - stock.adobe.com

Der Zorn der betroffenen Bauern ist verständlich: Die Almsaison hat erst begonnen, und schon sind Dutzende gerissene Tiere zu beklagen. Die Befürchtung ist groß, dass sich die Situation in den nächsten Wochen weiter zuspitzt. Hier eine kurze Zusammenfassung des derzeitigen Standes in Österreich und in benachbarten Ländern.

Nicht vom Aussterben bedroht
Seit dem Jahr 2009 werden Wölfe in Österreich vermehrt beobachtet; der derzeitige Bestand wird auf zumindest 50 Individuen geschätzt. Sollte sich diese Population ungehindert weiterentwickeln, rechnen Experten in den nächsten 15 Jahren mit bis zu 500 Wölfen in Österreich. Durch die Berner Konvention und die „Fauna-Flora-Habitat“-(FFH)-Richtlinie der EU seit 1992 ist der Wolf ein streng geschütztes Tier. Das damalige Ziel war ein überlebensfähiger Wolfsbestand in Europa. Dieses Ziel ist längst erreicht: Die Zahl der Wölfe in Europa (ohne Russland) wird auf mehr als 17.000 Tiere geschätzt, im europäischen Teil Russlands dürften weitere 15.000 Wölfe leben – in Summe also mehr als 30.000 Raubtiere.
Wenn nun die traditionelle Alm- und Weidewirtschaft in Gefahr ist, hat das vielfältige Auswirkungen – der Wolf ist daher längst nicht mehr „nur“ ein Problem der Bauern. Die Folgen für die gesamte Bevölkerung, vom Urlauber bis zum heimischen Ausflugsgast, wären fatal. Von Experten, wie etwa Klaus Hackländer, Boku-Professor und Wildtierbiologe, wird darauf hingewiesen, dass der Isegrim ein „Game Changer“ sei. Er stelle die Traditionen in der Landnutzung auf den Kopf. Die Bergbauern mit Alpweide dürften bei regelmäßigem Wolfsvorkommen die Hauptverlierer sein.
So haben sich auf mehreren Tiroler Almen und Weiden in den vergangenen Wochen bereits wahre Massaker abgespielt. In Tirol wurden heuer bereits 15 Wolfsrisse an Schafen nachgewiesen, acht Fälle mit 16 toten Schafen werden abgeklärt (Stand: 14. Juni).
„Die Situation ist zum Verzweifeln“, meint Paul Greiter, Ortsbauernobmann und Bürgermeister von Serfaus im Bezirk Landeck. Nachdem im Sommer 2020 in Tirol 163 tote und 118 abgängige Tiere auf das Konto des Wolfes gingen und auf 15 Almen Wolfsrisse bestätigt wurden, wurde auf dem Lader Heuberg in Serfaus gemeinsam mit dem Land ein Pilotprojekt zum Herdenschutz gestartet. Vergangene Woche wurden dort elf Schafe auf dieser – nach Expertenmeinung optimal behirteten und eingezäunten – Weidefläche gerissen. „Der Worst Case ist eingetreten“, so Greiter.
Erschüttert zeigt sich auch Landecks Bezirksbauernobmann Elmar Monz. Er bereue es bereits, den Bäuerinnen und Bauern auf Empfehlung der Experten hin den Herdenschutz nahegelegt zu haben. Gerade im Tiroler Oberland sei die Landwirtschaft sehr
kleinstrukturiert, Schafbauern hielten durchschnittlich bloß 25 Stück. „Man baut zu jedem einzelnen Tier eine Beziehung auf – es tut weh, sie so zu verlieren. Jetzt, da wir gesehen haben, dass der Herdenschutz ebenso wenig funktioniert, fehlt uns die Perspektive für die Almwirtschaft.“

Ein aktuelles Bild aus Südtirol: Dort hat ein Wolf im Blutrausch zahlreiche Schafe gerissen.
FOTO: privat

Viele Stimmen gegen den Wolf
Etwa 85.000 Schafe und 22.000 Ziegen werden heuer auf Tirols Almen aufgetrieben. Dieses Kleinvieh nicht auf die Alm zu treiben, sei keine Option, meint Michael Bacher, Obmann des Tiroler Schafzuchtverbandes: „Sie im Tal zu lassen, wäre Tierquälerei. Unsere Schafe und Ziegen sind für das Gebirge gezüchtet und halten die Hitze im Tal nicht aus.“
Die Bewirtschaftung der Almen sei unabdingbar, bestätigt Josef Lanzinger, Obmann des Tiroler Almwirtschaftsvereins: „Wir haben 575 Schaf- und Ziegenalmen im hochalpinen Raum, die nur dann eine Alm bleiben, wenn dort Schafe und Ziegen grasen. Die Almschafe und -ziegen leisten den besten und auch günstigsten Schutz vor Lawinen und Muren und sichern ein wunderschönes Landschaftsbild.“ Der Wolf dagegen gefährde diese hochalpine Kulturlandschaft und die Sicherheit der Bergdörfer „und hat somit keinen Platz in diesen Schutzzonen“, so Lanzinger. Dieselbe Meinung vertritt der Tiroler Bauernbund-Nationalratsabgeordnete Hermann Gahr: „Die Erhaltung unserer Almwirtschaft hat Priorität. Das Thema Wolf betrifft nicht nur die Bäuerinnen und Bauern, die Jägerschaft und den Tourismus, sondern die gesamte Bevölkerung.“
Daher wurde der „Verein zum Schutz und Erhalt der Land- und Almwirtschaft in Tirol“ gegründet. Deren Obmann ist Tirols LK-Präsident Josef Hechenberger. Neben unzähligen Bäuerinnen und Bauern unterstützen auch die Wirtschaftskammer und die Arbeiterkammer, der Seniorenbund und der Gemeindeverband den Verein. Nach den jüngsten Wolfsrissen fordert der Verein vehement rasches Handeln sowie die Erstellung eines Managementplanes samt gesetzlicher Entnahmemöglichkeit auf Landesebene.
Der Tiroler Bauernbund wiederum gibt Gemeinden mit einer Petition gegen den gefürchteten Beutegreifer eine Stimme. „Wir fordern von der Tiroler Landesregierung und vom Landtag ein klares Bekenntnis zur Alm- und Weidewirtschaft, die Erlaubnis der Entnahme von Problemwölfen durch Anpassungen des Jagd- und Naturschutzrechtes sowie die Festlegung von Gebieten, in denen Herdenschutz nicht umsetzbar ist und in denen eine Entnahme von Problemwölfen möglich ist. Dazu eine vollständige, rasche und unbürokratische finanzielle Entschädigung bei Wolfsrissen sowie Unterstützung bei praktikablen Herdenschutzmaßnahmen“, zählt Bauernbundobmann LHStv. Josef Geisler die wichtigsten Forderungen auf. „Wir arbeiten mit Experten aus allen Bereichen auf Hochdruck daran, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Gefahr von unseren Tieren abzuwenden.“

Salzburg ebenfalls stark betroffen
Von den anderen Bundesländern ist derzeit Salzburg am stärksten vom Isegrim betroffen: Mehr als 50 gerissene Schafe in Mittersill, Uttendorf und Rauris sind allein heuer die traurige (Zwischen-)Bilanz – insgesamt werden im Pinzgau drei Wölfe vermutet. Vor Kurzem wurde ein Wolf tagsüber auf einem vielbegangenen Wanderweg zwischen Kaprun und Bruck beobachtet und fotografiert. Jagdberechtige und die hiesige Agrargemeinschaft wollen einen Antrag auf Abschuss stellen. LK-Präsident und Bauernbundobmann Rupert Quehenberger warnt: „Kommt der Wolf, stirbt unsere Kulturlandschaft im ländlichen Raum. Für uns steht fest: Der Schutz unserer Nutztiere und die Sicherheit der Menschen im Siedlungsgebiet muss Vorrang gegenüber dem Wolf haben.“
Derzeit (noch) ruhig ist es in Niederösterreich, wo man im Vorjahr drei Wolfsrudel ortete; in Oberösterreich, Kärnten, der Stiermark und Vorarlberg wurden Einzeltiere gesichtet.

Lage in den Nachbarländern
So wie in Salzburg und Tirol häufen sich indes auch in Südtirol die Risse durch den Wolf. Jüngster Vorfall: In der Nacht auf vergangenen Samstag haben vermutlich zwei Wölfe in der Gemeinde Tisens im Etschtal, südlich von Meran, eine Damhirschkuh und ihr Kalb sowie ein Schaf gerissen. Erst eine Woche zuvor hatte dort ein Wolf drei Hirschkühe und drei Mufflons getötet. Ging man im Jahr 2019 von 35 Wölfen in drei Rudeln in Südtirol aus, so dürfte diese Zahl längst höher liegen. Im angrenzenden Trentino leben bereits 17 Wolfsrudel.
In der Schweiz zählt man derzeit elf Wolfsrudel mit hundert Individuen. In Deutschland gab es laut Umweltministerium Anfang 2020 sogar 128 Wolfsrudel, 35 Paare und zehn Einzeltiere. Der deutsche Jagdverein kommt nach eigenen Hochrechnungen auf rund 1.800 Wölfe.
Für den Bauernbund hierzulande steht fest: Wirksamer Herdenschutz ist vielfach aus technischen sowie finanziellen Gründen nicht machbar. Eine Möglichkeit sei die Einrichtung von Weideschutzgebieten, um bei wiederkehrenden Angriffen von Großraubtieren rasch und effektiv eingreifen zu können. Dazu sind in den Bundesländern die entsprechenden gesetzlichen Maßnahmen zu treffen, um die – nach EU-Recht mögliche –Entnahme umzusetzen. Aber die Zeit drängt.

Infos unter: www.almohnewolf.at

Hannah Pixner, Andreas Humer

- Werbung -
Vorheriger ArtikelLandmaschinen „wia‘s früha amoi woan“
Nächster ArtikelClaas arbeitet mit Projektpartnern an “Künstlicher Intelligenz”