„Die Kennzeichnung ist Bürgerrecht“

Pernkopf: „Wir sprechen auf der Wintertagung vieles an und aus.“

Die Teuerungswelle von Energie und Betriebsmitteln beschäftigt gerade Landwirte derzeit Tag und Nacht. Dazu und zum Start der diesjährigen Wintertagung ein Gespräch mit Stephan Pernkopf. Ihm geht vieles zu langsam: die Herkunftskennzeichung, das Erneuerbaren Ausbaugesetz.
Interview: Bernhard Weber

BauernZeitung: Am Donnerstag beginnt die Wintertagung 2022 mit elf Fachforen an sechs Tagen über Agrarpolitik, verschiedene Agrarsparten bis Kommunikation und Bildung. Welche Vorträge sollte man nicht versäumen?
PERNKOPF: Ich bin auch heuer wieder stolz auf die Vielfalt und Buntheit unseres Programms mit vielen hochkarätigen Referentinnen und Referenten. Zur Eröffnung beschäftigen wir uns mit der Versorgungssicherheit und dem Thema Herkunft, ursprünglich auf Lebensmittel bezogen. Das hat mittlerweile eine völlig andere Bedeutung erlangt. Die Teuerungswelle beschäftigt uns derzeit Tag und Nacht. Es ist erfreulich, dass einige agrarische Erzeugerpreise gestiegen sind. Andererseits sind die Rohstoff- und Betriebsmittelkosten explodiert. Derzeit müssen wir uns die Frage stellen, wo der teure Dünger und Gas für dessen Herstellung herkommt. Auch hier gilt: Wenn man die Herkunft nicht kennt, führt das zu Verunsicherung und Abhängigkeiten bis hin zur Gefährdung von Existenzen.

Sie haben unter mehr als 12.000 zumeist Online-Kontakten aus dem Jahr 2021 erheben lassen, was dieses größte Agrarforum aus Sicht der Teilnehmer besonders auszeichnet und warum diese bereit sind, es auch via Internet und gegen Gebühr zu verfolgen.
Die Wintertagung ist national wie international hoch angesehen. Wir haben vergangenes Jahr noch mehr ausländische Besucher verzeichnet. Unsere Zuseherinnen und Zuseher sind bereit, sowohl Zeit als auch Geld in Form von Teilnahmegebühren zu investieren, weil wir auf die richtigen Themen gesetzt haben. Egal ob Klimawandel, die Kreislaufwirtschaft, die Versorgungssicherheit oder die Herkunft – überall stehen Bäuerinnen und Bauern an vorderster Front. Als Gestalter oder beim Klimawandel auch als besonders Betroffene durch Starkregen oder Hagel. Es spricht schon für unser Forum, dass wir bewusst auf zu erörternde Themen setzten wie „Nachhaltig intensivieren“. Und vieles an- und aussprechen. So wie 2021, als ich davor gewarnt habe, dass der Green Deal, wenn er falsch gemacht wird, in Europa zu weniger Produktion führen wird. Wir haben dann nicht nur mehr Blühstreifen am Acker, sondern auch mehr Kondensstreifen am Himmel. Von Frachtflugzeugen, die Lebensmittel importieren. Erst dieser Tage haben die WHO und die Welthungerhilfe vor steigenden Lebensmittelpreisen und damit wieder mehr Hunger gewarnt. Das kann nicht unser Ziel sein. Hier wird die EU nochmals über ihren Schatten springen müssen. Jeder Quadratmeter produktives Land muss zur Lebensmittelherstellung genutzt werden.

Deutschlands Agrarminister Cem Özdemir von den Grünen hat in letzter Minute abgesagt: Was hätten Sie ihn gefragt? Wie sehen Sie generell die Ankündigungen der neuen Ampelregierung in Berlin?
Persönlich kann er nicht anwesend sein, was man in Zeiten von Corona ja verstehen muss. Zugesagt hat er eine Videobotschaft. Das Regierungsprogramm der Deutschen enthält ja durchaus positive Punkte wie die Herkunftskennzeichnung. Ich war aber etwas irritiert, weil Özdemir zuletzt gegenüber Agrar- und Umweltverbänden ebenfalls per Videoschaltung erklärt hat: „Klima- und Umweltschutz ist Landwirtschaftsschutz.“ Mit dieser Formel kann ich persönlich gar nichts anfangen. Ich behaupte, unsere hohe Lebensqualität haben wir, weil unsere Bäuerinnen und Bauern so gut gearbeitet haben. Und nicht, weil irgendwo für Klimaschutz demonstriert wird.

Wie beurteilen Sie Österreichs agrarischen Strategieplan zur Umsetzung der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik?
Damit kann man durchaus gut leben. Natürlich ist jedes Verhandlungsergebnis in einer Koalitionsregierung ein Kompromiss. Der Bauernbund und ich haben uns stets dafür eingesetzt, dass produktive Landwirtschaft an erster Stelle zu stehen hat. Manche Grüne sehen das anders. Trotzdem ist hier auf Seiten der Gespräche mit uns Ländern einiges gelungen und konnte mit nur wenigen Abstrichen auch im Parlament so umgesetzt werden.

Agrarpolitik besteht bekanntlich aus Kompromissen – beinhaltet die GAP ab 2023 auch Wermutstropfen?
Ich sehe nur wenige. Dafür konnten einige wirklich unsinnige Forderungen der Grünen abgeschmettert werden, die oft ein falsches Verständnis von der Landwirtschaft haben. Wir haben nun einmal keine Minimundus-Betriebe in Österrreich. Im EU-Vergleich haben wir zwar relativ kleine Strukturen, unsere Betriebe sind aber höchst produktiv. Für die haben wir uns auch eingesetzt. Wir müssen auf die Produktion von Lebensmitteln setzen. Alles andere macht keinen Sinn.

Wie optimistisch oder vielleicht auch pessimistisch beurteilen Sie generell die Green-Deal­ und Farm-to-Fork-Ziele, die von Brüssel massiv verfolgt werden?
Meine Kritik daran ist bekannt, siehe Blühstreifen kontra Kondensstreifen. Oder anders formuliert: Für alles, was wir nicht selber anbauen gilt: Schlechtere Qualitäten und höhere Abhängigkeiten. Das kann in Zeiten wie diesen nicht der richtige Weg sein. Auch Entwicklungen wie die Stilllegung von Waldflächen oder gar die Bezeichnung der Atomkraft als nachhaltige Energieform sind für jemanden wie mich mit einer ökosozialen Wertehaltung einfach falsch und dumm. Atomkraft als Übergangsenergie zu dulden ist das eine. Sie aber noch aktiv als „grüne Anleihen“ neben Photovoltaik oder Biomasseheizwerken zu propagieren ist ein Schildbürgerstreich der Sonderklasse. Zwar wird in Brüssel noch darum gekämpft, es nicht so weit kommen zu lassen. Selber schmiede ich gerade in Österreich an einer Allianz mit großen Bank- und Versicherungsunternehmen, nicht in Form solcher Anleihen auch in Atomstromprojekte zu investieren. Nicht alles was in Brüssel, Berlin oder Paris geplant wird, ist auch gescheit. Statt schrittweise neue Wege bei Alternativenergien zu gehen, sperren die Deutschen ihre letzten drei AKW zu, während die Franzosen alte, längst eingemottete Kohlekraftwerke reaktivieren und mit dem Bau neuer AKWs den Energiehunger der Deutschen stillen. Mit dieser unheiligen französisch-deutschen Allianz sind wir einem Energie-Blackout näher als uns lieb ist.

Themenwechsel: Seit zwei Jahren warten die Landwirte auf die von der Bundesregierung angekündigte Herkunftskennzeichnung für Lebensmittel. Wie groß ist eigentlich Ihre Ungeduld?
Das muss rasch umgesetzt werden. Punkt. Die Forderung liegt klar am Tisch und Minister Mückstein ist gefordert. Ich halte eine solche Kennzeichnung geradezu für ein Bürgerrecht.

Aufgrund steigender Energiepreise gehen derzeit auch die Kosten für Betriebsmittel durch die Decke. Bei den Preisen vor allem für tierischer Erzeugnisse schaut die Landwirtschaft aber weiterhin durch die Finger. Welche Schwierigkeiten sehen Sie hier auf die Bäuerinnen und Bauern zukommen?
Der Ukraine-Konflikt mit Russland wird den Anstieg der Preise vermutlich noch weiter beschleunigen. Auch hat uns die Pandemie vor Augen geführt: Alles, was wir nicht selbst erzeugen, werden wir in zweifacher Hinsicht teuer bezahlen: durch Abhängigkeiten und teils existenzbedrohend hohe Kosten für knappe Güter wie Dünger, der bald auf unseren Feldern fehlen könnte. Daher müssen wir mehr auf Kreislaufwirtschaft setzen.

Wo orten Sie derzeit besondere Möglichkeiten für den Agrarbereich?
Ich fordere im Zusammenhang mit der ökosozialen Steuerreform die sofortige Umsetzung des Sonder-Investitionsprogrammes Energieautarker Bauernhof. Hier wurde ja Geld bereitgestellt und zugesagt, um unsere Bauernhöfe krisensicher zu machen, aber das geht mir noch viel zu langsam.

Gab es in den vergangenen Monaten ein Erlebnis, das Sie als Agrarpolitiker besonders zuversichtlich stimmt?
Ich habe aus vielen Gesprächen mit Menschen, die nichts mit Landwirtschaft zu tun haben, noch nie eine so hohe Wertschätzung für die Bauern und ihre Arbeit empfunden und herausgehört. Noch mehr freuen würde es mich, wenn sich diese Wertschätzung endlich auch in höheren Erzeugerpreisen niederschlagen würde.

Für die ÖVP waren die vergangenen Monate besonders turbulent. Wie sehen Sie aktuell und generell die Zusammenarbeit mit den Grünen?
Bundeskanzler Karl Nehammer hat wieder für stabile Verhältnisse gesorgt. Professionelles Arbeiten ist angesagt. Niemand hat gerade jetzt Verständnis für Streit. Das Regierungsprogramm ist Punkt für Punkt rasch abzuarbeiten. Beim Erneuerbaren Ausbau-Gesetz geht noch viel zu wenig weiter. Wenn ich aber höre, dass etwa die Ausschreibung für Photovoltaik-Förderung erst Mitte des Jahres erfolgen soll, hätten wir am Ende ein ganzes Jahr verloren. Ich bin in laufendem Kontakt mit vielen Ministerinnen und Ministern, allen voran mit Elisabeth Köstinger, die in allen genannten Bereichen voll hinter den Bauern steht und auch im Bereich Tourismus dafür sorgt, dass diese Sparte trotz aller Schwierigkeiten als wichtiger Absatzmarkt für deren Erzeugnisse gedeiht.

Als LH-Stellvertreter in Niederösterreich sind Sie auch für das Spitalswesen zuständig und in Sachen Corona damit vielfach gefordert. Mittlerweile kennt vermutlich jeder jemanden in seinem persönlichen Umfeld, der einer Impfung und nun auch der Impfpflicht, kritisch oder gar völlig ablehnend gegenübersteht. Ist dieses Thema überhaupt noch in den Griff zu bekommen?
Der Gesundheitsbereich ist für den ländlichen Raum insgesamt von existenzieller Bedeutung. Viele Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger, auch Mitarbeiter der Spitalsverwaltung stammen auch von Bauernfamilien ab. Sie alle leisten derzeit tolle Arbeit. Nur wenn junge Mediziner oder das Gesundheits-personal auch vom Land stammen, werden sie wieder in Spitäler und Arztpraxen am Land zurückgehen. Und statt Skeptiker auszugrenzen sollten wir sie einladen und über die Fakten informieren. Ansonsten gehe ich persönlich aber sehr pragmatisch an die Sache und bin der Meinung: Wenn ich bei meinem Auto ein Problem habe, rufe ich meinen Mechaniker an. Wenn es im Stall ein Problem gibt ist rasch der Tierarzt zu kontaktieren. Und wenn es um meine eigene Gesundheit geht, dann vertraue ich den Ärzten.

Zur Person

Dr. Stephan Pernkopf (49) ist Präsident des Ökosozialen Forum Österreich sowie LH-Stellvertreter in Niederösterreich mit Zuständigkeit für Landwirtschaft, Landeskliniken und Energie. Seit 2018 ist er zudem auch Obmann im NÖ. Bauernbund.
www.oekosozial.at

- Bildquellen -

  • Pernkopf: FNSEA
- Werbung -
Vorheriger ArtikelDüngerpreishoch: Keine Entwarnung in Sichtweite
Nächster ArtikelFördergelder für Klimafit-Wälder