BauernZeitung: Neue Züchtungsverfahren wie CRISPR setzen sich weltweit durch, mit Ausnahme der EU. Europas Züchter geraten mehr und mehr ins Hintertreffen. Wie ist der Stand des Verfahrens?
Jorasch: Die Entwicklung neuer Züchtungsmethoden erfordert bereits seit mehr als einem Jahrzehnt eine Anpassung der Gentechnikgesetzgebung der EU. Dringender Handlungsbedarf besteht seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Jahr 2018, wonach alle Sorten als „Gentechnik“ einzustufen sind, die nicht mit traditionellen Züchtungsverfahren hergestellt wurden. Das behindert die Anwendung der neuen Methoden. Einen neuen Gesetzesvorschlag hat die EU-Kommission nun bis Mitte 2023 angekündigt. Die Sache könnte sich allerdings bis über die nächsten EU-Wahlen im Mai 2024 hinziehen. Damit droht eine weitere, jahrelange Verzögerung. Zudem ist ungewiss, wie ein neues EU-Parlament und eine neue Kommission die Materie behandeln werden.
Was bedeutet das für die Pflanzenzüchter?
Das bedeutet, dass die eher klein- und mittelständisch strukturierten Pflanzenzüchtungsunternehmen die neuen Technologien kaum nutzen können, weil sie spätestens bei der Sortenprüfung im Freiland auf Länder außerhalb der EU ausweichen müssten. Das wäre zwar möglich, verursacht aber hohe Kosten. Multinationale Züchtungsunternehmen können leichter auf Standorte außerhalb der EU ausweichen. Im Endeffekt geraten die Züchter in der EU gegenüber ihren Mitbewerbern außerhalb der EU ins Hintertreffen. Denn viele Staaten, etwa in den USA, Südamerika und auch in Afrika, stellen einige der neuen Züchtungsverfahren bereits gleich mit der konventionellen Züchtung und haben damit einen Vorsprung.
Geraten damit auch die Bauern ins Hintertreffen?
Die verzögerte Anwendung der neuen Methoden hemmt den Züchtungsfortschritt und kostet die Landwirte Ertrag. Zudem stehen sie durch den beabsichtigten Entzug von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln im Rahmen der Farm to Fork-Strategie in einer Zwickmühle. Den Landwirten fehlen möglicherweise die Sorten, mit denen sie das kompensieren könnten.
Bei welchen Kulturen würden die neuen Methoden Vorteile bringen?
Hauptziele der Züchtung sind verbesserte agronomische Eigenschaften, vor allem der Ertrag. Dazu kommen Toleranzen gegenüber Schadpilzen und Krankheitserregern. Im Projekt PILTON ist in Deutschland bereits ein pilztoleranter Weizen in Entwicklung, dessen Feldprüfung in vielen EU-Staaten gar nicht oder nur unter strengen und kostpieligen Auflagen möglich wäre. Jetzt schon am internationalen Markt sind beispielsweise eine Sojabohne mit verbesserter Fettsäurequalität und eine japanische Züchtung einer Tomate, die blutdrucksenkend wirkt. Ein Acrylamid-Weizen aus Großbritannien wird in Feldversuchen erprobt.
Wie sollen die neuen Züchtungsverfahren im EU-Recht behandelt werden?
Wir von Euroseed schlagen eine differenzierte Einstufung vor. Wenn das Ergebnis einer Züchtung ähnlich einer konventionellen Pflanzensorte ist, dann soll die Züchtung auch als konventionell gelten. Diese Entscheidung soll eine Behörde nach definierten Kriterien treffen. Eine dritte Kategorie zwischen GMO und konventionell scheint uns dagegen wenig sinnvoll, weil sich damit einmal mehr das Problem der Identifizierbarkeit stellt.
GENTECHNIK ODER …?
Klassische Gentechnik beruht auf der „Transgenese“. Darunter versteht man Verfahren, mit denen artfremde Gene in eine Pflanze eingebracht werden, um etwa eine Herbizidresistenz zu bewirken („Roundup Ready“) oder die Abwehr von Schadinsekten („Bt-Mais“). Laut EU-Recht gilt in den meisten EU-Ländern ein Anbauverbot für GVO-Pflanzen.
Die viel diskutierten „neuen“ Züchtungsverfahren ermöglichen neben der Transgenese auch gezielte Veränderungen ausschließlich am arteigenen Genom. Da in diesem Fall nur das bereits in einer Spezies vorhandene Erbmaterial behandelt wird, sind die so gezüchteten Sorten kaum noch von solchen aus traditioneller, konventioneller Zucht (mit Mutation und Selektion) zu unterscheiden. Der Vorteil der neuen Verfahren liegt darin, dass man sehr gezielt neue Pflanzeneigenschaften ansprechen kann und schneller zu Ergebnissen kommt.
Neue Verfahren, wie das mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnete CRISPR/Cas, ermöglichen gezielte Veränderungen am Erbgut (Mutagenese, Cisgenese, Intragenese), mit denen Veränderungen am Genom möglich sind, ohne dass genetisches Material anderer Arten eingebaut wird. Damit lassen sich Herbizidrestistenzen erzeugen, verbesserte Gesundheitseigenschaften oder veränderte Inhaltsstoffe wie beispielsweise ein Weizen mit verbesserten Back- und Toasteigenschaften, Tomaten mit gesundheitsfördernden Inhaltsstoffen oder Stärkekartoffeln ohne Gehalt an der nur aufwendig abzutrennenden Amylose. Solange allerdings die EU an ihrem alten Gentechnikrecht festhält, ist Züchtern und Landwirtschaft der Marktzugang mit solchen Sorten verwehrt.
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- 2248 W Petra Jorasch: Euroseeds
- 2248 W Zuechten Ist Handarbeit: Saatgut Austria / photonews.at /Anna Rauchenberger