Zwischenkalbezeiten jenseits der 400 Tage gelten gemeinhin als Signal für schlechtes Fruchtbarkeitsmanagement. Beim Konzept der verlängerten Laktation wird demgegenüber die Melkperiode absichtlich über das übliche Maß hinaus verlängert. Dies führt zu einer ganzen Kette von Auswirkungen, die bedacht werden müssen.
Jedes zweite Jahr ein Kalb
Wir haben in den letzten hundert Jahren einen Anstieg der Milchleistung von etwa 2.000 auf 9.000 kg Milch und mehr gesehen. Die Fütterung ist heutzutage weitgehend saisonunabhängig. Musste das Urrind seine Futteraufnahme und den Reproduktionsrhythmus mit der Kalbung im Frühjahr noch an das jahreszeitliche Angebot anpassen, werden Milchkühe heute 365 Tage im Jahr nach Leistung gefüttert.
Die Fortschritte in der Zucht haben die Laktationskurve in der Leistung angehoben und auch in der Persistenz deutliche Verbesserungen gebracht. Bis April 2023 sollen in Österreich und Deutschland Persistenzzuchtwerte für Holstein-Kühe eingeführt werden. Gewinnt der Trend an Fahrt, dann könnte es in zehn Jahren wie selbstverständlich heißen: „Jedes zweite Jahr ein Kalb.“
Wirtschaftlichkeit prüfen
Um die wirtschaftlichen Auswirkungen zu beleuchten, hat Benjamin Ziegler im Zeitraum von 2011 bis 2015 in einem großen Milchviehbetrieb in Brandenburg in Summe 1.266 Laktationen ausgewertet. In der Untersuchung wurde keine absichtlich längere Laktation angestrebt, die Daten wurden lediglich nach Zwischenkalbezeit sortiert. Eindeutig ersichtlich war, dass die energiekorrigierte Milchmenge standardisiert auf die 305 Tage Leistung (ECM 305 d) mit zunehmender Zwischenkalbezeit ansteigt. Im Mittel aller Laktationen stieg die ECM 305 d von rund 8.500 kg (bei ZKZ bis 350 d) auf über 9.200 kg (bei ZKZ von 470 und mehr). Da Kühe mit gesundheitlichen Problemen tendenziell später tragend werden, finden sich diese Kühe in der Untersuchung verstärkt bei der längeren ZKZ wieder.
Für die Wirtschaftlichkeit entscheidend ist der Milchertrag je Futtertag. Tendenziell zeigten Kühe mit 350 bis 380 Tagen ZKZ den höchsten Milchertrag je Futtertag. Wirtschaftlich weiter zu berücksichtigen ist vor allem die geringere Anzahl an Kälbern aufgrund der verlängerten Laktation. Hier ist der verringerte Erlös aus dem Kälberverkauf dem geringeren Arbeits- und Kostenaufwand durch weniger Kalbungen gegenüberzustellen. Bei spezialisierten Milchrassen fallen Kälber- und Schlachtkuhverkauf weniger ins Gewicht als bei Mehrnutzungsrassen. Es sind weitere Forschungen zur Wirtschaftlichkeit wünschenswert.
Den Besamungserfolg im Blick behalten
Eine verlängerte Laktation kann sich auch positiv auf den Besamungserfolg auswirken. Wie die Grafik „Laktationsverlauf“ zeigt, ist die Situation bei einer Erstbesamung (EB) am 130. Laktationstag ganz anders als am 70. Tag nach der Kalbung. Die Milchleistung (blau) ist niedriger und die Trockenmasseaufnahme ist höher. Die daraus resultierende positive Energiebilanz zum Zeitpunkt der Besamung ermöglicht insbesondere bei Hochleistungskühen einen deutlich besseren Besamungserfolg.
Einschränkend ist festzustellen, dass eine verlängerte Laktation aber nicht die vorrangige Lösung bei schlechten Besamungsraten sein kann. Strikte Gesundheitsüberwachung sowie stabile und hohe Trockenmasseaufnahme vor und nach der Kalbung sind sehr viel wichtiger für den Besamungserfolg.
Herantasten an das Mögliche
Bei der Umstellung auf eine verlängerte Melkperiode gibt es nicht das eine, konkrete, zu hundert Prozent richtige Vorgehen. Das Wichtigste ist, tierindividuelle Entscheidungen zu treffen. Empfehlenswert und in der Praxis bewährt ist ein Herantasten mit wenigen Kühen ab der zweiten Laktation. Hier sind bereits Daten zum Laktationsverlauf der Kuh vorhanden. Falls die Kuh zu schnellem Milchabfall neigt oder gesundheitliche Probleme hatte, sollte keine verlängerte Laktation angestrebt werden. Eine Verfettung gegen Ende der Laktation mit all ihren negativen Folgen wäre vorprogrammiert.
Gute Voraussetzungen für eine verlängerte Laktation bringen gut in Milch stehende Kühe mit, die in der Vorlaktation bereits eine hohe Persistenz gezeigt haben und mit mehr als 25 Litern pro Tag trockengestellt wurden und die nicht zum Verfetten neigen (BCS etwa 2,75). Auch eine gesunde Portion an „Kuhverstand“ und Bauchgefühl sollte man zu Rate ziehen.
Mehr zu diesem und weiteren Themen der Milchviehhaltung auf kuhverstand.de
| Christian Völkner ist Podcaster und Gründer der Online-Community kuhverstand.de |
- Bildquellen -
- 2302 W01 Melkroboter Agrarfoto Com: agrarfoto.com