BauernZeitung: Wir stehen nach wie vor eher am Anfang einer globalen Pandemie. Die humanen wie wirtschaftlichen Folgen sind kaum absehbar. Was läuft trotz Krise gut, was falsch?
Pernkopf: Es gibt einen nationalen Schulterschluss über die Generationen und Parteigrenzen hinweg, um die Krise gemeinsam zu meistern. Österreich hat rasch und entschlossen gehandelt. Die Maßnahmen der Bundesregierung unter Kanzler Kurz werden sehr breit mitgetragen. Das ist nicht selbstverständlich und wird uns auch besser durch diese Krise bringen als andere Länder wie Italien, Spanien und Großbritannien.
Manche Menschen wachsen derzeit über sich hinaus.
Ja, besonders in den Kliniken, beim Roten Kreuz, in der Pflege, im Handel. Sie alle und nicht zuletzt die Bäuerinnen und Bauern garantieren unser Überleben. Denn die Handelskonzerne stellen die Regale auf. Aber es sind die Bauern, die diese Regale füllen.
Wer ist vom „Lockdown“ stärker betroffen, Städter oder Landbewohner?
Das darf man nicht gegeneinander ausspielen. Alle müssen gemeinsam durch die Krise. Ich möchte mit niemandem tauschen müssen, der die Krise in einer kleinen Wohnung in der Großstadt aussitzen muss. Aber gerade in Zeiten von Home-Office und Unterricht daheim am Laptop zeigt sich, dass es in vielen Regionen immer noch an schnellem Internet mangelt.
Welche Lehren kann unsere Gesellschaft aus der Corona-Krise mit Sicherheit ziehen?
Dass Solidarität ein hoher Wert in unserer Gesellschaft ist, ebenso wie Verantwortung für Schwächere, Verletzliche. Und dass man nicht alles einfach nur mit dem Rechenstift bewerten darf. Oft wurde etwa kritisiert, wir hätten in Österreich zu viele Spitalsbetten. Diese erweisen sich nun als unschätzbarer Vorteil. Was hilft hohes Wirtschaftswachstum, wenn es im Gesundheitswesen krankt?
Und im Agrarbereich? Welchen Stellenwert haben die Bauern in der Krise?
Sie stellen unsere Versorgung sicher, sind also Schlüsselkräfte einer systemerhaltenden Infrastruktur im Land. Ohne Bauern keine Lebensmittel, so einfach ist das. Für eine finale Einschätzung ist es noch viel zu früh. Vieles wird von der Länge und den Auswirkungen des globalen „Shutdown“ in den nächsten Wochen und Monaten abhängen. Die ganze Welt kämpft nun gegen das Virus, auch wenn wir die kritische Situation derzeit besser im Griff haben als andere Länder. Aber was wir sehen ist: unsere heimische, regionale Landwirtschaft ist wesentlich mehr wert als der billigste Preis in den Flugblättern der Handelskonzerne.
Hat Corona Österreich politisch verändert?
Viele Dinge, die vor wenigen Wochen noch wichtig erschienen, sind jetzt klein und unbedeutend geworden. In der Krise rücken wir zusammen. Das stimmt mich positiv.
Manche befürchten, dass mit den wachsenden Problemen autoritäre Tendenzen überhandnehmen könnten. Sie auch?
Nein, die Regierung stützt sich bei allen Maßnahmen auch auf Gesundheitsexperten, die strenge Einschränkungen nicht aus Jux und Tollerei empfehlen. Der überwiegende Teil der Bevölkerung trägt diese mit, damit wir bald wieder zu einem geordneten Wirtschafts- und Gesellschaftsleben zurückkehren können. Für Corona-Partys hat niemand Verständnis.
Werden wir weiterhin nach Brüssel schielen? Solidarisch zeigen sich die EU-Länder derzeit ja nicht wirklich.
Stimmt, die EU spielt derzeit eine eher unglückliche Rolle. Aber das liegt weniger an den europäischen Institutionen, sondern mehr am nationalen Egoismus einzelner Mitgliedsstaaten, wenn etwa ein LKW mit wichtigen medizinischen Gütern tagelang vom deutschen Zoll aufgehalten wurde. So etwas kann und darf nicht passieren. Generell wird Europa weiter eine gemeinsame Richtung gehen, die Frage ist eher, ob alle mit der gleichen Geschwindigkeit unterwegs sein werden…
Gibt es ökosoziale Antworten für die Nach-Corona-Zeit?
Jede Krise birgt auch Chancen. Wir müssen nun alle die Wirtschaft wieder rasch ankurbeln und dabei vieles neu andenken. Das wiederum ist eine Riesenchance für unsere ökosozialen Ideen. Alles immer nur kurzfristig nach dem kleinsten Preis und der größten Rendite zu bewerten, kann nicht der Weg sein. Regionale Produktion vor Ort gibt Sicherheit, ist besser für die Umwelt und schafft Arbeitsplätze bei uns. Dafür müssen wir gezielt ökonomisch wie ökologisch nachhaltige Betriebe und Branchen unterstützen, nicht mit der Gießkanne und vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen. Amazon und Co dürfen nicht zu den Gewinnern dieser Krise werden.
Wo braucht es künftig noch Globalisierung, wo auf keinem Fall?
Internationale Zusammenarbeit ist wichtig und ein Garant für den Frieden. Wir werden der Pandemie nur mit vereinten Kräften Herr werden. Einen Impfstoff dagegen werden wir dann am schnellsten finden, wenn weltweit die klügsten Köpfe gemeinsam daran arbeiten. Aber wichtige Erzeugnisse müssen wir wieder in die eigenen Hände bekommen. Wir dürfen weder von Medikamenten von Asien, Techniken aus Übersee oder auch Agrarprodukten von egal wo abhängig sein.
Welche Agrardebatten, die man zuletzt geführt hat, sind durch die Folgen dieser Pandemie endgültig vom Tisch?
Einsparungen auf dem Rücken der Bauern, etwa beim EU-Agrarbudget, gefährden im Krisenfall unser aller Versorgungssicherheit. Und auch die ständigen Liberalisierungstendenzen – Stichwort „Mercosur“ – verstummen jetzt hoffentlich. Die EU muss sich ihrer eigenen Stärken bewusst werden, selbstsicher auftreten und mit Klimazöllen an den Außengrenzen unsere hohen Standard absichern.
Der Umstieg auf Home-Office hat über Nacht einen massiven Schub in Sachen Digitalisierung bewirkt. Wie sehr wird das auch künftig unseren beruflichen Alltag bestimmen?
Das Internet ist längst wichtig wie Strom, ohne den nichts geht, privat wie im Beruf. Das erzwungene Home-Office samt Videotelefonie war für viele vor zwei Monaten undenkbar. Wir stehen am Beginn einer eines Paradigmenwechsel in der Arbeitswelt. Allein der Wegfall vieler Berufspendler an nur einem Arbeitstag pro Woche erspart enorme Mengen an CO2. Von überflüssigen Flugreisen gar nicht zu reden. Richtig umgesetzt, kann diese Digitalisierung ein Mehr an Lebensqualität für alle bedeuten, wenngleich viele Arbeiten weiterhin nicht via Home-Office erledigt werden können.
Ist Corona der Startschuss für einen massiven Wandel unserer Wirtschaft?
Zweifellos. Wir müssen wieder die Produktion systemrelevanter Güter von Medizin bis Agrarerzeugnissen ins Inland, nach Europa, zurückholen und absichern. Das macht uns weniger verletzlich. Was 1951 bei der Gründung der EG Kohle und Stahl waren, um weitere Kriege zu verhindern, müssten heute Medikamente, Schutzmasken und Lebensmittel sein. Für Erdöl gibt es eine verpflichtende Lagerhaltung, das müssen wir wieder für die genannten und andere Güter einführen, auch im Agrarbereich. Ein absoluter Neubeginn.
Was bedeutet die Corona-Krise für Sie persönlich?
Die Mehrzahl von uns hat eine solche Krise nie zuvor erlebt. Sie ist verbunden mit enorm viel Arbeit. Nun Zeit mit Menschen zu verbringen, die man liebt, ist ein Geschenk.
Interview: BERNHARD WEBER
Zur Person
Dr. Stephan Pernkopf , LH-Stellvertreter in Niederösterreich und hier auch Obmann des Bauernbundes, ist seit 2012 Präsident des Ökosozialen Forum Österreich. Das Forum setzt sich für die Umsetzung der Ökosozialen Marktwirtschaft auf regionaler, nationaler und globaler Ebene ein. www.ökosozial.at