„Tierwohl schmeckt man nicht“

Warum das Image des AMA-Gütesiegels leidet und welche Wege die neue Geschäftsführerin der AMA-Marketing GesmbH, Christina Mutenthaler, in der Kommunikation einschlägt, um aus der Defensive zu kommen.

BauernZeitung: Trägt die AMA-Reform auch Ihre Handschrift?
Mutenthaler: Mit der AMA-Gesetzesnovelle hat der Gesetzgeber im Sinne unserer Bäuerinnen und Bauern gehandelt. Dank dieser neuen Regelungen haben wir bald die Möglichkeit, einen neuen, stärkeren Gesamtauftritt für die Landwirtschaft zu gestalten und ihn vor allem mit zeitgemäßen Marketinginstrumenten umzusetzen. Das ist mir ganz wichtig. Überhaupt sind zeitgemäße Marketinginstrumente fixe Bestandteile einer Weiterentwicklung. Wir werden das AMA-Gütesiegel mit seiner Qualitäts- und Herkunftssicherung weiter verbessern und deutlich zukunftsorientierter ausrichten. Das AMA-Gütesiegel ist die wichtigste Marke der Landwirtschaft. Durch die Ausweitung der Produktsparten haben wir die Chance, unsere Marke weiter zu stärken. Wir sehen uns in der Taktgeberrolle und wir wollen diese Rolle zukünftig viel stärker leben.

Die AMA-Beiträge werden künftig anhand der Fläche und Tierzahl erhoben. Was sind die Vorteile im neuen System?
Bisher waren unsere AMA-Marketing-Aktivitäten und die Qualitätssicherung fokussiert auf Milch, Fleisch, Ei, Obst, Erdäpfel. Bei Getreide, Mais oder Almerzeugnissen haben wir bis dato keine Marketingmaßnahmen und auch keine Qualitätssicherung vornehmen können. Mit dem neuen Zwei-Säulen-Modell mit Produkt- und Flächenbeiträgen können wir künftig für alle wichtigen Themen, wie etwa die Versorgungssicherheit in Österreich, umfassendes Agrarmarketing und eine Qualitätssicherung umsetzen. Oft haben wir Anfragen bekommen, warum es das AMA-Gütesiegel für Getreide nicht gibt, denn Brot und Gebäck sind doch ein Kulturgut. Mit dem neuen Beitragssystem können wir mit den Flächenbeiträgen die wichtigen Leistungen kommunizieren, die Landwirte jeden Tag für die Umwelt, für das Klima, für die Biodiversität erbringen.

Ein konventioneller Ackerbauer hat uns geschrieben und gefragt: “Glauben Sie, dass ein Getreidebauer einen Cent mehr bekommt, weil die AMA jetzt Werbung betreibt?” Ihre Antwort?
Selbstverständlich, ich bin davon zu 100 Prozent überzeugt. Das AMA-Gütesiegel ist das wichtigste Marketinginstrument für unsere agrarischen Produkte. Es bringt eine klare und transparente Differenzierung aufgrund von Qualitätskriterien und nachvollziehbarer Herkunft. Dadurch schaffen wir bei Konsumenten Bewusstsein für regionale Rohstoffe. Gerade bei Getreide sehe ich großes Potenzial. Vorher waren Getreidebauern von allen AMA-Marketing-Anstrengungen ausgenommen. Künftig wird Getreide von unseren Marketingmaßnahmen profitieren, wie Milch und Fleisch bereits seit 25 Jahren.
 
Getreide wird international gehandelt. Was bringt ein nationales Qualitätssiegel, wenn der Weizen nach Italien verkauft wird?
Ein Grundpfeiler der EU ist der freie Markt und Warenverkehr. Unsere Aufgabe ist es jetzt, die Einzigartigkeit und Besonderheit unseres Getreides, unserer Sorten und Produkte herauszuarbeiten und so aufzubereiten, dass der Konsument dessen Mehrwert und die Herkunft erkennt.

Muss ein konventionell wirtschaftender Ackerbauer im Vergleich zur jetzigen Bewirtschaftung viel ändern?
Darüber beraten ab Jänner die Experten. Im Juni wollen wir unseren Landwirten die Anforderungen für das AMA-Getreidesiegel bei Getreide kommunizieren, damit sie sich bis zur Herbstaussaat gut vorbereiten können. Inhaltlich kann ich nicht vorgreifen, unsere Richtlinien werden aber stark auf den ÖPUL-Maßnahmen aufbauen.

Derzeit vergeht kein Monat ohne Tierschutzskandal. Oft sind es AMA-Betriebe. Wie kann das passieren?
Dieses Thema beschäftigt uns und macht uns sehr betroffen. Insgesamt nehmen 44.000 Landwirte am AMA-Gütesiegel teil. In aller Regel arbeiten diese Betriebe sorgfältig nach den vorgegebenen Richtlinien. Wenn aber auch nur in einem Betrieb Missstände aufgezeigt werden, bringt das die gesamte Branche in Verruf. Das ist ärgerlich! Andere Landwirte, die Verarbeiter und auch die AMA-Marketing geraten dann medial unter Beschuss. Sehr oft stecken persönliche Schicksale hinter den Missständen. Trotzdem sind diese unentschuldbar. Wir verurteilen eine nicht ordnungsgemäße Tierhaltung vehement und verhängen Sanktionen, bis hin zum Ausschluss aus dem AMA-Gütesiegel-Programm. Allein heuer mussten wir leider 45 Betriebe ausschließen. Unser Kontrollsystem funktioniert auf drei Stufen: den Eigenkontrollen, die jeder Betrieb mittels Checkliste durchführt, dazu externen Kontrollen durch akkreditierte Kontrollstellen und als dritte Stufe die Überkontrolle, also die Kontrolle durch unsere eigenen Kontrollorgane.

Braucht es noch mehr Kontrollen?
Österreichweit findet alle paar Minuten eine AMA-Gütesiegel-Kontrolle statt. Das sind jährlich rund 15.000 Kontrollen bei unseren landwirtschaftlichen Erzeugern. Eine 100 Prozent-Sicherheit wird man aber nie schaffen, weder aus sachlicher Sicht noch geht sich das wirtschaftlich aus. Unsere AMA-Kontrollen sind risikobasiert. Das heißt, dass ein Betrieb, in dem es Mängel gegeben hat, künftig öfter kontrolliert wird. So gehen etwa auch Lebensmittelinspektoren vor. Wir werden in Zukunft viel stärker auf die Möglichkeiten der Digitalisierung setzen und mit Kontrollergebnissen aus dem Veterinärbereich vernetzen. Das beste Kontrollsystem wird aber nicht verhindern können, dass Einzelne aus der Reihe tanzen. Verhindern können das nur die Betriebe selbst. 

Solche Skandale sind ein Schaden für die Marke. Gibt es da künftig eine andere Strategie?
Wir nehmen die Kritik sehr ernst und denken jeden Tag darüber nach, was wir besser machen können. Das AMA-Gütesiegel ist mit einer Bekanntheit von über 90 Prozent die stärkste Marke der Land- und Lebensmittelwirtschaft. Wir müssen alles daransetzen, diese erfolgreich weiterzuentwickeln und verlorenes Vertrauen einiger Konsumenten in die Marke zurückzugewinnen. Laut aktuellen Umfragen vertrauen 70 Prozent aller Österreicher dem AMA-Gütesiegel. Die allgemein negative Stimmung sowie das Misstrauen gegenüber öffentlichen Institutionen schwächen diesen Topwert aber ab. Generell unterliegt das Verständnis von Qualität einem Wandel. Qualität hat früher das Endprodukt, produziert nach entsprechenden Hygienestandards und mit wertvollen Inhaltsstoffen, gemeint. Heute wird dieser Qualitätsbegriff viel weiter gefasst. Die Konsumenten wollen nun wissen, wie es mit der Tierhaltung, mit Klima und mit Nachhaltigkeit aussieht. Sie wollen wissen, wie die Tiere gehalten werden und interessieren sich für die gesamte Wertschöpfungskette. Nur mit transparenter Kommunikation werden wir es schaffen, Glaubwürdigkeit zu erzielen. 

Stichwort Teuerungswelle bei Lebensmitteln. Greifen die Konsumenten nun weniger zu AMA-Gütesiegel-Produkten?
Unsere RollAMA-Daten sowie eine Sonderanalyse zeigen: Die Konsumlaune ist gedämpft, die Einkaufsfrequenz lässt nach. Die Haushaltsausgaben sind im Vergleich zum Vorjahr um nur ein Prozent gesunken, aber die Einkaufsmenge ist um neun Prozent zurückgegangen. Jeder dritte Euro wird für Aktionsware ausgegeben. Wir sehen, dass die Teuerungswelle und die Inflation derzeit den größten Einfluss auf das Kaufverhalten haben. Aber 80 Prozent der Konsumenten ist die Tierhaltung wichtig. Jetzt muss es also gelingen, dass sie sich nicht nur höhere Tierhaltungsstandards wünschen, sondern tatsächlich auch bereit sind, einen fairen Preis dafür zu bezahlen. Denn eines wird sich nicht ausgehen: Ständig höhere Tierhaltungsstandards zu verlangen, aber den Bauern dafür keinen fairen Preis zu bezahlen. 

Wie lässt sich die Kauflust für Tierwohl- oder Premiumprodukte steigern?
Fleisch etwa ist ein preissensibles, aber auch sehr preisgünstiges Lebensmittel geworden. Immerhin sind wie erwähnt 80 Prozent der Konsumenten an mehr Tierwohl interessiert. Unser Ansatz muss nun lauten: Volle Transparenz. Einerseits mit einer klaren Kennzeichnung beim AMA-Gütesiegel und andererseits in der Kommunikation. Und damit meine ich nicht Werbung, sondern Informationen. Wir werden neue zeitgemäße Kommunikationsformate schaffen. Mit “haltung.at” haben wir schon gestartet, um aufzuzeigen wie sich die Landwirtschaft entwickelt hat und wie die unterschiedlichen Haltungsformen oder auch die Lebensmittelproduktion aussehen. Dabei kommen die Bäuerinnen und Bauern selbst zu Wort. Wirklich schade ist, dass man Tierhaltung und Tierwohl nicht schmeckt! Wir haben nämlich einerseits moralische Einstellungen zur Tierhaltung und gleichzeitig kulinarische Erwartungen. Nur, Moral schmeckt man leider ebenfalls nicht. Es ist eher ein gutes Gefühl und ein gutes Gewissen, die zunehmend wichtiger für den neuen Qualitätsbegriff werden. Würde man Tierhaltung schmecken, würde die Kauflust steigen.

Wann kommt die Kennzeichnung der Haltungsformen? 
Wir haben sämtliche Vorbereitungen getroffen und hoffen auf eine Umsetzung im ersten Halbjahr 2023. Wichtig ist uns eine Branchenlösung für heimische wie auch importierte Produkte.

Für die Umsetzung braucht es Partner, allen voran den Lebensmittelhandel…
Wir sehen uns als Klammer über die Wertschöpfungskette hinweg und sprechen selbstverständlich mit dem Handel, genauso wie mit NGOs. Wenn wir unsere österreichische Landwirtschaft erhalten möchten, dann müssen wir sie gemeinsam weiterentwickeln. Dabei wird die AMA-Marketing verstärkt die Taktgeberrolle einnehmen. Ein erstes Zeichen möchte ich Anfang Jänner setzen und alle Partner und Steakholder an einen Tisch bringen. Denn nur gemeinsam gestalten wir die Zukunft.

 

Zur Person
Mag. Christina Mutenthaler (40) war zuletzt Geschäftsführerin des “Netzwerk Kulinarik” und davor im Regional-Marketing und als Projektmanagerin verschiedener Institutionen tätig.

- Bildquellen -

  • : AMA-Marketing
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