Warum die Tierwohldiskussion falsch geführt wird, welche Betriebe den Strukturwandel überdauern werden und wieviel Platz die oberösterreichische Vielfalt in der neuen Agrarpolitik haben muss: Darüber hat die BauernZeitung mit Agrarlandesrat und Bauernbund-Landesobmann Max Hiegelsberger gesprochen.

Beginnen wir mit einem aktuellen Thema. In Oberösterreich wurde im Juni ein Fall von Brucellose festgestellt. Für den betroffenen Betrieb kann so eine Situation existenzgefährdend sein. Wie kann da geholfen werden und was kann seitens der Politik gemacht werden?

HIEGELSBERGER: Wesentlich ist, dass wir uns von den Kontrollen nicht zurückgezogen haben und somit alle Vorkehrungen getroffen haben, damit sich die Seuche nicht ausbreitet. Der große finanzielle Tierschaden  beim erstinfizierten Betrieb wird über das Tierseuchengesetz abgegolten. Beim darüberhinausgehenden Einkommensentfall wird das Land Oberösterreich den Betrieb unterstützen.

Der züchterische Wert der Tiere und der Erwerbsschaden werden durch das Tierseuchengesetz nicht abgedeckt. Wird das durch die geplante Tierversicherung besser?

HIEGELSBERGER: Da haben wir als Landesagrarreferenten Anpassungen in zweierlei Hinsicht gefordert. Zum einen sollen die Entschädigungsbeiträge erhöht werden. Zweitens soll eine Tierversicherung nach dem Modell der Hagelversicherung öffentlich bezuschusst und damit für die Landwirte besser leistbar werden. Beide Forderungen sind in Verhandlung.

Gerade tierhaltende Betriebe stehen unter Druck. Oft sind es gar nicht die gesetzlichen Auflagen, die mehr werden, sondern Regelungen, die Handel und Verarbeiter vorgeben oder von der Gesellschaft verlangt werden – Stichwort Tierwohl. Wie und wo soll denn da künftig noch Tierhaltung stattfinden?

HIEGELSBERGER: Tierwohl wird nur in einer Kategorie diskutiert. Es werden Auflagen verlangt, aber es gibt keine Preiszuschläge für erfüllte Auflagen. Das wird genau jene Betriebe aus der Produktion drängen, die die Gesellschaft gerne drin haben möchte. Kleine Betriebe können sich solche Investitionen nicht leisten. Tierwohl muss gesamtheitlich diskutiert werden.

Und wie soll man das schaffen?

HIEGELSBERGER: Die zusätzlichen Auflagen dürfen nicht Standard werden. Wenn sie in Qualitätsprogramme mit besseren Preisen gegossen werden,  ist das der richtige Weg.

Es muss ein Vertragswerk für die Landwirte geben. Dann können Bauer und Bäuerin überlegen, ob sich eine Investition auszahlt.

Gesellschaftlichen Druck gibt es auch im Pflanzenschutz. Das Verbot der Neonicotinoide ist auch der emotionalen Diskussion geschuldet. Wie will man da noch sachliche Entscheidungen treffen?

HIEGELSBERGER: Bei Themen, die von Laien fachlich schwer zu beurteilen sind, verlässt man sich normalerweise auf wissenschaftliche Erkenntnisse; zum Beispiel in der Medizin bei der Zulassung von neuen Arzneimitteln. Beim Pflanzenschutz wird die Wissenschaft interessanterweise völlig ausgeblendet. Die Schweiz hat gezeigt, dass man auch sachlich diskutieren kann. Dort wurde zum Beispiel gegen ein Glyphosatverbot gestimmt. Österreich hat dafür gestimmt.

Bei den Neonicotinoiden hat Österreich auch für ein Verbot gestimmt. Weil es EU-weit eine Mehrheit gab, werden sie jetzt in der EU verboten.

HIEGELSBERGER: Aufgrund der Gesamtsituation war keine differenzierte Diskussion mehr möglich. Diese Gefahr sehe ich auch bei anderen Themen. In der EU verbieten wir es, aber beim Import ist alles möglich. Das ist eine halbherzige Entscheidung.

Muss die Landwirtschaft auch emotionaler werden?

HIEGELSBERGER: Absolut. Bauer und Bäuerin sind mit ihrem Betrieb die besten Werber. Sie müssen mit den Konsumenten in Kontakt treten.

Auch die Gemüsebauern sind unter Druck. Die Bauern brauchen dringend höhere Saisonarbeiter-Kontingente. Warum tut sich da nichts?

HIEGELSBERGER: Da ist die Diskussion ähnlich wie beim Pflanzenschutz. Wir lassen die notwendigen Helfer nicht herein. Wenn dann aber die Produkte nicht mehr im eigenen Land produziert werden können, importieren wir sie aus Ländern, die unter unseren ökologischen und sozialen Standards hergestellt werden.

Derzeit wird die neue Agrarpolitik nach 2020 verhandelt. Oberösterreich hat eine vielfältige Landwirtschaft von Ackerbaubetrieben in Gunstlagen bis zu Bergbauernbetrieben. Wird in der neuen GAP für alle Betriebe Platz sein?

HIEGELSBERGER: Es wird jedenfalls mehr Platz sein müssen als in der Vergangenheit, weil die Landwirtschaft vielfältiger geworden ist. Die Programme der GAP sollen Handlungsanleitung sein und Möglichkeiten aufzeigen. Wenn wir unsere Ernährungssouveränität behalten wollen, müssen alle Sparten Platz haben. Das muss auch aus österreichischer Sicht ein wesentlicher Faktor bei der Programmerstellung sein.

Die flächendeckende Landwirtschaft zu erhalten ist das große Ziel. Ist das schaffbar?

HIEGELSBERGER: Das ist auch eine Frage, in welchen Preiskategorien unsere Produkte angeboten werden. Wenn ein Ochs zwei Sommer auf der Alm steht und das Fleisch kostet dasselbe als von einem Ochs, der im Stall gefüttert wurde, stimmt etwas nicht. Wir müssen uns entweder dazu bekennen, dass es für diese Bewirtschaftungsform deutlich mehr Geld gibt oder es braucht andere Preise. Zum zweiten wird die Vertragslandwirtschaft ein vielversprechendes Zukunftsszenario werden.

Trotzdem wird es den Strukturwandel auch künftig geben. Welche Betriebe werden übrig bleiben?

HIEGELSBERGER: Das werden jene sein, die ihre Chance im Einkommen aus der Landwirtschaft sehen. Das hat wenig mit Lagen oder Größen zu tun, sondern vielmehr damit, wie die Betriebsführung ausgerichtet wird – wie sehr unternehmerisch gedacht wird und wieviel Marktverständnis für das Produkt vorhanden ist. Nur zu produzieren ist zu wenig. Die Bildung ist für mich eine wesentliche Voraussetzung für den Betriebserfolg.

Welche Aufgabe hat die bäuerliche Interessenvertretung auf diesem Weg?

HIEGELSBERGER: Die bäuerliche Interessenvertretung ist überall in den Gesetzgebungsprozess eingebunden. Da gibt es auch viele Bereiche, die auf den ersten Blick nicht die Landwirtschaft betreffen, aber trotzdem große Auswirkungen darauf haben – die Steuerpolitik etwa oder die Sozialversicherung. Da wird sichtbar, wie wichtig die politische Arbeit des Bauernbundes ist.

Wenn es um die Weiterentwicklung geht, ist die Interessenvertretung vor allem in der Beratung und Begleitung gefragt.

Ein Gutteil des Einkommens der Bäuerinnen und Bauern kommen aus Förderungen. In der neuen GAP sind Kürzungen geplant. Wer wird denn draufzahlen?

HIEGELSBERGER: In Österreich ist der Anteil von Zahlungen in der zweiten Säule (Anm.: siehe Infokasten) viel höher als in anderen EU-Staaten. Deshalb würde uns die geplante Reduktion von 15 Prozent in dieser Säule viel mehr treffen als die vier Prozent Reduktion in Säule eins. Gerade in Säule zwei geht es aber um gesamtgesellschaftliche Leistungen. Dort finden wir die Ausgleichszahlungen für Bergbauernbetriebe oder das Umweltprogramm. Deshalb gehe ich davon aus, dass es zu keinen Kürzungen in diesem Bereich kommen wird.

„Ich gehe davon aus, dass es in der Ländlichen Entwicklung keine Kürzungen gibt.“

Neben der GAP ist ein weiterer Schwerpunkt des österreichischen Ratsvorsitzes die Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken. Man will die kleinen Bauern vor den großen Konzernen schützen. Werden die bisher gesetzten Maßnahmen ausreichen?

HIEGELSBERGER: Das kann nur ein erster Schritt sein. Es braucht weiters ein europäisches Bekenntnis, Angebot und Nachfrage besser zusammenzuführen.

Was heißt das?

HIEGELSBERGER: Nur zu produzieren für irgendwelche Absatzmärkte ist in dem volatilen Umfeld eine Gefahr. Man muss die Produktion abstimmen, inwieweit man zusätzliche Mengen auf den Markt bringen will. Sonst gibt es Marktverwerfungen.

Wäre eine Branchenorganisation ein geeigneter Ansatz, um die Erzeugerseite zu stärken?

HIEGELSBERGER: Die Industriellenvereinigung zeigt vor, was mit einer Bündelung von Interessen möglich ist. Auch in der Landwirtschaft muss mehr aus einem Guss
kommen.

Handelsabkommen sind ein Weg, um Produkte ins Ausland zu verkaufen und so die Einkommen abzusichern. Unter vielen Bauern lösen Handelsabkommen aber Unbehagen aus. Warum?

HIEGELSBERGER: Diese Unsicherheit hat vor allem die mediale Diskussion rund um TTIP bewirkt. Wesentlich ist, zwischen den Handelsabkommen zu unterscheiden. Wir brauchen auch in der Landwirtschaft Exportmärkte, weil sonst viele Produkte nicht in der Menge abgesetzt werden könnten. CETA ist zum Beispiel ein auch für die Landwirtschaft gutes Abkommen oder JEFTA, das Abkommen mit Japan.

Anders ist es mit dem Mercosur-Abkommen. Da gibt es keine Gesamtsicht, sondern es steht die Automobilindustrie im Vordergrund. Das Abkommen hätte dramatische Auswirkungen auf die europäischen
landwirtschaftlichen Märkte.

Ist die Lobby für die Landwirtschaft europaweit stark genug?

HIEGELSBERGER: Ich denke, dass die Lobby für die Landwirtschaft grundsätzlich sehr gut ist und auch stärker wird. Die Landwirtschaft bietet viel mehr an Faktorqualität als die reine Rohstoffproduktion, also zum Beispiel Umweltfaktoren wie die Wasserspeicherung oder der CO2-Filter. Das erkennt man inzwischen auch in Europa. In dem Sinne gibt es für die Landwirtschaft große Chancen.

Die neue GAP nach 2020

Mehr Leistung für weniger Geld?

Der am 1. Juni 2018 vorgelegte Entwurf von Agrarkommissar Phil Hogan für die Gemeinsame Agrarpolitk (GAP) nach 2020 wird von Österreich stark kritisiert. Ebenso stößt weiterhin der Budgetentwurf auf harte Kritik, weil weniger Geld vorgesehen ist. Die Kürzung der Mittel für die Ländliche Entwicklung würde überdurchschnittlich hoch ausfallen. In Österreich ist der Anteil von Zahlungen für Säule II so hoch wie kaum in einem anderen Land. In die Säule II (Ländliche Entwicklung) fallen Maßnahmen wie die Ausgleichszahlungen für benachteiligte Berggebiete, die Bio-Förderung, Zahlungen für höhere Tierwohl-Standards sowie viele ökologische Maßnahmen zum Klimaschutz, Bodenschutz und zur Artenvielfalt (ÖPUL). Während des österreichischen Ratsvorsitzes wird die GAP weiterverhandelt. Dass es heuer zu einem Abschluss kommt, ist unwahrscheinlich. Man will aber den groben Rahmen abstecken.

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  • Web Hiegelsberger: BZ/Pichler
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AUTORInterview geführt von: Anni Pichler
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