Breite Allianz für aktuelle Herausforderungen gefragt

Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig im Interview über Wölfe und Herdenschutz, den Schutzwald, Lebensmitteltrends und das umstrittene Burger-Video von Bundeskanzler Nehammer.

Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig

Es ist jetzt gut ein Jahr her, dass Sie die Wolfproblematik auf EU-Ebene zum Thema gemacht haben. Was hat sich seither getan?

TOTSCHNIG: Fakt ist, der Wolf ist in Europa nicht mehr vom Aussterben bedroht und vermehrt sich mittlerweile pro Jahr um 30 Prozent. Der Wolf macht vor Landesgrenzen nicht halt. Es braucht daher eine länder-übergreifende Betrachtung sowie eine Neubewertung des Schutzstatus. Deshalb ist es so wichtig, dass es auf EU-Ebene Lösungen gibt. Die EU-Kommission muss erkennen, dass ein ‚weiter wie bisher‘ bedeutet, dass unsere Bäuerinnen und Bauern die Alm- und Weidebewirtschaftung einstellen. Nach unserem Vorstoß im Herbst 2022 sind sich mittlerweile alle der Landwirtschaftsministerinnen und -minister einig, dass die Bestandszahlen, auf denen die EU-Richtlinie beruht, angepasst werden müssen. Jetzt ist die EU-Kommission am Zug. 

Wie realistisch ist es, dass der Schutzstatus des Wolfs gelockert wird?

TOTSCHNIG: Der Schutz des Wolfs ist in der Flora-Fauna-Habitat EU-Richtlinie geregelt. Diese wurde vor 30 Jahren beschlossen und findet in Österreich seit 1995 Anwendung. Und damals gab es in Österreich noch keine Wölfe. Bei anderen Richtlinien ist es gang und gäbe, dass sie evaluiert und angepasst werden, wenn sich die Umstände ändern. Es ist an der Zeit, dass das auch bei der Flora-Fauna-Habitat Richtlinie passiert. Ich werde solange auf EU-Ebene weiterkämpfen, bis dies der Fall ist. Je größer die Allianz ist, desto realistischer ist es. 

Ist die Abschussverordnung der Tiroler Landesregierung, die erstmalig die gesetzliche Grundlage für den Abschuss von Schadwölfen ermöglicht, für Sie ein Erfolg?

TOTSCHNIG: Ja. Wir brauchen uns nur die Zahlen anschauen: Rund 140 Nutztiere wurden bis Mitte September von Wölfen gerissen – im Jahr 2022 waren es 355. Das zeigt, dass die Verordnung Wirkung zeigt. Mein Dank gilt hier vor allem Landeshauptmann Anton Mattle und Landeshauptmann Stellvertreter Josef Geisler.  

Kritiker der Wolfsabschussverordnungen sagen, dass Abschüsse von Schadwölfen nichts bringen und man auf Herdenschutz setzen soll. Was sagen Sie ihnen?

TOTSCHNIG: Durch die Entnahme von Schadwölfen entwickeln diese wieder eine natürliche Scheu vor Menschen und Nutztieren. Das ist entscheidend. In Tirol laufen einige Projekte zum Herdenschutz. Ergebnis: Flächendeckender Herdenschutz funktioniert auf unseren kleinstrukturierten Almen nicht. Entweder ist es im steilen Gelände gar nicht möglich, oder so teuer, dass es sich nicht lohnt. Wir sind froh, dass Tirol diese Projekte macht, daraus können wir sehr viel Wissen ableiten. Aber gerade diese Almen und Weiden sind die Grundlage für den Tourismus und wertvolle Biodiversitätsflächen, die gleichzeitig zu einem hohen Tierwohlstandard für hunderttausende Tiere allein in Österreich, beitragen. Die Sicherheit der Bevölkerung und unserer Nutztiere vor Wölfen, die nicht mehr vom Aussterben bedroht sind, muss eine Selbstverständlichkeit sein.

In vielen Teilen Tirols sind die Unwetterschäden in den Wäldern noch deutlich sichtbar. Wie hilft der Bund dabei?

TOTSCHNIG: Sturmereignisse haben 600.000 Festmeter Schadholz und einen Schaden im Wert von 30 Millionen Euro auf 2.000 Hektar Wald verursacht. Insbesondere zur Sicherung des Schutzwaldes und der Wiederbewaldung hat mein Ressort zusätzlich zu den Mitteln aus dem Waldfonds und dem Land Tirol rund 4,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Wir sind in engem Austausch mit dem Land Tirol – was zum Beispiel die Sicherungsmaßnahmen durch die Wildbach- und Lawinenverbauung, aber auch die Notwendigkeiten der Wiederaufforstung betrifft – um auch weiterhin unterstützen zu können. 

Man hört andauernd von neuen Lebensmittel-Trends wie Laborfleisch. Werden wir bald nur mehr Fleisch aus dem Reagenzglas essen?

TOTSCHNIG: International werden riesige Summen in diese Technologien investiert. Ich sehe diese Entwicklung mit großer Sorge. Laborfleisch aus der Fabrik, das unter sterilen Bedingungen mit vielen künstlichen Zusätzen und Energie gezüchtet wird, hat nichts mit natürlichem Fleisch zu tun. Hier werden Inhaltstoffe und Methoden eingesetzt, deren Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit genauestens untersucht werden müssen. Deshalb brauchen wir eine klare Kennzeichnung, damit Konsumentinnen und Konsumenten eindeutig erkennen können, ob es sich um künstliches Zellgewebe aus dem Labor oder um ein natürliches Lebensmittel handelt. Fleisch muss Fleisch bleiben, so wie das Wort Milch nur für natürliche Milch verwendet werden darf. Es bedarf einer klaren Kennzeichnung, irreführenden Bezeichnungen muss konsequent entgegengetreten werden. Hier werde ich für eine breite Allianz in Brüssel kämpfen.

Der Trend geht auch in Richtung Soja- und Haferdrinks. Es wird oft behauptet, dass Milch ungesund sei. Was meinen Sie dazu?

TOTSCHNIG: Wir schauen daheim auf eine gesunde, ausgewogene Ernährung. Und da gehört Milch, vor allem für meine zwei kleinen Söhne, unbedingt dazu. Bei diesem Thema bin ich sehr sensibilisiert. Industriell verarbeitete Drinks werden als Superfood verkauft und unsere Milch mit allen Vitaminen und Spurenelementen wird, obwohl wissenschaftlich bewiesen, als ungesund abgestempelt. Irgendetwas läuft da falsch. 

Was sagen Sie zum McDonalds-Video von Kanzler Karl Nehammer?

TOTSCHNIG: Es ist wichtig, solche Videos im Kontext zu sehen. Es gibt einen Unterschied zu einer öffentlichen Rede oder zu einer internen Diskussionsveranstaltung mit Funktionären. Ich glaube der Bundeskanzler hat dort ausgesprochen, was viele Menschen sich denken. Manche stellen Österreich schlechter dar, als es tatsächlich ist. Wir und der Bundeskanzler sind überzeugt, dass jedes Kind in Österreich eine warme Mahlzeit bekommen kann, wenn die Eltern ihre Verantwortung wahrnehmen, zumal wir die Familien wie nie zuvor unterstützen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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AUTORRed. HP
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