BauernZeitung: Vorweg herzliche Gratulation zur Wahl. Waren Sie selbst auch ein wenig überrascht?
Neumann-Hartberger: Vielen herzlichen Dank! Nachdem Andrea Schwarzmann ihre Entscheidung, nicht mehr antreten zu wollen, im innersten Bäuerinnen-Kreis bekanntgegeben hat, gab es intensive Gespräche mit allen Landesbäuerinnen. Nach meiner einstimmigen Nominierung im Februar war daher meine Wahl zur Bundesbäuerin keine Überraschung, sondern bestens vorbereitet.
Wie groß ist Ihr Respekt vor dieser Aufgabe?
Dieser Bundesaufgabe zolle ich meinen allergrößten Respekt. Die Fußstapfen, in die ich trete, sind groß und trotz der vielen Funktionen, die ich ausübe, werde ich mich mit vollem Elan und Freude den Anliegen der österreichischen Bäuerinnen widmen.
Wofür steht die Bundesbäuerin allgemein, und wie werden Sie an dieses Ehrenamt herangehen?
Die Bundesbäuerin steht stellvertretend für 130.000 österreichische Bäuerinnen und Frauen im ländlichen Raum. Unsere Arbeit mit und für die Bäuerinnen ist geprägt von gegenseitiger Wertschätzung gegenüber der Gemeinschaft. Ein „Wir“ steht für mich an vorderster Stelle.
Was werden Sie von Ihrer Vorgängerin übernehmen, und wo wollen Sie andere, neue Wege gehen, Akzente setzen?
Viele Wege, die bereits in der Vergangenheit beschritten wurden, werde ich gemeinsam mit dem Team der Landesbäuerinnen weiterverfolgen und entsprechend der Erfordernisse der Zeit weiterentwickeln. Natürlich werde ich auch neue Ziele definieren und diese alsbald bekanntmachen.
Als Abgeordnete des Bauerbundes im Nationalrat sind Sie politisch bestens vernetzt. Wie wichtig ist das gerade auch für Ihre neue Funktion?
Das ist sehr wichtig und gut! Die Bäuerinnen-Themen können durch meine Funktion im Nationalrat einfacher und schneller in die politische Diskussion eingebracht werden.
Mit welchen Anliegen haben sich Bäuerinnen schon bisher an Sie gewendet?
Es sind nicht ausschließlich landwirtschaftliche Themen, die unsere Frauen beschäftigen. Aus sehr vielen Einzelanliegen haben wir ja Schwerpunkte entwickelt, die wir systematisch verfolgen. Dazu gehören der Dialog zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft, die Weiterentwicklung der Kinderbetreuung, der Pflege und des Breitbands im ländlichen Raum, aber auch die Forcierung der Frauen in Entscheidungsgremien sowie die betriebliche Entwicklungsfähigkeit der Bauernhöfe, insbesondere auch durch Diversifizierung.
Was brauchen die Bäuerinnen derzeit besonders?
Gerade die Corona-Pandemie zeigt uns Bäuerinnen, wie wichtig der Zusammenhalt und die Kraft der Gemeinschaft sind, um gestärkt aus der Krise gehen zu können. Die Mehrfachbelastung für Frauen macht sich auch bei den Auswirkungen der Corona-Krise bemerkbar, denn sie sind es vor allem, die an vorderster Front stehen. So sind Beschäftigte im Gesundheitswesen und im Lebensmittelhandel überwiegend weiblich. Die unbezahlte Betreuungsarbeit nimmt zu, insbesondere mit Home-Schooling. Davon sind auch die Bäuerinnen betroffen.
Womit wollen Sie speziell junge Bäuerinnen, die oft auch anderen Berufen nachgehen, ansprechen?
Wir in der Arge Österreichische Bäuerinnen stehen ja nicht nur für Voll- und Nebenerwerbsbäuerinnen. Es ist es uns wichtig, für die Frauen im ländlichen Bereich ein breites Themenspektrum, Aktivitäten, Verständnis und Unterstützung anzubieten. Beispiele dafür sind die Schulaktionstage, Ausbildungen für Quereinsteigerinnen, Webinare und Tagungen zu aktuellen Lebensthemen.
Sie agieren seit mehreren Jahren im Aufsichtsrat der Raiffeisen Holding Niederösterreich/Wien sowie dem der Grunderwerbsgenossenschaft Niederösterreich. Braucht es noch mehr Frauen, die sich auch solche Positionen zutrauen?
Ja natürlich! Es gibt viele Frauen, die sich verantwortungsvolle Positionen zutrauen, es müssen nur der Platz und die Rahmenbedingungen für sie geschaffen werden. Die Kompetenzen für diese verantwortungsvolle Aufgabe erlangen Frauen, die sich verstärkt in die Gestaltung ihres Lebensraumes und damit unserer ländlichen Regionen einbringen wollen, mit dem LFI-Zertifikatslehrgang „ZAMm unterwegs“ rund um professionelle Vertretungsarbeit im ländlichen Raum. Mit mehr als 450 Absolventinnen können wir bereits jetzt auf eine große Schar an Bäuerinnen verweisen, die bereit sind, solche Positionen zu besetzen.
Ist es für Frauen immer noch schwer, sich in männerdominierten Sparten Gehör zu verschaffen?
Gehör zu verschaffen, wenn man denn einmal die Position besetzt hat, ist nicht das Problem. Aber Frauen haben bei der Besetzung von Funktionen in Entscheidungsgremien noch immer einen großen Aufholbedarf, dies wurde in der Krise unter anderem auf Pressefotos und in Medienberichten deutlich sichtbar. Bei verkleinerten Gremiensitzungen – aufgrund der Hygienemaßnahmen – war die „zweite Reihe“, die oftmals weiblich besetzt ist, nicht eingeladen! Damit waren Frauen seit Ausbruch der Pandemie noch weniger in Entscheidungen und Zukunftsfragen eingebunden.
Wie viel Zeit bleibt bei alldem noch für den eigenen Hof, Ihre Familie?
Am Hof helfe ich in meiner Freizeit, vor allem an den Wochenenden, gerne mit. Für meine Familie nehme ich mir bewusst Zeit.
Wurden Sie als Frau in einem eher traditionellen Umfeld auch schon mal scheel angesehen, weil Sie sich politisch engagieren?
Natürlich, ich wurde nicht erst einmal mit der Frage konfrontiert, ob ich zu Hause nicht genug Arbeit habe.
Verlangt Ihr Mann nicht manchmal zumindest 50 : 50 bei der Hausarbeit?
Wir haben zu Hause eine sehr gut funktionierende Aufgabenverteilung. Der Haushalt gehört zu meinen Aufgaben, mein Mann und mein Sohn können sich aber wunderbar selber versorgen.
Wie schwer ist derzeit die Arbeit in der ARGE Bäuerinnen wegen Corona?
Natürlich fehlen uns die gewohnten Formate, die persönlichen Treffen, die durch die Pandemie nicht möglich waren und sind. Wir haben allerdings schon sehr früh begonnen, uns online zu vernetzen. Online-Meetings sind ausgezeichnete Ergänzungen, sparen oftmals Zeitressourcen, können aber niemals Ersatz für den direkten Austausch sein.
Die Wahl auf Ihre Person ist einstimmig gefallen. Die Funktion der Bundesbäuerin wechselt damit von Vorarlberg nach Niederösterreich. Auch der Bauernbundpräsident stammt aus dem größten Bundesland. Das wird nicht überall nur freundlich kommentiert. Was halten Sie dagegen?
Solche Funktionen sollten an der jeweiligen Persönlichkeit und nicht an der Bundesländerzugehörigkeit gemessen werden.
Wie dicht ist Ihr Terminkalender mit Bäuerinnen-Themen in den kommenden Wochen?
Es stehen jetzt die Einarbeitungsphase, Antrittsgespräche und Medienkontakte an, daher ist selbstverständlich mein Kalender gut gefüllt.
Politische Erfolge der Bäuerinnen
Die Arbeitsgemeinschaft Österreichische Bäuerinnen wurde vor genau 49 Jahren, 1972, gegründet. Sie ist mit rund 130.000 Mitgliedern die größte Bäuerinnen-
organisation im Land mit Sitz in der
LK Österreich.
Zu ihren wichtigsten sozialpolitischen Errungenschaften zählen der gesetzliche Mutterschutz für Bäuerinnen (1982);
die geteilte Pensionsauszahlung (1989); das Karenzgeld für Bäuerinnen (1991);
die Einführung der Bäuerinnenpension (1992); die pensionsbegründende Anrechnung von Kindererziehungszeiten und die Einführung des Pflegegeldes (1993); die Anhebung des Wochengeldes (1998 und 2013); die vorzeitige
Alterspension vor dem 50. Lebensjahr wegen Erwerbsunfähigkeit (1999); weiters das Kinderbetreuungsgeld für alle Mütter (2002); die steuerliche Berücksichtigung der Kinderbetreuungskosten für jedes Kind bis zum zehnten Lebensjahr
und die begünstigte Selbstversicherung
in der Pensionsversicherung für
Pflegezeit naher Angehöriger (2009).
Bundesbäuerinnen seit 1972
Helga Wieser, Salzburg, 1972-1986
Maria Stangl, Steiermark, 1986-1991
Aloisia Fischer, Salzburg, 1991-2006
Theresia Schiffmann, Tirol, 2006-2008
Anna Höllerer, Niederösterreich, 2008-2013
Andrea Schwarzmann, Vorarlberg, 2013-2021
Irene Neumann-Hartberger, Niederösterreich, seit 2021
Bernhard Weber