BauernZeitung: Frau Minister, der Zukunftsforscher Daniel Dettling sagt eine „neue Landlust“ als Folge der Corona-Pandemie vorher. Er meint, am Ende der Krise werde der ländliche Raum auch wirtschaftlich als Profiteur gegenüber den Ballungszentren hervortreten. In vielen Kleinstädten und Dörfern bestimmen aber eher Abwanderung, Überalterung und das Gefühl des „Abgehängt-seins“ das Leben. Und jetzt noch Corona. Sind Sie ähnlich zweckoptimistisch wie Herr Dettling?
SCHRAMBÖCK: Digitalisierung kann ein „Gamechanger“ für den ländlichen Raum sein. Vieles, was früher undenkbar gewesen wäre, ist plötzlich in der Corona-Krise möglich, beispielsweise „Homeschooling“ oder auch die Telemedizin. Meine Eltern leben in Tirol. Dank der Digitalisierung kann ich mit ihnen in Kontakt bleiben und muss sie keinem Risiko aussetzen. Videokonferenzen sind Alltag geworden. Diese Möglichkeit sollten wir auch in Zukunft verstärkt nutzen. Wir werden in den kommenden Wochen mehrere Pakete vorstellen, wo genau wir in die Bereiche Klimaschutz, Digitalisierung und Regionalisierung investieren wollen. Davon wird auch der ländliche Raum profitieren.
Abgehängt fühlen sich gerade Bauern in abgelegenen Regionen vom schnellen Internet. Bleibt angesichts der zig Milliarden zur Krisenbewältigung genug Geld für den versprochenen Glasfaser-Ausbau am Land? Oder anders formuliert: Bis wann schließt Österreich die digitale Kluft zwischen Stadt und Land?
So rasch wie möglich. Die Digitalisierung ist ein riesiger Hebel, der uns krisenfest macht und uns vollkommen neue Innovations-, Wachstums- und Zukunftsperspektiven eröffnet. 5G ist eine große Chance für den ländlichen Raum, die es sehr gezielt und strategisch fundiert zu nutzen gilt. Es ist der gesamten Bundesregierung wichtig, die Digitalisierung vieler Lebensbereiche voranzutreiben. 5G ermöglicht es gerade kleineren und mittleren Unternehmen, ihre Wertschöpfung zu optimieren und Produkt-, Prozess- und Servicegestaltung flexibler zu gestalten, auch und gerade im ländlichen Raum. Ich unterstütze hier die zuständige Ministerin Elisabeth Köstinger mit vollem Einsatz.
Ihr Ministerium trommelt gerade die Botschaft „Kauf lokal, das geht auch digital“. Patriotische Appelle an die Konsumenten sind gut und wichtig. Aber wäre es nicht an der Zeit, dass Sie einen Appell gezielt an Industrie, Gewerbe und Handel richten, heimischen Agrarrohstoffen bewusst den Vorzug zu geben – egal, ob bei Fleisch, Gemüse, Holz oder Energie, auch wenn es etwas teurer kommt?
Dieser Appell richtet sich natürlich an alle. Unsere Landwirtinnen und Landwirte schaffen Tausende Arbeitsplätze in Österreich und tragen mit ihrer Arbeit zur regionalen Wertschöpfung in Österreich bei. Bei vielen Unternehmen hat hier bereits ein Umdenken stattgefunden. Viele Wirtschaftstreibende wissen, dass heimische Produkte eine hervorragende Qualität aufweisen und setzen daher auch bewusst auf heimische Erzeuger. Gerade für Direktvermarkter bietet sich speziell jetzt eine Riesenchance, auf digitale Geschäftsmodelle zu setzen.
Konkret: Von welchen Maßnahmen, die Sie als Ministerin derzeit zur Krisenbewältigung setzen, profitiert auch die Landwirtschaft?
Wir haben einen 38 Milliarden Euro schweren, rot-weiß-roten Schutzschirm über Österreich gespannt. Mir war es sehr wichtig, dass auch bäuerliche Betriebe Hilfe erhalten. Mit dem Garantie-System haben wir in der Wirtschaft bereits gute Erfahrungen gemacht. Diesmal stehen sie auch der Landwirtschaft offen. 48 Betriebe haben diese Möglichkeit bereits genutzt. Mit fünf Millionen Euro wurde beispielsweise Gemüsebauern oder auch Winzern geholfen. Neben Kleinunternehmen in der Wirtschaft erhalten auch land- und forstwirtschaftliche Betriebe bis zu 6.000 Euro Soforthilfe aus dem Härtefallfonds. Die Anträge dazu werden durch die AMA bearbeitet.
Nicht nur Landwirte stöhnen unter den Folgen des Klimawandels, primär wegen der dramatischen Trockenheit in Flur und Wald. Nun befürchten viele, dass wegen der Rezession angekündigte und bis vor wenigen Wochen sichere Investitionen der Wirtschaft in den Klimaschutz unter die Räder kommen. Zu Recht?
Laut Prognose der EU-Kommission soll unsere Wirtschaft heuer um 5,5 Prozent sinken. Im EU-Vergleich stehen nur Polen und Luxemburg besser da als Österreich. Wir müssen unsere Wirtschaft schnell wieder in Schwung zu bringen. Im Vordergrund stehen die Schaffung und Haltung von Beschäftigung oder der Abbau von Arbeitslosigkeit. Erstens braucht es nun Steuerentlastungen für die arbeitenden Menschen. Der private Konsum, der stets eine wichtige Stütze der Konjunktur war, soll damit gefördert werden. Ein zweiter Schwerpunkt gilt der Entlastung der Wirtschaft. Und wir brauchen Investitionen, vor allem in Klimaschutz, Digitalisierung und Regionalisierung. Hier werden wir zeitnah unsere Pakete vorlegen.
Bitte um eine kurze Antwort: 800 Millionen Euro zur AUA-Rettung oder doch besser in ökosoziale Wirtschaftsprojekte?
Für mich ist unsere Wirtschaft unteilbar. Wir brauchen eine kluge Lösung für den Wirtschaftsstandort. Daran arbeiten wir.
43 Prozent der Österreicher haben nun aufgrund von Kurzarbeit oder gar Arbeitslosigkeit weit weniger Geld zur Verfügung als vor Corona. Die Landwirte sichern durch ihre Arbeit auf den Feldern und im Stall, dass immerhin genügend heimische Lebensmittel erzeugt werden. Was kann und soll die Wirtschaft, der Handel tun, damit auch der Absatz gesichert ist?
Unsere Bäuerinnen und Bauern leisten Großartiges. Gerade zu Beginn der Krise, als die Verunsicherung groß war, ob es zu Engpässen bei Lebensmitteln kommt, kam es auch bei Lebensmitteln zu Hamstereinkäufen. Mittlerweile hat die Bevölkerung ein starkes Bewusstsein dafür aufgebaut, wie wichtig unsere eigene Landwirtschaft ist. Ich bin davon überzeugt, dass viele nach der Krise ihr eigenes Kaufverhalten noch mehr hinterfragen und in Zukunft vermehrt regional einkaufen werden. Wir arbeiten auch an mehr Regionalität im Bundesvergaberegime. Das Wichtigste sind funktionierende Wertschöpfungsketten für Österreich. Es braucht ein gutes Miteinander der Unternehmerinnen und Unternehmen.
Was erwarten Sie von der Agrarbranche?
Ich wünsche mir, dass unsere Landwirte auch weiterhin so engagiert ihre multifunktionale Aufgabe für unser schönes Land erfüllen.
Sie leben ja privat am Land im Bezirk Tulln. Haben Sie persönlich während des Lockdown auch bei Direktvermarktern aus der Umgebung online bestellt?
Natürlich. Ich achte darauf, regional einzukaufen und schätze die hohe Qualität der österreichischen Produkte. Jeder von uns hat es in der Hand und kann dafür sorgen, dass die Wertschöpfung in Österreich bleibt und somit auch Arbeitsplätze am Land gesichert werden.
Interview: Berhard Weber
Zur Person
Margarete Schramböck feierte am Dienstag ihren 50. Geburtstag. Die gebürtige Tirolerin aus St. Johann ist promovierte Betriebswirtin und war 2016 bis Oktober 2017 vor ihrer Politik-Karriere als Wirtschaftsministerin in der Bundesregierung Kurz I und II Top-Managerin im Telekom-Bereich.