BauernZeitung: Die Preise für Getreide sind zuletzt stark gefallen. Wird der Sektor Landwirtschaft zunehmend zum Opfer im Krieg Russlands gegen die Ukraine?
Totschnig: Die Getreidepreise sind global unter Druck. Das hat damit zu tun, dass es regional unterschiedlich gute Ernten gibt. Auch beobachten wir russisches Preis-Dumping und konjunkturbedingte Rückgänge in der Nachfrage für Getreide und Mehl. Dazu sorgen ukrainische Getreide-Exporte für eine Verunsicherung im EU-Binnenmarkt. Einzelne Händler nützen dies in ihren Einkaufsverhandlungen mit den Bäuerinnen und Bauern und erhöhen damit den Wettbewerbs- und Preisdruck in der EU.
Also ein vorgeschobenes Argument?
Es ist jedenfalls ein Argument, das in Preisverhandlungen gerne eingebracht wird. Deshalb dränge ich seit Monaten darauf, dass die EU-Kommission ihre Aufgabe wahrnimmt und für Stabilität am EU-Binnenmarkt sorgt. Ukrainisches Getreide muss dort ankommen, wo es gebraucht wird: im Nahen Osten, in Afrika und Asien. Der Hebel dafür liegt in Brüssel. Genau dort werden wir den Druck weiter erhöhen. Beim Agrarministerrat im Oktober habe ich klare Positionen dazu eingebracht, 15 Mitgliedstaaten haben uns unterstützt. Es braucht mehr Transparenz über die Warenströme am EU-Markt. Die Transitrouten und die Kapazitäten der EU-Häfen müssen ausgebaut werden, damit das ukrainische Getreide schnell weitergeleitet werden kann. Im Gegenzug hat die Ukraine versprochen, ein Ausfuhrlizenzsystem zu implementieren. Mit diesem könnte sie die Getreideexporte besser steuern und im Falle von Problemen die Mengen reduzieren.
Andere Länder wie Deutschland kürzen ihr Agrarbudget. Österreich wird es 2024 aufstocken. Warum?
Weil wir alle die Inflation spüren, die auch unsere Landwirtschaft belastet. Dazu kommen die Auswirkungen der Energiekrise. Gleichzeitig braucht es enorme Investitionen etwa zur Anpassung an den Klimawandel. All dem tragen wir Rechnung. Mit dem Impulsprogramm ermöglichen wir eine Wertanpassung beim Agrarumweltprogramm ÖPUL, bei der Bergbauern- und bei der Investitionsförderung. Wir müssen klimafitte Wälder entwickeln, auch angesichts der enormen Schäden verursacht durch Sturm oder den Borkenkäfer. Das erfordert eine Aufstockung der Mittel für den Waldfonds. Bei den Budgetverhandlungen haben wir dazu stichhaltige Argumente für die Land- und Forstwirtschaft auf den Tisch gelegt. Das Budget ist ein klares Bekenntnis des Bundeskanzlers und der Bundesregierung für die unverzichtbaren Leistungen unserer Bäuerinnen und Bauern und zu einem starken ländlichen Raum. Wir stehen voll hinter der Landwirtschaft. Das ist auch ein Signal an Brüssel. Niemand sonst in der EU unterstützt die Landwirtschaft derart. Weil Versorgungssicherheit für uns, den Kanzler, den Finanzminister, kein leeres Schlagwort ist. Das wurde auch in die Budgetzahlen gegossen.
Totschnig: „Die Erhöhung des Agrarbudgets ist auch ein Signal an Brüssel.“
Welche Möglichkeiten sehen Sie speziell für die Holzwirtschaft?
Von den 100 Millionen Euro mehr für den Waldfonds geht der Großteil in die Wiederauf- und durchforstung. 17 Millionen Euro bekommt der Bereich Holzbau. Für die Holzbau-Ausbildung für Architekten haben wir eine erste Stiftungsprofessur an der TU Wien gestartet – als eine von vielen Maßnahmen, um die holzbasierte Bioökonomie zu unterstützen.
Welche Verbesserungen bringt die Forstgesetz-Novelle für Forstwirte?
Mit ihr ist es überhaupt erst möglich, klimafitte Wälder zu entwickeln. Klimafitness, als Ziel verankert, wird damit förderfähig. Im Baumarten-Katalog können wir neue Baumarten aufnehmen, etwa aus südlicheren Regionen, und ermöglichen es auch, dass Mehrnutzungshecken angelegt werden können. Für Fichtenbestände wurde das hiebsunreife Alter von 60 auf 50 Jahre abgesenkt, um früher eingreifen zu können. Und da es immer öfter zu Waldbränden kommt, können Brandschäden künftig einfacher mit pauschalen Tarifen abgegolten werden.
Ein heißes Eisen ist derzeit auch das Verbauungsziel von 2,5 Hektar pro Tag gegen die Bodenversiegelung.
Unsere Böden sind unabdingbar für die Lebensmittelproduktion. Deshalb ist es mein Ziel, möglichst viele Flächen in bäuerlicher Hand zu halten. Die Regierung hat als klares Ziel maximal 2,5 Hektar Bodenverbrauch pro Tag definiert. Dazu braucht es auch das Bekenntnis von Ländern und Gemeinden. Genau das versucht die Raumordnungskonferenz mit der Bodenstrategie für Österreich. Es gibt bereits zahlreiche positive Beispiele zum Bodenschutz in den Bundesländern. Tirol, Oberösterreich, Salzburg und Vorarlberg haben bereits Maßnahmen zur Einschränkung der Zersiedelung beschlossen: Freizeitwohnsitze werden strenger reguliert. Einkaufszentren dürfen nur noch mehrstöckig und Parkflächen nicht mehr unbegrenzt auf die grüne Wiese gebaut werden. Hier ist Niederösterreich Vorbild. In vielen Dörfern gibt es Leerstände, die man reaktivieren kann. Mit 26 Millionen Euro für die Dorferneuerung aus dem Agrarbudget.
Stichwort Grüne Wiese: Wird es künftig schwieriger, auf diesen Tierwohlställe zu bauen?
Letzlich geht es bei dieser Frage um ein gesundes Gleichgewicht zwischen dem Schutz von landwirtschaftlichen Flächen, leistbarem Wohnraum und dass Flächen für das bäuerliche Wirtschaften im ländlichen Raum zur Verfügung stehen. Jeder Einzelfall muss konkret vor Ort geprüft werden. Wir dürfen uns aber auch nicht der Tatsache verschließen, dass wir bis 2030 etwa 200.000 mehr Haushalte haben werden und benötigen auch weiterhin Flächen etwa für unsere Infrastruktur, für Wohnraum, aber auch für die Landwirtschaft. Fest steht: Unser Bodenverbrauch ist derzeit zu hoch. Es gibt aber genug Möglichkeiten, dem gegenzusteuern.
Die Bundeswettbewerbsbehörde hat kürzlich über viele Auslistungsdrohungen des Handels gegenüber kleinen, auch bäuerlichen Lieferanten berichtet. Welche Schritte werden als Reaktion darauf nun gesetzt?
Entlang der Lebensmittelkette herrscht ein Kampf mit ungleichen Waffen. Mehr als 110.000 Bäuerinnen und Bauern und eine Vielzahl von Lieferanten stehen vier großen Handelsketten gegenüber, die gut 90 Prozent des Marktes kontrollieren. Dieses Ungleichgewicht führt zu harten Preisverhandlungen, aufgezwungenen Vertragsbedingungen, auch drohenden Auslistungen. Die Einrichtung unseres Fairness-Büros war absolut notwendig. Wir brauchen mehr Gerechtigkeit in der Lebensmittelkette. Das Büro fungiert im stetigen Austausch mit der Bundeswettbewerbsbehörde wie ein Radar und spürt das Ungleichgewicht in der Verhandlungsmacht auf. Die Bundeswettbewerbsbehörde schaut sich derzeit die Fälle genau an.
Totschnig: „Wir werden dazu beitragen, dass es mehr Transparenz am Markt gibt.“
SPÖ-Chef Babler fordert eine „Reichensteuer“ auf Erbschaften und Vermögen. Ist eine solche für die ÖVP in irgendeiner Form überhaupt denkbar?
Nein! Im Gegenteil: Statt neuen Steuern braucht es Entlastungen. Die Bauern leben nicht vom Wert oder Verkauf, sondern von der Bewirtschaftung ihrer Äcker und Wiesen. Grund und Boden sind ihre Wirtschaftsgrundlage. Diese zu besteuern wäre eine schleichende Enteignung und würde die Hofnachfolge und letzlich auch unsere Versorgungssicherheit gefährden. Österreich hat schon eine Steuer-Abgabenquote von über 43 Prozent, die dritthöchste innerhalb der EU. Deshalb lehnen wir Vermögens-und Erbschaftssteuern strikt ab. Die Regierung entlastet mit der ökosozialen Steuerreform, Antiteuerungsmaßnahmen und mit der Valorisierung der Familien- und Sozialleistungen. All das stärkt den Wirtschaftsstandort und auch die Landwirtschaft. Wir arbeiten ganz anders als die SPÖ mit ihren alten Steuer-Träumereien.
Totschnig: „Die alten Steuer-Träumereien der SPÖ lehnen wir strikt ab.“
Themenwechsel: Können Sie sich einen Bundeskanzler Kickl vorstellen?
Nein. Bundeskanzler Nehammer hat längst klargestellt: Herbert Kickl ist ein Sicherheitsrisiko für unser Land. Deshalb wird es keine Koalition mit der Kickl-FPÖ geben. Außerdem: Was hat er schon für die Landwirtschaft getan? Kickl und die FPÖ haben mehrfach bewiesen, dass ihnen die Bäuerinnen und Bauern egal sind.
Wie würden Sie nach gut eineinhalb Jahren im Amt Ihre Arbeitsweise sowie Leistungsbilanz beschreiben?
Wer mich kennt, weiß, wie ich arbeite: fachlich fundiert, lösungsorientiert und konsequent in der Umsetzung. In Zeiten wie diesen braucht es keine populistischen Schlagzeilen, sondern Vertrauen. Deshalb bin ich bemüht, stets konstruktiv mit allen Interessengruppen und über Parteigrenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Die große Geschlossenheit in der Agrarbranche und eine wie ich meine herzeigbare agrarpolitische Leistungsbilanz bestätigen meinen Weg. Wir haben das Impulsprogramm, den Waldfonds, das Versorgungssicherheitspaket, den Stromkostenzuschuss, die Herkunftskennzeichnung in der Gemeinschaftsverpflegung, die Anhebung der Pauschalierungsgrenzen oder einen EU-weiten Vorstoß beim künftigen Umgang mit dem Wolf erreicht. Ich finde: Das ist das, was zählt. Mir geht es um eine Landwirtschaft mit bäuerlichen Familienbetrieben, die weiterhin produzieren können. Deshalb habe ich auch die „Vision 2028+“, unseren Strategieprozess für die Zukunft der Landwirtschaft, initiiert.
Im kommenden Jahr 2024 sind wieder Nationalratswahlen. Danach wird es eine neue Regierung geben. Würden Sie in dieser gerne wieder als Landwirtschaftsminister auf der Regierungsbank sitzen?
Zuerst wird gewählt, dann gezählt und danach eine Koalition gebildet. Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Mir macht die Arbeit für die Menschen in unserem Land, für unsere Bäuerinnen und Bauern und für den ländlichen Raum eine große Freude. Ich bin einer, der anpackt und zur Verfügung steht, wenn und wo man mich braucht.
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- Minister Norbert Totschnig: Martin Machtlinger