Jeder Wolf benötigt täglich fünf Kilogramm Beute. Ist eine Alm oder Weide in der Nähe, holt er sich von dort bevorzugt Nutztiere.

Genau 782 gerissene Schafe und Ziegen, dazu neun Rinder, so lautet die Risse-Bilanz 2022 des Wolfs in Österreich. Weitere 68 Tiere – davon zwei Rinder – wurden außerdem als verletzt gemeldet. All das zeigt: Die Rückbesiedelung des Wolfs in Österreichs und im Ostalpenraum hat an Fahrt aufgenommen. Laut Angaben des „Österreichzentrum Bär Wolf Luchs“ befinden sich aktuell sieben Wolfsrudel auf heimischem Staatsgebiet. 2022 wurden allein 54 Wölfe mittels Wild-Monitoring und anhand ihrer DNA-Spuren an gerissenen Nutztieren identifiziert. „In Summe dürften sich im Vorjahr samt Jungtieren etwa 70 bis 80 Wölfe zumindest zeitweise in Österreich aufgehalten haben“, weiß Albin Blaschka, Geschäftsführer des Österreichzentrums.

Dabei beläuft sich die tägliche, potenzielle Nahrungsmenge jedes Wolfs auf rund 5,5 Kilogramm Beutebiomasse, wie Klaus Hackländer, Professor für Wildbiologie an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU), bereits vor Jahren festgestellt hat. Oder pro Jahr mehr als zwei Tonnen. Dies veranschaulicht einmal mehr: In Sachen Wolf besteht dringender Handlungsbedarf, zumal die Biologie der Tiere mit hoher Anpassungsfähigkeit und exponentieller Rudelbildung eine weiterhin rasche Zunahme erwarten lässt.

Den hiesigen Bauernvertretern, allen voran Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig, ist es mittlerweile gelungen, den umstrittenen Schutzstatus des Wolfs gemäß der Fauna-Flora-Habitat- Richtlinie (FFH) in Brüssel bereits im heurigen Jahr aufs Tapet zu bringen. „Aktives Wolfsmanagement ist notwendig und zeitgemäß. Es braucht gesamteuropäische Lösungen und gleichzeitig schnelle Maßnahmen in den Bundesländern“, steckt auch Bauernbundpräsident Georg Strasser die Ziele klar ab.
Eine bereits im Jahr 2019 publizierte, gutachterliche Stellungnahme der BOKU zeigt indes, welch monetäre Belastungen der Wolf für Österreich und allen voran für seine Bauern mit sich bringt.

Wolf und Tourismus

Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Tourismus ist in Österreich mit einem prä- Covid-Anteil von 7,6 Prozent am Bruttoinlandsprodukt hoch. Eine wesentliche Säule bildet dabei der Sommertourismus im Alpenbogen. Im Zuge der von den Ländern beauftragten Stellungnahme wurden auch die Konsequenzen rückkehrender Wölfe auf das Freizeit- und Erholungsverhalten quantifiziert. Das Institut für Landschaftsentwicklung befragte zu diesem Zweck mehr als 1.000 Wanderer und Mountainbiker nach ihrem Reiseverhalten und dem Einfluss des Wolfs darauf.
Die Wissenschafter kamen zu der Erkenntnis, dass die Anwesenheit des Wolfs bei der Auswahl des Urlaubsziels sowohl bei Wanderern als auch Mountainbikern deren Entscheidung zumindest geringfügig beeinflusst. Unter jenen, die vor allem Almwirtschaft als Erholungsfaktor suchen – gut 10 Prozent der Stichprobe – ist die Anwesenheit des Wolfs im Reisedomizil ein absolutes No-Go. Sofern der Wolf flächig vertreten sei, gaben jedoch lediglich 2,6 Prozent der Befragten an, gänzlich auf den Urlaub in betroffenen Regionen verzichten zu wollen.

Die BOKU kalkulierte anhand von Richtwerten und durchschnittlichen Verweildauern deren fehlenden Beitrag zur Wertschöpfung und bezifferte daraufhin den Verdienstentgang für den Tourismus auf rund 49,6 Mio. Euro jährlich; immerhin 2,6 Prozent der gesamten touristischen Einnahmen im Berggebiet. Ob sich die Betroffenheit der Urlaubsgäste knapp vier Jahre nach Veröffentlichung der Studie mittlerweile geändert hat, kann mangels neuer Ergebnisse nicht beurteilt werden.

Forst und Jagd

Die Anwesenheit des Wolfs hat auch Auswirkungen auf Jagd und Forstwirtschaft. Eine in Italien durchgeführte Übersichtsstudie zeigt einen direkten Zusammenhang zwischen Schalenwilddichten und Wolfsbestand. Als Hauptbeute werden in Mitteleuropa demnach Rehe, Rothirsche und Wildschweine angeführt. Der jährliche Beutebedarf eines Wolfs entspricht dabei „etwa 130 Rehen oder 35 Stück Rotwild“, wie Wildbiologe Hackländer schreibt. „Der monetäre Schaden, der durch die Anwesenheit des Wolfs für die Jägerschaft entsteht, ist allerdings derzeit noch nicht bezifferbar“, erklärt man beim Dachverband der Weidmänner, „Jagd Österreich“.
Klar sei jedoch, der Wolf verursache Stress beim Wild, weshalb „Schälschäden sowie Hungerfraß, welcher wiederum die Schutzwirkung von Schutz- und Bannwäldern gefährdet“, zunehmen werden, ist dem diesbezüglichen Positionspapier der Jäger zu entnehmen.

Die Anwesenheit des Wolfs stellt allen voran jedoch die traditionelle Weidewirtschaft vor größte Herausforderungen. Herdenschutz – von Praktikern nach wie vor kritisch beäugt – wird vonseiten der Wissenschaft als notwendig erachtet, vor allem solange eine effektive Bestandsregulierung durch die FFH-Richtlinie verhindert wird.

Wolf und/oder Weide?

Die Vollkosten, die durch dauerhafte Behirtung, Herdenschutzzäune und -hunde entstehen, wurden an der BOKU im Jahr 2019 auf einzelbetrieblicher Ebene anhand typischer Almbetriebe ermittelt. Die Agrarökonomen bezifferten damals die durchschnittlichen Kosten je gealptem Schaf mit 22 bis 82 Euro und warnten bereits bei dieser Summe vor den wirtschaftlichen Auswirkungen, die sich durch die höheren Arbeitskosten für die Alpung ergeben.

Quelle: agrarfoto.com
Die Kosten für Herdenschutz sind sehr betriebsindividuell, weiß Reinhard Huber von der HBLFA Raumberg-Gumpenstein.

An der LFS Grabnerhof (Stmk.) erfolgte im vergangenen Almsommer dann die Probe aufs Exempel. In einem Gemeinschaftsprojekt mit der HBLFA Raumberg- Gumpenstein und dem Österreichzentrum wurde die schuleigene Schafherde von 27 Tieren in Koppelwirtschaft von einem Hirten gehütet und über Nacht gepfercht. Im Herbst zog man Bilanz: Die für die Schafe aufgewendeten Stunden und das benötigte Zaunmaterial schlugen mit gut 298 Euro zu Buche. Reinhard Huber, Versuchstechniker an der HBLFA, verweist auf die Problematik, hier einheitliche Richtwerte zu schaffen: „Jede Alm hat andere Voraussetzungen. Daher sind auch die Kosten sehr individuell.“ Der größte Kostenfaktor sei dabei stets der Mensch, so Huber. „Den Hirten brauche ich für 27 genauso wie für 700 Schafe.“ Tatsächlich reduziert sich schon bei einer Herdengröße von 50 Tieren die Kostenlast bei annähernd gleichem Zaunmaterialbedarf auf etwa 161 Euro pro Schaf.

Wer soll das bezahlen?

Nichtsdestotrotz bleibt die finanzielle Belastung solcher Maßnahmen für die Bauern immens. Zwar wird Behirtung und mittlerweile auch die Haltung von Herdenschutzhunden im Agrarumweltprogramm ÖPUL gefördert und für Zäune gibt es Zuschüsse auf Länderebene; eine umfassendere Förderung bleibt jedoch aus.

Quelle: PAUL FREIDEL - STOCK.ADOBE.COM
Herdenschutzhunde werden im ÖPUL mit 700 Euro gefördert.

„Bestehende Herdenschutzmaßnahmen wie Zäune und Schutzhunde sind keine zufriedenstellenden Lösungen“, erklärt Bauernbundpräsident Strasser und begründet, warum diese hierzulande nicht höher bezuschusst werden: „Weil für Bauern und Steuerzahler kostenintensiv und der Schutz ist mangelhaft.“ Konkret sieht Strasser hier das Zerschneiden der Lebensräume als problematisch, wie auch die Gefahr, die von Herdenschutzhunden auf Touristen ausgehe.
Anderer Meinung ist Otto Gasselich, Obmann von Bio Austria Niederösterreich- Wien und selbst im Herdenschutz- Projekt „Lifestock Protect“ aktiv: „Wenn uns die Gesellschaft zum Leben mit dem Wolf zwingt, braucht es vorerst eine finanzielle Unterstützung für Herdenschutz. Und das zu hundert Prozent.“

Der Schweizer Weg

Ein Blick ins Nachbarland Schweiz zeigt, dass Geld für Herdenschutz allein tatsächlich keinen vollen Erfolg bringt. Peter Küchler, Herdenschutzbeauftragter und Direktor des Bildungszentrums Plantahof im Kanton Graubünden, schätzt die Kosten für Herdenschutz je Schaf (oder GVE) auf ähnlichem Level ein wie die österreichischen Ergebnisse. Bezahlt würden diese in der Schweiz „aus Direktzahlungen für Almbauern sowie einem Sonderbeitrag für Herdenschutz. Und seit vergangenem Jahr auch aus Sofortmaßnahmen in Höhe von rund 7 Millionen Franken (umgerechnet 7,08 Mio. Euro) aus Bundesmitteln.“ Trotzdem sieht Küchler die Situation zunehmend kritisch: „Das Thema Wolf wird zwar von der Gesellschaft ernst genommen, derzeit versucht man es aber allein mit Geld zu lösen“, so der Herdenschutzexperte. Man wehre sich gegen „über das Ziel hinausschießende Maßnahmen“ und fordert auch eine entsprechende Regulierung.

„Herdenschutz wurde bei uns in den vergangenen Jahren in enorme Höhen getrieben. Reguliert wurde jedoch nicht. Es braucht aber die Kombination aus beidem.“ Damit reiht sich der Praktiker in die Reihen jener Wissenschafter, die betreffend Wolf ein länderübergreifendes Monitoring, Bestandsregulierung und Schutzmaßnahmen als notwendig erachten.

Gutachterliche Stellungnahme der Universität für Bodenkultur

Projekt Herdenschutz Grabneralm

- Bildquellen -

  • Schaf auf der Alm: agrarfoto.com
  • Herdenschutzhunde: PAUL FREIDEL - STOCK.ADOBE.COM
  • Wolf und Beute: XAVER KLAUSSNER - STOCK.ADOBE.COM
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AUTORClemens Wieltsch
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